Sterne fallen nicht einfach vom Himmel, Sterne werden geboren: ein bisschen Chill-Out für die trächtige Hündin in der siebten Trächtigkeitswoche.

Nico­las weiß nicht, wie lan­ge sei­ne Mut­ter schon nach ihm ruft. »Eteins la télé et lave-toi les mains«, schrillt ihre Stim­me durch die mit dun­kel­brau­nem Fur­nier ver­klei­de­te Durch­rei­che, »tout de suite!« Aber auch dies­mal nimmt Nico­las kei­ne Notiz davon. Erst als Madame Godin die Küchen­tür auf­reißt und ins Wohn­zim­mer der groß­bür­ger­li­chen Resi­denz gegen­über des Petit Tria­non im Park von Ver­sailles stürmt – die Absät­ze ihrer brau­nen Pumps von Yves Saint Lau­rent kla­ckern wütend über das Par­kett –, sich kopf­schüt­telnd vor ihm auf­baut und anschickt, den Fern­se­her mit spit­zem Fin­ger aus­zu­schal­ten, klärt sich der Blick des Zehn­jäh­ri­gen. »Kel­ly Gar­rett«, stam­melt er ver­zückt, die Sil­ben glei­ten ihm wie ein kleb­ri­ges Bon­bon über die Lip­pen, und als er kurz dar­auf am Wasch­be­cken steht, um sich die Hän­de zu waschen, lässt er sein Spie­gel­bild wis­sen, dass die­sel­be wohl die schöns­te Frau der Welt ist.

Mit Ser­ge Gains­bourg ist es ihm zwei Jah­re zuvor ganz ähn­lich ergan­gen. Das nicht, weil der­sel­be son­der­lich schön gewe­sen wäre – Nico­las’ Mut­ter wür­de auch heu­te noch dar­auf schwö­ren, dass der Sän­ger sich nie­mals wäscht –, son­dern viel­mehr, weil die Musik so schön war, mit der man im Wer­be­fern­se­hen eine beson­ders beque­me Matrat­ze bewarb: »Je vais et je viens ent­re tes reins«. Mit acht Jah­ren war Nico­las natür­lich noch viel zu jung, um den dop­pel­bö­di­gen Witz der Rekla­me zu ver­ste­hen. Mit zehn Jah­ren sieht das aber völ­lig anders aus. Und ja, die Brü­net­te aus »Drei Engel für Char­lie« ist für ihn ganz ohne Zwei­fel die aller­schöns­te Frau der Welt.

1996. Nico­las ist sechs­und­zwan­zig Jah­re alt. Das Archi­tek­tur­stu­di­um, das er auf Drän­gen des Vaters begon­nen hat, füllt ihn nicht aus. »Ich möch­te kei­ne Häu­ser bau­en, mich nicht mit Glas und Beton befas­sen«, sagt er am Tele­fon zu sei­ner Mut­ter, und merkt, wie es unter der Ober­flä­che bro­delt. Er möch­te Land­schaf­ten bau­en. Klang­land­schaf­ten. In sei­ner Dach­ge­schoss­woh­nung im Mont­mart­re hat er sich des­halb ein impro­vi­sier­tes Auf­nah­me­stu­dio ein­ge­rich­tet. Key­boards und Syn­the­si­zer ste­hen zwi­schen halb­vol­len Kaf­fee­tas­sen, ein in die Jah­re gekom­me­ner Vier-Spur-Recor­der, der als Misch­pult genutzt wird, thront über allem. »Chill, maman!«, sagt er schließ­lich und legt auf. Kaum aber, dass er das Gespräch been­det hat, klin­gelt es erneut. Es ist Jean-Benoît.

»Kannst du dich noch an das Gefühl erin­nern, als Kind vor dem Fern­se­her zu sit­zen?«, sagt Nico­las wenig spä­ter zu dem­sel­ben. Jean-Benoît schaut von dem geschwun­ge­nen Nie­ren­tisch auf, auf des­sen blank polier­ter Ober­flä­che er gera­de ein dau­men­na­gel­gro­ßes Pie­ce zer­brö­selt hat, und grinst. »Nur zu gut«, sagt er schließ­lich, und öff­net gedank­lich die Tür zu sei­nem Kin­der­zim­mer. Dort sit­zen Stars­ky und Hutch zusam­men mit den Astro­nau­ten der Mond­ba­sis Alpha – wun­der­sam, dass kei­ner auch nur um einen Tag geal­tert ist –, und auch die drei Engel für Char­lie sehen im Biki­ni noch immer blen­dend aus. »Kel­ly Gar­rett«, beginnt Jean-Benoît, bevor Nico­las ihm ins Wort fällt: »Kel­ly Gar­ret war für mich die aller­schöns­te Frau der Welt«. Bei­de lachen. »Wenn dir eine ver­trau­te Hand sanft über den Hin­ter­kopf streicht«, sagt Nico­las, »so fühlt sich das an«. Jean-Benoît hat sich schon wie­der dem Joint zuge­wandt: »Wie pures Oxytocin«.

Ein Gefühl von Gebor­gen­heit: nicht nur beim Men­schen steu­ert das Hor­mon Oxy­to­cin das Wohl­be­fin­den. Auch unse­ren Hun­den ist die hor­mo­nel­le Bestä­ti­gung für Lie­be und Ver­trau­en bekannt – und das sogar schon vor der Geburt. Des­halb ist es beson­ders wich­tig, der Hün­din wäh­rend der Träch­tig­keit eine auf­merk­sa­me und für­sorg­li­che Betreu­ung zukom­men zu las­sen, und sie ins­be­son­de­re vor Stress zu schüt­zen. Die feta­le Pro­gram­mie­rung durch Oxy­to­cin und Kor­ti­sol – ein Hor­mon, das bei Stress ver­mehrt frei­ge­setzt wird – hin­ter­lässt näm­lich lebens­lan­ge Spu­ren. Wird der Blut­kreis­lauf der unge­bo­re­nen Wel­pen oft und dau­er­haft durch Kor­ti­sol über­flu­tet, führt das zu Ver­än­de­run­gen in den Stress­zen­tren des Gehirns und das Risi­ko für kör­per­li­che und geis­ti­ge Ent­wick­lungs­stö­run­gen steigt. Wel­pen, die prä­na­ta­lem Stress aus­ge­setzt sind, bil­den weni­ger Rezep­to­ren für Oxy­to­cin aus, und zei­gen des­halb oft­mals lebens­lang eine erhöh­te Stress­an­fäl­lig­keit und ein impul­si­ve­res Ver­hal­ten, bis hin zur Aggression.

Eine erhöh­te Kor­tisol­kon­zen­tra­ti­on wäh­rend der Träch­tig­keit führt aber nicht nur dazu, dass die Wel­pem ängst­li­cher und ner­vö­ser zur Welt kom­men. Sie wirkt sich auch auf das Geburts­ge­wicht der Wel­pen und die täg­li­che Gewichts­zu­nah­me aus. Wäh­rend die Bedeu­tung einer aus­ge­wo­ge­nen und nähr­stoff­rei­chen Ernäh­rung der träch­ti­gen Hün­din all­ge­mein bekannt ist, wird der Ein­fluss von Kor­ti­sol auf den Ener­gie­ver­brauch der unge­bo­re­nen Wel­pen nur zu ger­ne über­se­hen. Ein wei­te­rer Grund also, für ein Chill Out. Gera­de in den letz­ten Wochen der Träch­tig­keit. 

In der sieb­ten Träch­tig­keits­wo­che sind die Wel­pen im Mut­ter­leib schon weit ent­wi­ckelt – und da nun auch das Grö­ßen­wachs­tum immer schnel­ler vor­an­schrei­tet, sieht man das auch der träch­ti­gen Hün­din an. Die äuße­ren Lini­en ver­än­dern sich dras­tisch, das Gesäu­ge ent­wi­ckelt sich – und mit etwas Glück las­sen sich auch bereits die ers­ten Bewe­gun­gen der Wel­pen durch die Bauch­de­cke ertas­ten. Alles berei­tet sich vor. Und auch wir tref­fen die letz­ten Vor­be­rei­tun­gen für die anste­hen­de Geburt – besor­gen, was noch besorgt wer­den muss, und bau­en die Wurf­kis­te auf. Damit die Hün­din sich vom Rudel zurück­zie­hen, in Ruhe ihre Wel­pen zur Welt brin­gen und auf­zie­hen kann. Weil Ster­ne nicht ein­fach vom Him­mel fal­len. Weil auch Ster­ne gebo­ren wer­den.

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