Unsere Border Collie Welpen in der ersten Lebenswoche: über aufgeweckte Bedürfnisse und schlummernde Potenziale – und warum beides noch Zeit und Ruhe braucht.

Kate Moss ist vier­zehn Jah­re alt, als sie 1988 am John F. Ken­ne­dy Air­port von Sarah Dou­kas ange­spro­chen wird. Die eine hat gera­de zwei Wochen auf den Baha­mas ver­bracht – zusam­men mit ihrem jün­ge­ren Bru­der und ihrem Vater, die Ehe der Eltern ist im sel­ben Jahr geschie­den wor­den –, die ande­re hat erst kürz­lich eine Model­agen­tur gegrün­det, von ihrem Schlaf­zim­mer aus. Weil bei­de sich lang­wei­len und sich das Boar­ding durch einen Streik der Flug­ge­sell­schaf­ten immer wei­ter ver­zö­gert, kom­men sie in der War­te­schlan­ge ins Gespräch. Kate sitzt auf ihrem Kof­fer, zuhau­se in Croy­don wer­den sie zur Hoch­zeit ihrer Groß­mutter erwar­tet. »Hast du schon ein­mal dar­über nach­ge­dacht, Model zu wer­den?«, fragt die Drei­ßig­jäh­ri­ge schließ­lich. »Dei­ne Wan­gen­kno­chen sind bemer­kens­wert!« Kate kann nicht anders, als laut­hals zu lachen. »Ich glau­be nicht, dass ich schö­ner bin, als eines der ande­ren Mäd­chen in mei­ner Klas­se«, gibt sie selbst­kri­tisch zurück, »und außer­dem bin ich doch viel zu klein«. Von den Mit­schü­le­rin­nen an der Ridd­les­down High­school wird sie wegen ihrer schie­fen Zäh­ne gehän­selt, und auch den Leh­rern fällt sie nur auf, weil sie mit Drei­zehn schon raucht und trinkt. Dou­kas bleibt beharr­lich, und nach­dem das Flug­zeug end­lich abge­ho­ben ist, bit­tet sie ihren Bru­der Simon, das atem­be­rau­ben­de Mäd­chen erneut anzu­spre­chen, das allei­ne mit sei­nem Walk­man in der Eco­no­my Class sitzt. Kate ver­spricht, ihre Mut­ter zu über­zeu­gen, sie zu einem Cas­ting zu beglei­ten – auch wenn sie fest davon aus­geht, dass die­se sie nur aus­la­chen wird.

Vier Jah­re spä­ter. Zusam­men mit Mario Sor­ren­ti – einem Foto­gra­fen, den sie 1991 auf einer Par­ty in South Ken­sing­ton ken­nen­ge­lernt hat – mie­tet Kate ein Strand­haus auf den Bri­ti­schen Jung­fern­in­seln. Mario foto­gra­fiert Kate, so wie es Ver­lieb­te nun ein­mal tun. Sie schläft, trägt sei­ne Unter­ho­sen, hängt die Wäsche auf. Sie duscht, liest und raucht. Sie ist unge­schminkt, unge­kämmt und glück­lich. Als die bei­den zurück­keh­ren, schickt er die Fotos an Cal­vin Klein, der sich von den inti­men Por­träts begeis­tert zeigt. Der Desi­gner enga­giert nicht nur Sor­ren­ti als Foto­gra­fen, son­dern gewinnt auch Kate als Gesicht für sein neu­es Par­füm: Obses­si­on. Die in grob­kör­ni­gem Schwarz-Weiß foto­gra­fier­te Kam­pa­gne macht das neun­zehn­jäh­ri­ge Model end­gül­tig zum Superstar.

Border Collie Welpen in der ersten Lebenswoche
01|08|2024 – Wel­pe No. 2

Als ich das Wurf­zim­mer betre­te, liegt Fate mit geschlos­se­nen Augen auf dem Bett. Kaum aber, dass ich den Rol­la­den hoch gezo­gen und den Mor­gen her­ein­ge­las­sen habe, springt sie auf und mir hechelnd um die nack­ten Bei­ne her­um. Dort, wo sie gele­gen hat, ist das Bett nicht bloß zer­wühlt. Mit­ten auf dem flie­der­far­be­nen Laken prangt ein gro­ßer, grün­brau­ner Fleck. Der Lochi­al­aus­fluss, den jede Hün­din in den ers­ten Wochen nach der Geburt zeigt – abge­stor­be­ne Zel­len und Res­te der Pla­zen­ta wer­den damit aus­ge­sto­ßen –, ist bei Fate so stark, dass sie kaum einen Schritt tun kann, ohne aus­zu­lau­fen. »Scheint so, als wäre dei­ne Gebär­mut­ter dar­auf aus, sich in aller kür­zes­ter Zeit zurück­zu­bil­den«, sage ich, wäh­rend ich der Hün­din den Kopf tätsch­le. Die­sel­be unter­bricht das Hecheln kurz, schaut mich an und ist dann schon zur Tür hin­aus. Ich wer­fe einen kur­zen Blick in die Wurf­kis­te – über­zeu­ge mich, dass alle sechs Wel­pen satt und zufrie­den schla­fen –, dann mache ich mich dar­an, die tröp­feln­de Hün­din ein­zu­ho­len. 

Border Collie Welpen in der ersten Lebenswoche
01|08|2024 – Wel­pe No. 6

»Nach der Geburt zeigt auch die Hün­din nur die ele­men­tars­ten Bedürf­nis­se«, den­ke ich, als wir wenig spä­ter wie­der in der Wurf­kis­te sit­zen. Fate hat sich zwi­schen­zeit­lich im Gar­ten gelöst und has­tig die ers­te Mahl­zeit des Tages gefres­sen. »Dar­in sind sich Mut­ter und Wel­pen also gar nicht mal so unähn­lich.«  Blind und taub gebo­ren, ver­schla­fen die Wel­pen in den ers­ten bei­den Lebens­wo­chen einen Groß­teil des Tages – kaum mehr, als zwei Stun­den sind es, die sie mit Sau­gen ver­brin­gen. Dass sie die Zit­zen der Hün­din trotz der ein­ge­schränk­ten Sin­nes­wahr­neh­mun­gen selb­stän­dig fin­den kön­nen, ist dem Geruchs­sinn zu ver­dan­ken, der es ihnen schon kurz nach der Geburt erlaubt, sich zu ori­en­tie­ren. Auch auf Wär­me reagie­ren die Wel­pen. Immer wie­der sieht man sie in der Wurf­kis­te ziel­ge­rich­tet auf­ein­an­der zu krie­chen. Immer wie­der sucht mal die­ser oder jener die wär­men­de Nähe des ande­ren. Und rein zufäl­lig – viel­leicht – auch die des Men­schen, der irgend­wo zwi­schen ihnen in der Wurf­kis­te sitzt.

In den ers­ten Tagen begnü­ge ich mich ger­ne damit, bloß zwi­schen den Wel­pen zu sit­zen. Ich las­se mei­ne Fin­ger­kup­pen über die Rücken der trin­ken­den Wel­pen glei­ten und hal­te mal die­sen oder jenen in der Hand, gön­ne den Wel­pen aber vor­erst ihre Ruhe. Trotz­dem beob­ach­te ich natür­lich. Bemer­ke Ähn­lich­kei­ten zu frü­he­ren Wür­fen. Zu Merk­ma­len, durch die sich ande­re Wel­pen aus­ge­zeich­net haben. Und weil gleich nach der Geburt für einen kur­zen Augen­blick auch schon die Vor­zü­ge jedes Wel­pen auf­blit­zen – das, was spä­ter ein­mal sei­ne Erschei­nung aus­ma­chen wird –, habe ich auch schon ers­te Über­le­gun­gen über mög­li­che Poten­zia­le ange­stellt. »Hast du schon ein­mal dar­über nach­ge­dacht, Model zu wer­den?«, könn­te ich also die­sen oder jenen Wel­pen gefragt haben. Allein, dass der Wel­pe mei­ne Fra­ge noch nicht hören und ich sei­ne Ant­wort kaum ver­ste­hen kann. Aber bis zum alles ent­schei­den­den Cas­ting ist in der ers­ten Lebens­wo­che zum Glück auch noch ganz viel Zeit.

Das 1. Fotoshooting

Die 1. Lebenswoche

© Johannes Willwacher