Die achte Trächtigkeitswoche: Geheimnisse, die bewahrt werden, und Geheimnisse, die sich entfalten – die anstrengenden letzten Tage vor der Geburt der Welpen.
Strumming my pain with his fingers,
singing my life with his words.
The Fugees (1996)
Eigentlich hat Lori gar keine Lust, Michele ins Troubadour zu begleiten. »Den Sänger musst du gesehen haben«, drängt die Freundin am Telefon und erzählt begeistert von dem Konzert, das sie am Vorabend besucht hat. Weil Norman sie für den Abend wieder einmal versetzt hat – allzu oft können sie sich nicht sehen, da Frau und Kinder mißtrauisch werden könnten –, stimmt sie schließlich doch zu und lässt sich zu dem Nachtclub am Santa Monica Boulevard fahren. Kaum, dass die beiden Neunzehnjährigen sich einen Weg durch das Gedränge gebahnt und einen Tisch mit gutem Blick auf die Bühne gefunden haben – bloß zwei hoch aufgeschossene Hippies, die sich angeregt am Bühnenrand unterhalten, versperren ihnen die Sicht –, wird der Sänger mit großem Applaus empfangen. Lori stellt ihren Drink auf einer weißen Papierserviette ab und fährt sich mit der Hand durch die langen, blonden Haare. Es ist der 21. November 1971.
Sie hat Tränen in den Augen, als Don McLean die Bühne verlässt. Michele tätschelt ihre Hand, die auf der vollgekritzelten Papierserviette ruht. »Als habe er meine Briefe gefunden, und jeden einzelnen davon laut vorgelesen«, hat Lori dort vermerkt, »als habe er dem Publikum mit seinen Songs meine tiefsten Geheimnisse offenbart«. Noch am selben Abend ruft sie Norman an und bittet ihn, sich tags darauf mit ihr und Charles Fox im Tonstudio zu treffen.
»Das bin ich«, sagt Lori, »das ist meine Geschichte«. Die beiden Männer, die mit ihr an ihrem ersten Album arbeiten – Fox ist zehn Jahre älter als sie, Norman Gimbel schon in seinen Vierzigern –, schauen sie verständnislos an. Sie räuspert sich und erklärt, dass ihr der Klang der Worte nicht gefällt, die ihr Norman in den Mund legen will. »Blues klingt viel zu altmodisch«, sagt sie und schüttelt den Kopf. »Ein Folksong kann ein Blues sein, aber das, was ich gehört habe, das war kein Blues.« Widerstrebend wird die Liedzeile geändert, und als Lori einige Wochen später im Studio zu singen beginnt, lässt sie die letzte Silbe lang ausklingen: »Killing me softly with his … song«.
Ihre Beteiligung wird geheim gehalten. Als Texter und Komponisten treten nur Gimbel und Fox in Erscheinung. Während Roberta Flack den Song 1973 neu aufnimmt – denselben hat sie zufällig während eines American Airlines-Flugs von Los Angeles nach New York im Bordprogramm gehört –, und in der Folge mehrere Grammys gewinnt, bekommt Lori Lieberman weder finanzielle noch musikalische Anerkennung. Für beinahe dreißig Jahre – bis eine Hip-Hop-Gruppe 1995 beschließt, den Song für ihr Debüt-Album erneut aufzunehmen – bleibt ihre Urheberschaft eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Musikbranche.
Nicht mehr ganz so lange wird es dauern, bis Fate das Geheimnis lüftet, das sie unter ihrem Herzen trägt. Ab dem 57. Trächtigkeitstag, den das morgige Datum beschreibt, sind die Lungen der Welpen so weit entwickelt, dass sie lebend geboren werden können. Dass die Geburt naht, lässt sich aber auch aufgrund anderer Beobachtungen erahnen. Die offensichtlichste ist dabei der Bauchumfang der Hündin, der in der vergangenen Woche auf fünfundsiebzig Zentimeter angewachsen ist, und der – auch wenn Fate derzeit sehr gut und gerne frisst – kaum nur dem guten Futter geschuldet sein kann. Das zusätzliche Gewicht – bei einem normal großen Wurf trägt die Hündin kurz vor der Geburt zumeist vier bis fünf Kilogramm mehr mit sich herum – macht sich auch auf den Spaziergängen bemerkbar, die Fate sehr gemächlich hinter sich bringt. Statt zu Spielen und zu Rennen verbringt sie ihre Zeit ohnehin viel lieber mit ausgiebigen Sonnenbädern, lässt sich – alle Viere in die Luft gestreckt – die Sonne auf den dicken, runden Bauch scheinen, oder überlegt, welches Gebüsch im Garten die beste Wurfhöhle abgeben könnte.
Weil das kommende Mutterglück die Hündin selbst aber nicht nur glücklich macht – der Bauch ist schließlich immer und überall im Weg und das Gewicht der ungeborenen Welpen drückt auch immer deutlicher auf die übrigen Organe –, macht sich auch immer wieder Unruhe breit. Es wird gescharrt. Es wird gejammert. Es wird gejault. »Killing me softly!« So wie Lauryn Hill und Roberta Flack. So wie Lori Lieberman.
© Johannes Willwacher