Unserem D-Wurf zum 9. Geburtstag: warum ein Lebensentwurf vielleicht doch auf eine Serviette passt – und sich echte Freude gerade in der Einfachheit zeigt.

»Lasst uns das Leben fei­ern« steht in geschwun­ge­ner Schreib­schrift auf der mint­grü­nen Papier­ser­vi­et­te, die Dirk vor mir auf den Tisch legt – und ich kann nicht anders, als ange­wi­dert das Gesicht zu ver­zie­hen. »Sag’ jetzt bit­te nicht, dass du die­se Scheuß­lich­keit auch noch selbst gekauft hast«, lau­tet also auch der Kom­men­tar, der sich genau­so wenig zurück­hal­ten las­sen möch­te, wie die eigen­wil­li­ge Gesicht­s­akro­ba­tik. 

Weil Dirk nur ver­ständ­nis­los schaut, neh­me ich die Ser­vi­et­te vom Tisch und boh­re den Zei­ge­fin­ger genau dort in das Papier, wo hin­ter dem dun­kel­blau her­vor­ge­ho­be­nen »Leben« zwei rote Her­zen tan­zen. »Das«, sage ich und wür­ge gespielt, »das ist bei­na­he genau­so schlimm, wie Ser­vi­et­ten, auf denen ›Lebe, Lie­be, Lache‹ steht!« Dirk schaut noch immer ver­ständ­nis­los und schiebt sich, womög­lich um eben jenes Unver­ständ­nis zu kaschie­ren, einen Keks in den Mund. 

»Weißt du, war­um ich sol­che Sprü­che nicht aus­ste­hen kann?«, fra­ge ich schließ­lich, nach­dem Dirk sich vor­sichts­hal­ber noch einen Keks in den Mund gescho­ben hat. »Weil sie nichts bedeu­ten. Gar nichts. Es ist, als wür­de man sich ein Schild mit der Auf­schrift ›Essen‹ in die Küche hän­gen. Oder eines, auf dem ›Schla­fen‹ steht ins Schlaf­zim­mer. Ja, dan­ke, ich weiß. In der Küche isst man, im Schlaf­zim­mer schläft man, und als leben­di­ger Mensch lebe, lache und lie­be ich – das muss mir kei­ne Ser­vi­et­te erklären.«

Dirk kaut nach­denk­lich wei­ter, sagt aber nichts. »Als müss­te ein Fet­zen Papier mich dar­an erin­nern, wie die Grund­pa­ra­me­ter des mensch­li­chen Daseins funk­tio­nie­ren. Wenn ich das nicht ohne­hin täte, wäre ich tot – kör­per­lich und geis­tig. Braucht irgend­je­mand tat­säch­lich so eine Anlei­tung? Nein, das ist nur hübsch ver­pack­ter Non­sens, der tut, als hät­te er Gewicht. Was sol­che Sprü­che wirk­lich sagen, ist: Ich habe kei­ne eige­ne Idee, also habe ich genom­men, was ande­re mir vor­ge­setzt haben. Es schreit nicht nur ›Krea­tiv unbe­leckt!‹, son­dern ›Bit­te bemerkt nicht, dass ich kei­ne Mei­nung zu gar nichts habe.‹« 

Ich las­se die Ser­vi­et­te auf den Tisch fal­len und leh­ne mich zurück. Dirk blickt mich immer noch stumm an, und ich kann nicht genau sagen, ob er amü­siert ist oder nur dar­auf war­tet, dass ich end­lich den Mund hal­te. Davon bin ich aller­dings noch weit ent­fernt. »Men­schen, die sol­che Sprü­che nötig haben, beto­nen damit meis­tens Eigen­schaf­ten, die sie gar nicht besit­zen. Ich wür­de sogar behaup­ten, dass die­je­ni­gen, die ›Lebe, Lie­be, Lache‹ sagen, nur ganz sel­ten wirk­lich lachen. Sie wol­len, dass man glaubt, dass sie fröh­lich und vol­ler Lebens­lust sind. So wie Men­schen, die stän­dig beto­nen müs­sen, wie posi­tiv sie sind. Aber … wenn du wirk­lich etwas bist – lie­bend, lachend oder was auch immer –, dann musst du das nicht an die Wand hän­gen oder auf eine Ser­vi­et­te dru­cken. Dann spre­chen dei­ne Taten für sich.«

Jetzt bin ich fer­tig – und zufrie­den mit dem ver­nich­ten­den Urteil über die­se bedruck­te Scheuß­lich­keit und allem, wofür sie steht. Dirk schaut mich schwei­gend an, lang­sam kau­end, wie jemand, der genau weiß, dass Schwei­gen oft die schärfs­te Ant­wort ist. Schließ­lich schluckt er, leckt sich die letz­ten Keks­krü­mel von den Lip­pen und mus­tert mich. »Weißt du«, sagt er mit einem Hauch von Belus­ti­gung, »ich hab’ die Ser­vi­et­ten nicht gekauft, weil ich den Spruch mag. Ich wuss­te, du wür­dest sie has­sen.« 

Für einen Moment star­re ich ihn ein­fach nur an, unfä­hig, eine pas­sen­de Ant­wort zu fin­den. Dann kann ich nicht anders, als zu lachen – ein ech­tes, ehr­li­ches Lachen, das mei­ne gan­ze groß­spu­ri­ge Ver­ach­tung mit einem Mal ver­puf­fen lässt. Dirk hebt die Ser­vi­et­te tri­um­phie­rend, wie einen Pokal. »Siehst du? Viel­leicht hat sie ihren Zweck ja doch erfüllt. Du hast gelacht.«

Leben, lie­ben, lachen. Das Leben fei­ern. All das sind Din­ge, für die ein Hund kei­ne Erklä­rung braucht. Ein Hund lebt, ein Hund liebt und ein Hund schenkt uns Freu­de. Jeden Tag. Unser D-Wurf schon seit 3.289 Tagen. Das ist der bes­te Grund, euch – Spen­cer, Nana und Zep­po – zu fei­ern. Und in lie­be­vol­ler Erin­ne­rung den bei­den Hun­den zu geden­ken, die heu­te nicht mehr mit uns fei­ern kön­nen: Boun­ty und Edda. Macht das Bes­te aus eurem Tag!


© Johannes Willwacher