Die fünfte Lebenswoche: Kunst, Kommerz und ganz viel Liebe – und warum Leidenschaft und Profitdenken auch in der Hundezucht oft im Konflikt stehen.

Drip­pin’ away, when you look in my eyes.
Jam & Spoon ft. Plav­ka (1997)

Der Löf­fel steht im Regen. Ungläu­big blickt er an sich her­un­ter. Das blaue Shirt ist völ­lig durch­nässt. Wäh­rend er sich schutz­su­chend unter eine der Pla­ta­nen flüch­tet, die ent­lang des Kur­fürs­ten­damms auf­ge­reiht sind, scheint auch die Musik, die von den Para­de­wa­gen schallt, plötz­lich abzu­eb­ben. Statt der Bäs­se trom­melt nur noch der Regen auf das Pflas­ter. »Sechs Wochen kein ein­zi­ger Trop­fen«, denkt er bei sich und schüt­telt den Kopf. Die Abküh­lung scheint der fei­ern­den Men­ge aber kaum etwas aus­zu­ma­chen. Ganz im Gegen­teil wir­ken die meis­ten, als sei sie ihnen äußerst will­kom­men. Sven, der trotz des Platz­re­gens noch immer im Ele­fan­ten­kos­tüm auf einem der Wagen steht, lässt unbe­irrt die Hüf­ten krei­sen – und als die Musik end­lich wie­der aus den Laut­spre­chern zu wum­mern beginnt, reißt er begeis­tert bei­de Arme nach oben, die längst über­flüs­sig gewor­de­ne Was­ser­pis­to­le noch immer in sei­ner Hand. Im Getüm­mel dahin­ter erblickt er kurz noch ein­mal Plav­ka, die ihm eben jemand vor­ge­stellt hat – wer, dar­an kann er sich beim bes­ten Wil­len nicht mehr erin­nern – und schließ­lich ihre Tele­fon­num­mer in sein zer­fled­der­tes Notiz­buch gekrit­zelt hat. »Der Löf­fel mag kei­ne Schön­heit sein«, denkt er und blickt erneut an sich her­un­ter, der Bauch wölbt sich sicht­bar unter dem pitsch­nas­sen Shirt, »aber er kriegt sie alle, irgend­wann«. 

»Wir brau­chen kei­nen Hit«, sagt Rolf und ver­dreht die Augen, »wir machen kei­ne Kom­merz­schei­ße«. Es ist 1993 und der Löf­fel, der sich nun Spoon nennt, tut es ihm gleich. Gegen­über am Tisch sitzt der A&R-Manager, den die Plat­ten­fir­ma geschickt hat, bei der sie unter Ver­trag ste­hen. Ein ange­grau­ter Mann im Anzug, der sich zwar zufrie­den mit den vier­zehn Stü­cken zeigt, die sie für ihr ers­tes Album auf­ge­nom­men haben, lei­der aber kei­ner­lei Kunst­ver­ständ­nis zu besit­zen scheint. »Ihr müsst ablie­fern«, sagt er, »irgend­was, das im Radio gespielt wird, bei dem die Leu­te mit­sin­gen kön­nen«. Rolf, der sich auch Jam nennt, schaut zu Spoon her­über, und nach­dem der eine den ande­ren davon über­zeugt hat, dass man trotz aller Kunst­sin­nig­keit auch von irgend­et­was leben muss, wird beschlos­sen, es doch ein­mal zu ver­su­chen. »Mit die­sem Gitar­ren­dings«, meint der Mana­ger, »das wäre gut!« Spoon hat in der Zwi­schen­zeit sein Notiz­buch gezückt und blät­tert suchend dar­in her­um. »In Ber­lin habe ich im ver­gan­ge­nen Jahr eine Sän­ge­rin aus Lon­don ken­nen­ge­lernt, die mit The Shamen auf Tour gewe­sen ist«, sagt er, »hüb­sches Ding, gute Stim­me, die könnt’ ich mal anru­fen«. Als Plav­ka eini­ge Wochen spä­ter in Frank­furt ein­trifft, steht ihr die letz­te Nacht noch ins Gesicht geschrie­ben. »Right in the Night« wird den­noch zum Hit – auf den mit »Find Me«, »Angel« und »Kalei­do­scope Ski­es« noch vie­le wei­te­re folgen.

Fünf Wochen alter Border Collie Welpe
29|08|2024 – Broad­me­a­dows Know the Ledge

Als die ers­ten Son­nen­strah­len durch das Geäst über dem Wel­pen­aus­lauf krie­chen, ste­he ich mit geschlos­se­nen Augen im Gar­ten. Die Nacht war kurz. Zu kurz, um die­sen Mon­tag­mor­gen aus­ge­schla­fen zu begin­nen. Gegen drei Uhr hat mich einer der Wel­pen geweckt, der im Gegen­satz zu mir aller­dings kaum, dass ich ihn beru­higt hat­te, wie­der ein­ge­schla­fen ist. Ich bin seit­dem wach. Die gro­ße Run­de, die ich nach der ers­ten Mahl­zeit der Wel­pen eigent­lich mit den erwach­se­nen Hun­den lau­fen woll­te – »Von Breit­scheid zum Korn­berg, das sind knapp 16 Kilo­me­ter hin und zurück«, habe ich am Vor­abend noch zu Dirk gesagt, um ihn dazu anzu­hal­ten, früh auf­zu­ste­hen –, scheint mir mit einem Mal auch viel zu lang. Ich über­le­ge also, was ich den Vie­ren – Fate muss sich noch immer damit begnü­gen, Nell auf ihre kur­zen Schnüf­fel­run­den zu beglei­ten – anbie­ten kann. Weil mei­ne Augen dabei noch immer geschlos­sen und die Gedan­ken ein wenig zu weit durch die umlie­gen­den Wäl­der geschweift sind, bemer­ke ich viel zu spät, dass die Ziga­ret­te in mei­ner rech­ten Hand bereits bis zum Fil­ter her­un­ter­ge­brannt ist. Mit schmerz­ver­zerr­tem Gesicht las­se ich die­sel­be ins tau­nas­se Gras fal­len. »Bis ich um zehn Uhr wie­der am Schreib­tisch sit­zen muss, will noch das Rudel gefüt­tert, das Wel­pen­zim­mer geputzt und die nächs­te Mahl­zeit für die Wel­pen vor­be­rei­tet wer­den«, den­ke ich bei mir. Und dann schließ­lich, dass es ganz bestimmt auch ande­re Hob­bies gäbe, die einem weni­ger abver­lan­gen – und mehr einbringen.

Fünf Wochen alter Border Collie Welpe
29|08|2024 – Broad­me­a­dows Keep the Faith

Die Fra­ge von Kunst und Kom­merz – ob aus Lei­den­schaft oder aus mone­tä­ren Grün­den gezüch­tet wird – stellt sich auch in der Hun­de­zucht immer wie­der. Zwar wür­den wohl nur die wenigs­ten Züch­te­rin­nen und Züch­ter offen zuge­ben, dass die Wel­pen­auf­zucht für sie ein mehr oder min­der ein­träg­li­ches Zubrot bedeu­tet, bei man­chen kommt man aber nicht umhin, sich die Fra­ge zu stel­len, ob das noch rei­ne Lei­den­schaft ist. Das nicht nur aus betriebs­wirt­schaft­li­chen Grün­den – wo in jedem Jahr die maxi­ma­le Zahl der durch den Zucht­ver­ein erlaub­ten Wür­fe fällt, bleibt am Ende sehr wahr­schein­lich auch mehr hän­gen. Nein, auch, weil die Auf­merk­sam­keit für den ein­zel­nen Wel­pen unwei­ger­lich lei­den muss, wenn immer schon der Nächs­te dar­auf war­tet, an den Mann, die Frau, die Fami­lie gebracht zu wer­den. Fühlt sich das gut an, als Wel­pen­käu­fer nur einer von vie­len zu sein? Fühlt man sich warm und will­kom­men, wenn der Blick des Züch­ters sich gleich dem nächs­ten Wurf zuwen­det, kaum, dass der Kauf­ver­trag unter­schrie­ben ist? Kunst oder Kom­merz, Lei­den­schaft oder Pro­fit: so lan­ge Wel­pen­käu­fe­rin­nen und Wel­pen­käu­fer vor­ran­gig nach ober­fläch­li­chen Kri­te­ri­en ent­schei­den – der sofor­ti­gen Ver­füg­bar­keit oder dem idea­len Zeit­punkt, bei­spiels­wei­se –, wird es auch immer bei­des geben. 

»Dass Kunst sich leicht kor­rum­pie­ren lässt und finan­zi­el­le Inter­es­sen jedes Gefühl abtö­ten, hat sich schluss­end­lich auch bei der Love­pa­ra­de bewie­sen«, den­ke ich, als ich mich mit den vier Hun­den eine Stun­de spä­ter doch noch auf den Weg zum Korn­berg gemacht habe. Die Son­ne scheint, die Welt gehört uns, und auch die Müdig­keit ver­fliegt beim Gehen. So soll­te es immer sein. Und irgend­wie ist es das auch. Ein gutes Gefühl.

Das 5. Fotoshooting

Die 5. Lebenswoche


© Johannes Willwacher