Unserem D-Wurf zum 9. Geburtstag: warum ein Lebensentwurf vielleicht doch auf eine Serviette passt – und sich echte Freude gerade in der Einfachheit zeigt.
Take a good look around
and if you’re looking down
put a little love in your heart.
Jackie DeShannon (1969)
»Lasst uns das Leben feiern« steht in geschwungener Schreibschrift auf der mintgrünen Papierserviette, die Dirk vor mir auf den Tisch legt – und ich kann nicht anders, als angewidert das Gesicht zu verziehen. »Sag’ jetzt bitte nicht, dass du diese Scheußlichkeit auch noch selbst gekauft hast«, lautet also auch der Kommentar, der sich genauso wenig zurückhalten lassen möchte, wie die eigenwillige Gesichtsakrobatik.
Weil Dirk nur verständnislos schaut, nehme ich die Serviette vom Tisch und bohre den Zeigefinger genau dort in das Papier, wo hinter dem dunkelblau hervorgehobenen »Leben« zwei rote Herzen tanzen. »Das«, sage ich und würge gespielt, »das ist beinahe genauso schlimm, wie Servietten, auf denen ›Lebe, Liebe, Lache‹ steht!« Dirk schaut noch immer verständnislos und schiebt sich, womöglich um eben jenes Unverständnis zu kaschieren, einen Keks in den Mund.
»Weißt du, warum ich solche Sprüche nicht ausstehen kann?«, frage ich schließlich, nachdem Dirk sich vorsichtshalber noch einen Keks in den Mund geschoben hat. »Weil sie nichts bedeuten. Gar nichts. Es ist, als würde man sich ein Schild mit der Aufschrift ›Essen‹ in die Küche hängen. Oder eines, auf dem ›Schlafen‹ steht ins Schlafzimmer. Ja, danke, ich weiß. In der Küche isst man, im Schlafzimmer schläft man, und als lebendiger Mensch lebe, lache und liebe ich – das muss mir keine Serviette erklären.«
Dirk kaut nachdenklich weiter, sagt aber nichts. »Als müsste ein Fetzen Papier mich daran erinnern, wie die Grundparameter des menschlichen Daseins funktionieren. Wenn ich das nicht ohnehin täte, wäre ich tot – körperlich und geistig. Braucht irgendjemand tatsächlich so eine Anleitung? Nein, das ist nur hübsch verpackter Nonsens, der tut, als hätte er Gewicht. Was solche Sprüche wirklich sagen, ist: Ich habe keine eigene Idee, also habe ich genommen, was andere mir vorgesetzt haben. Es schreit nicht nur ›Kreativ unbeleckt!‹, sondern ›Bitte bemerkt nicht, dass ich keine Meinung zu gar nichts habe.‹«
Ich lasse die Serviette auf den Tisch fallen und lehne mich zurück. Dirk blickt mich immer noch stumm an, und ich kann nicht genau sagen, ob er amüsiert ist oder nur darauf wartet, dass ich endlich den Mund halte. Davon bin ich allerdings noch weit entfernt. »Menschen, die solche Sprüche nötig haben, betonen damit meistens Eigenschaften, die sie gar nicht besitzen. Ich würde sogar behaupten, dass diejenigen, die ›Lebe, Liebe, Lache‹ sagen, nur ganz selten wirklich lachen. Sie wollen, dass man glaubt, dass sie fröhlich und voller Lebenslust sind. So wie Menschen, die ständig betonen müssen, wie positiv sie sind. Aber … wenn du wirklich etwas bist – liebend, lachend oder was auch immer –, dann musst du das nicht an die Wand hängen oder auf eine Serviette drucken. Dann sprechen deine Taten für sich.«
Jetzt bin ich fertig – und zufrieden mit dem vernichtenden Urteil über diese bedruckte Scheußlichkeit und allem, wofür sie steht. Dirk schaut mich schweigend an, langsam kauend, wie jemand, der genau weiß, dass Schweigen oft die schärfste Antwort ist. Schließlich schluckt er, leckt sich die letzten Kekskrümel von den Lippen und mustert mich. »Weißt du«, sagt er mit einem Hauch von Belustigung, »ich hab’ die Servietten nicht gekauft, weil ich den Spruch mag. Ich wusste, du würdest sie hassen.«
Für einen Moment starre ich ihn einfach nur an, unfähig, eine passende Antwort zu finden. Dann kann ich nicht anders, als zu lachen – ein echtes, ehrliches Lachen, das meine ganze großspurige Verachtung mit einem Mal verpuffen lässt. Dirk hebt die Serviette triumphierend, wie einen Pokal. »Siehst du? Vielleicht hat sie ihren Zweck ja doch erfüllt. Du hast gelacht.«
Leben, lieben, lachen. Das Leben feiern. All das sind Dinge, für die ein Hund keine Erklärung braucht. Ein Hund lebt, ein Hund liebt und ein Hund schenkt uns Freude. Jeden Tag. Unser D-Wurf schon seit 3.289 Tagen. Das ist der beste Grund, euch – Spencer, Nana und Zeppo – zu feiern. Und in liebevoller Erinnerung den beiden Hunden zu gedenken, die heute nicht mehr mit uns feiern können: Bounty und Edda. Macht das Beste aus eurem Tag!
© Johannes Willwacher