Die siebte Lebenswoche: wie wird das Selbstbewusstsein eines Welpen geformt? Über Mut und Souveränität, Angst und Unsicherheit – und die richtige Prägung.

Kim ist ner­vös. Als sie das Gebäu­de betritt, in dem die Rehear­sals wäh­rend der fünf­tä­gi­gen Tour­pau­se statt­fin­den, die es ihr erlaubt, ein Inter­view mit LL Cool J zu füh­ren, sind ihre Hän­de schweiß­nass. Adam Horo­vitz von den Beas­tie Boys hat ein­mal über sie gesagt hat, dass sie immer die cools­te Per­son im Raum sei, ganz gleich, wo sie sich befin­de. In die­sem Augen­blick aber scheint das wie ein schlech­ter Witz. Sie fühlt sich deplat­ziert und schaut zwei­feld an sich her­un­ter. Der Mini­rock und die abge­tra­ge­nen Con­ver­se-Snea­k­er, für die sie sich gedan­ken­los ent­schie­den hat, schei­nen ihre Unsi­cher­heit nur noch wei­ter zu befeu­ern. 

Eine Tür wird auf­ge­ris­sen. LL Cool J tritt her­aus, von drei Sty­lis­ten umringt. Er scheint sie gleich bemerkt zu haben – mit ihren weiß gebleich­ten Haa­ren ist sie kaum zu über­se­hen –, lässt sich jedoch Zeit, um noch mit die­sem oder jenem zu reden, bevor er an sie her­an­tritt. Kim streckt die Hand aus, bereut die Ges­te aber, und zieht sie wie­der zurück. Er wirkt unnah­bar, distan­ziert. Sie denkt noch immer übers Hän­de­schüt­teln nach, drückt ihm dann aber statt­des­sen eine CD in die Hand. »Wür­dest du die für mich signie­ren?« Er lächelt. Es ist Radio, sein letz­tes Album. 

Das Inter­view wird schließ­lich in einem der angren­zen­den Stu­dio­räu­me fort­ge­setzt. Kim ent­spannt sich, und auch der fünf­zehn Jah­re jün­ge­re Rap­per scheint sich nach einer Wei­le auf die Fra­gen ein­las­sen zu kön­nen, die sie ihm stellt. Sie reden über Hard­core und Hip Hop, über Bands, die bei­de ken­nen, und auch, wenn er von ihrer noch nie gehört hat, begeg­nen sie sich gleich­be­rech­tigt. Auf Augenhöhe.

7 Wochen alter Border Collie Welpe auf dem Hundeplatz
12|09|2024 – Broad­me­a­dows Know the Ledge

»Was ist mit Frau­en, die dich als Sex­ob­jekt sehen und ein Foto von dir mit ins Bett neh­men?«, fragt sie ihn. Er räus­pert sich, scheint nach­zu­den­ken. »Das geht mich nichts an«, sagt er schließ­lich, wäh­rend er am Schirm sei­ner Base­ball­kap­pe zupft. »Der Mann muss sei­ne Frau im Griff haben. Er muss die Kon­trol­le behal­ten. Eine Frau muss ihren Mann respek­tie­ren und wis­sen, dass es ihr nicht zusteht, so etwas zu tun.« Kim schluckt, der Kugel­schrei­ber fliegt über das Papier. »Hast du eine Traum­frau?«, fragt sie, als sie wie­der auf­schaut. »Intel­li­genz ist über­be­wer­tet«, ant­wor­tet er, rutscht auf dem roten Sofa nach vorn und stützt die Arm­beu­gen auf die weit gespreiz­ten Bei­ne, »eine Frau muss nett sein, ver­stehst du, was ich mei­ne?« Sie schaut ihn fra­gend an. »Mir ist egal, wie sie aus­sieht oder was ande­re über sie den­ken. Mit wem sie zusam­men war oder was die Nach­barn von ihr hal­ten. Ich behand­le eine Frau immer so, wie sie sich in mei­ner Gegen­wart ver­hält.« Kim kann nicht anders, als nach­zu­ha­ken: »Aber trotz­dem wird es doch Frau­en geben, die dir in Null­kom­ma­nichts ver­fal­len sind?« LL Cool J lächelt breit und ant­wor­tet: »Schon bis mit­tags min­des­tens zehn«.

Für den Rest des Inter­views hält Kim sei­nem Blick stand, ihre Augen fun­keln. Die Macht, die hete­ro­se­xu­el­le Män­ner aus der Annah­me schöp­fen, für alle Frau­en unwi­der­steh­lich zu sein, brö­ckelt. Selbst­be­wusst streckt sie die Hand aus: »Wir kön­nen trotz­dem Freun­de blei­ben«. Weil Selbst­be­wusst­sein auch bedeu­tet, sich nicht auf das redu­zie­ren zu las­sen, was jemand ande­res in einem sieht. Kool Thing.

7 Wochen alter Border Collie Welpe auf dem Hundeplatz
12|09|2024 – Broad­me­a­dows Kate Moss

Was gelingt leich­ter: Selbst­be­wusst­sein auf­zu­bau­en oder einen Wel­pen in die Schran­ken zu wei­sen, der zu viel davon an den Tag legt? Als Züch­ter sieht man sich in der Regel mit bei­den Her­aus­for­de­run­gen kon­fron­tiert. Mit Wel­pen, die auf den ers­ten Blick schüch­tern und zurück­hal­tend wir­ken, genau­so wie mit Wel­pen, die vor Selbst­be­wus­stein gera­de­zu über­schäu­men und kaum zu bän­di­gen sind. Die­se Cha­rak­ter­zü­ge sind tief in ihrem Wesen ver­an­kert. Sie ent­wi­ckeln sich im Lau­fe des Lebens eines Hun­des zwar wei­ter, las­sen sich jedoch nicht grund­le­gend ver­än­dern. Bei unsi­che­ren Hun­den kann geziel­tes Trai­ning aber den­noch dazu bei­tra­gen, ihr Selbst­be­wusst­sein zu stär­ken, sodass sie sich in her­aus­for­dern­den Situa­tio­nen siche­rer und sou­ve­rä­ner bewe­gen. 

7 Wochen alter Border Collie Welpe auf dem Hundeplatz
12|09|2024 – Broad­me­a­dows Kel­ly Watch the Stars

»Die ist aber ganz schön domi­nant und selbst­be­wusst«, meint eine der zukünf­ti­gen Wel­pen­be­sit­ze­rin­nen mit weit auf­ge­ris­se­nen Augen, als sie am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de im Wel­pen­aus­lauf sitzt. Ihr Blick ist auf eine der drei Hün­din­nen gerich­tet, die mit hoch erho­be­ner Rute über einem der drei Rüden steht, der unter ihr am Boden liegt. Ich schütt­le den Kopf. »Domi­nanz ist kein grund­le­gen­der Wesens­zug, viel­mehr ein situa­ti­ves Ver­hal­ten«, gebe ich zur Erklä­rung zurück, »es mag zwar Hun­de geben, die im Lau­fe ihres Lebens ler­nen, dass sie mit die­ser oder einer ande­ren Ver­hal­tens­wei­se eher zum Erfolg kom­men, und sie immer wie­der wäh­len, um Kon­flik­te zu lösen, beim Wel­pen ist das aber meist nur eine Moment­auf­nah­me«. Zum Beweis wird aus der über­le­ge­nen Hün­din im nächs­ten Moment die unter­le­ge­ne, die sich von dem deut­lich klei­ne­ren Rüden spie­le­risch unter­wer­fen lässt. »Ein selbst­be­wuss­ter Hund hat es gar nicht nötig, einem ande­ren sei­ne Stär­ke zu bewei­sen«, fah­re ich fort. »Wer sich auf­bläst, droht und laut­stark sei­ne Über­le­gen­heit zur Schau stellt, ist sel­ten sou­ve­rän«. Und den­ke, dass sich das auch beim Men­schen kaum anders verhält.

7 Wochen alter Border Collie Welpe auf dem Hundeplatz
12|09|2024 – Broad­me­a­dows Keep the Faith

Wie Hun­de mit Angst und Unsi­cher­heit umge­hen, lässt sich eben­so wenig pau­scha­li­sie­ren. Grund­sätz­lich las­sen sich zwar zwei Stra­te­gien unter­schei­den – Angriff und Flucht –, die wenigs­ten Hun­de wäh­len aber aus­schließ­lich nur eine davon. Wäh­rend es für wenig erfah­re­ne Hun­de­be­sit­zer nun nahe­lie­gend scheint, dem einen mit bedau­ern­der Zuwen­dung zu begeg­nen – dem Wel­pen sanft über den Kopf zu strei­chen und beru­hi­gend auf ihn ein­zu­re­den –, wür­den die­sel­ben dem laut­star­ken Angriff wohl eher gegen­tei­lig begeg­nen. »Der ist aber ganz schön domi­nant und selbst­be­wusst«, wür­de es viel­leicht hei­ßen, obwohl im Grun­de das glei­che unsi­che­re Ver­hal­ten dahin­ter steckt. In bei­den Fäl­len wer­den Angst und Unsi­cher­heit nur noch wei­ter ver­stärkt, weil der Wel­pe nicht lernt, die angst­aus­lö­sen­de Situa­ti­on durch sei­ne eige­ne Selbst­si­cher­heit zu kom­pen­sie­ren. Der Mensch muss also sou­ve­rän auf­tre­ten, wenn auch der Hund sou­ve­rän auf­tre­ten soll. Das benö­tigt Bestän­dig­keit und Kon­sis­tenz. Und gemein­sa­me Erfolgserlebnisse.

»Oh, wie fein!«, quietscht Dirk in den höchs­ten Tönen, als der Wel­pe schließ­lich die Schrä­ge gemeis­tert hat und mit wedeln­der Rute auf dem Steg zum Ste­hen kommt. Der Aus­flug auf den Hun­de­platz, den wir schon seit vie­len Jah­ren in der sieb­ten Lebens­wo­che unse­rer Wel­pen unter­neh­men, ver­folgt vor allen ande­ren Din­gen einen Sinn: er soll die Per­sön­lich­keit der Wel­pen stär­ken und ihnen Mut machen, Situa­tio­nen zu meis­tern, die sie sich sonst nicht zuge­traut hät­ten. Steg und Tun­nel, Hür­den und Flat­ter­band – das alles dient in der Prä­gung dazu, den Wel­pen auf sei­ne Fähig­kei­ten auf­merk­sam zu machen und ihn dazu anzu­hal­ten, die­se zu nut­zen. Mit dem Men­schen an sei­ner Sei­te. Kool Thing.

Das 7. Fotoshooting

Die 7. Lebenswoche

© Johannes Willwacher