Sterne fallen nicht einfach vom Himmel, Sterne werden geboren: ein bisschen Chill-Out für die trächtige Hündin in der siebten Trächtigkeitswoche.
The stars, the stars.
Air (1998)
Nicolas weiß nicht, wie lange seine Mutter schon nach ihm ruft. »Eteins la télé et lave-toi les mains«, schrillt ihre Stimme durch die mit dunkelbraunem Furnier verkleidete Durchreiche, »tout de suite!« Aber auch diesmal nimmt Nicolas keine Notiz davon. Erst als Madame Godin die Küchentür aufreißt und ins Wohnzimmer der großbürgerlichen Residenz gegenüber des Petit Trianon im Park von Versailles stürmt – die Absätze ihrer braunen Pumps von Yves Saint Laurent klackern wütend über das Parkett –, sich kopfschüttelnd vor ihm aufbaut und anschickt, den Fernseher mit spitzem Finger auszuschalten, klärt sich der Blick des Zehnjährigen. »Kelly Garrett«, stammelt er verzückt, die Silben gleiten ihm wie ein klebriges Bonbon über die Lippen, und als er kurz darauf am Waschbecken steht, um sich die Hände zu waschen, lässt er sein Spiegelbild wissen, dass dieselbe wohl die schönste Frau der Welt ist.
Mit Serge Gainsbourg ist es ihm zwei Jahre zuvor ganz ähnlich ergangen. Das nicht, weil derselbe sonderlich schön gewesen wäre – Nicolas’ Mutter würde auch heute noch darauf schwören, dass der Sänger sich niemals wäscht –, sondern vielmehr, weil die Musik so schön war, mit der man im Werbefernsehen eine besonders bequeme Matratze bewarb: »Je vais et je viens entre tes reins«. Mit acht Jahren war Nicolas natürlich noch viel zu jung, um den doppelbödigen Witz der Reklame zu verstehen. Mit zehn Jahren sieht das aber völlig anders aus. Und ja, die Brünette aus »Drei Engel für Charlie« ist für ihn ganz ohne Zweifel die allerschönste Frau der Welt.
1996. Nicolas ist sechsundzwanzig Jahre alt. Das Architekturstudium, das er auf Drängen des Vaters begonnen hat, füllt ihn nicht aus. »Ich möchte keine Häuser bauen, mich nicht mit Glas und Beton befassen«, sagt er am Telefon zu seiner Mutter, und merkt, wie es unter der Oberfläche brodelt. Er möchte Landschaften bauen. Klanglandschaften. In seiner Dachgeschosswohnung im Montmartre hat er sich deshalb ein improvisiertes Aufnahmestudio eingerichtet. Keyboards und Synthesizer stehen zwischen halbvollen Kaffeetassen, ein in die Jahre gekommener Vier-Spur-Recorder, der als Mischpult genutzt wird, thront über allem. »Chill, maman!«, sagt er schließlich und legt auf. Kaum aber, dass er das Gespräch beendet hat, klingelt es erneut. Es ist Jean-Benoît.
»Kannst du dich noch an das Gefühl erinnern, als Kind vor dem Fernseher zu sitzen?«, sagt Nicolas wenig später zu demselben. Jean-Benoît schaut von dem geschwungenen Nierentisch auf, auf dessen blank polierter Oberfläche er gerade ein daumennagelgroßes Piece zerbröselt hat, und grinst. »Nur zu gut«, sagt er schließlich, und öffnet gedanklich die Tür zu seinem Kinderzimmer. Dort sitzen Starsky und Hutch zusammen mit den Astronauten der Mondbasis Alpha – wundersam, dass keiner auch nur um einen Tag gealtert ist –, und auch die drei Engel für Charlie sehen im Bikini noch immer blendend aus. »Kelly Garrett«, beginnt Jean-Benoît, bevor Nicolas ihm ins Wort fällt: »Kelly Garret war für mich die allerschönste Frau der Welt«. Beide lachen. »Wenn dir eine vertraute Hand sanft über den Hinterkopf streicht«, sagt Nicolas, »so fühlt sich das an«. Jean-Benoît hat sich schon wieder dem Joint zugewandt: »Wie pures Oxytocin«.
Ein Gefühl von Geborgenheit: nicht nur beim Menschen steuert das Hormon Oxytocin das Wohlbefinden. Auch unseren Hunden ist die hormonelle Bestätigung für Liebe und Vertrauen bekannt – und das sogar schon vor der Geburt. Deshalb ist es besonders wichtig, der Hündin während der Trächtigkeit eine aufmerksame und fürsorgliche Betreuung zukommen zu lassen, und sie insbesondere vor Stress zu schützen. Die fetale Programmierung durch Oxytocin und Kortisol – ein Hormon, das bei Stress vermehrt freigesetzt wird – hinterlässt nämlich lebenslange Spuren. Wird der Blutkreislauf der ungeborenen Welpen oft und dauerhaft durch Kortisol überflutet, führt das zu Veränderungen in den Stresszentren des Gehirns und das Risiko für körperliche und geistige Entwicklungsstörungen steigt. Welpen, die pränatalem Stress ausgesetzt sind, bilden weniger Rezeptoren für Oxytocin aus, und zeigen deshalb oftmals lebenslang eine erhöhte Stressanfälligkeit und ein impulsiveres Verhalten, bis hin zur Aggression.
Eine erhöhte Kortisolkonzentration während der Trächtigkeit führt aber nicht nur dazu, dass die Welpem ängstlicher und nervöser zur Welt kommen. Sie wirkt sich auch auf das Geburtsgewicht der Welpen und die tägliche Gewichtszunahme aus. Während die Bedeutung einer ausgewogenen und nährstoffreichen Ernährung der trächtigen Hündin allgemein bekannt ist, wird der Einfluss von Kortisol auf den Energieverbrauch der ungeborenen Welpen nur zu gerne übersehen. Ein weiterer Grund also, für ein Chill Out. Gerade in den letzten Wochen der Trächtigkeit.
In der siebten Trächtigkeitswoche sind die Welpen im Mutterleib schon weit entwickelt – und da nun auch das Größenwachstum immer schneller voranschreitet, sieht man das auch der trächtigen Hündin an. Die äußeren Linien verändern sich drastisch, das Gesäuge entwickelt sich – und mit etwas Glück lassen sich auch bereits die ersten Bewegungen der Welpen durch die Bauchdecke ertasten. Alles bereitet sich vor. Und auch wir treffen die letzten Vorbereitungen für die anstehende Geburt – besorgen, was noch besorgt werden muss, und bauen die Wurfkiste auf. Damit die Hündin sich vom Rudel zurückziehen, in Ruhe ihre Welpen zur Welt bringen und aufziehen kann. Weil Sterne nicht einfach vom Himmel fallen. Weil auch Sterne geboren werden.
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