Aquarellierte Bleistiftzeichnung eines Border Collie Welpen, der einen blühenden Apfelzweig hält, in einem Skizzenbuch, das unter einem Strauß Tulpen auf einem braunen Holztisch liegt
14|03|2024 – Unser H-Wurf fei­ert sei­nen 3. Geburtstag

Mehr und immer noch mehr: eine Geschichte über Zufriedenheit – für unseren H-Wurf zu seinem dritten Geburtstag.

Von der Fabrik am ande­ren Ufer des Flus­ses steigt Rauch auf. An Tagen, an denen der Ost­wind über die Docks von Rother­hi­the weht, trägt er den schwef­li­gen Geruch über das Was­ser hin­über. Wer nicht die Nase eines Hun­des besitzt, bemerkt das kaum – zu vie­le ande­re Gerü­che strö­men in den schma­len Gas­sen, die sich zwi­schen den Lager­häu­sern erstre­cken, auf die Men­schen ein. Der fei­nen Nase eines Hun­des aber kann der fau­li­ge Geruch unter tau­send ande­ren nicht ent­ge­hen – wes­halb auch die­ser eine, der sich zum Schla­fen in einen feuch­ten Ver­schlag unweit der Kai­mau­ern zurück­ge­zo­gen hat, nicht umhin kommt, ange­wi­dert den Kopf zu heben. 

Im Auf­ste­hen streckt sich der Hund und lauscht nach den Stim­men, die von drau­ßen zu ihm hin­ein in das Halb­dun­kel drin­gen. Vor Tages­an­bruch klin­gen die­sel­ben zumeist wie ein keh­li­ges Bel­len. Um die Mit­tags­zeit mischt sich dann und wann auch der glo­cken­hel­le Klang freund­li­cher Stim­men dar­un­ter, der zum Abend hin schließ­lich von schril­lem Zetern und Kei­fen abge­löst wird. Das aber, was gera­de an sei­ne Ohren dringt, ent­spricht nichts von alle­dem. Es ist ein ange­streng­tes Äch­zen. Und das Hol­pern eines Kar­rens, der über das unebe­ne Pflas­ter gezo­gen wird. Vor­sich­tig schiebt der Hund mit der Schnau­ze eines der losen Bret­ter bei­sei­te, zwi­schen denen er am Vor­abend in den Ver­schlag hin­ein geschlüpft ist, und schaut hin­aus. Der Kar­ren ist schon um die nächs­te Ecke ver­schwun­den. Vor ihm auf dem Pflas­ter aber liegt ein saf­ti­ges Stück Fleisch.

Kaum, dass der Hund sich hin­aus gezwängt hat, um an den ver­lo­re­nen Fleisch­bro­cken zu gelan­gen, erspäht er schon einen ande­ren, der ganz offen­sicht­lich die glei­che Absicht ver­folgt. Jener mag zwar etwas klei­ner sein und kür­ze­re Bei­ne haben – er selbst misst von den Pfo­ten bis zur Schul­ter einen guten hal­ben Meter und braucht wohl kaum mehr, als drei lang gestreck­te Sät­ze, um sich den Bro­cken zu schnap­pen –, hat aber von der Holz­kis­te, von der er her­un­ter blickt, das Fleisch gleich vor sich lie­gen. Zeit, um noch wei­ter zu zögern, bleibt ihm folg­lich nicht – wes­halb er sogleich mit gebleck­ten Zäh­nen vor­an stürmt, und die­sel­ben tat­säch­lich vor dem ande­ren in den Fleisch­bro­cken gra­ben kann. Bevor es ihm aber gelin­gen will, die Beu­te hin­un­ter zu schlin­gen, ist auch der ande­re Hund dort ange­langt und stellt sich ihm kläf­fend gegen­über. Will er sich nicht auf eine wil­de Bei­ße­rei ein­las­sen, muss er flüch­ten. Ruck­ar­tig hebt er also den Kopf. Und rennt.

Lime­house, am Nord­ufer der Them­se gele­gen, ist zu jener Zeit von meh­re­ren Kanä­len durch­zo­gen, die die schiff­ba­ren Gewäs­ser im Nor­den mit den Docks am Regent’s Canal ver­bin­den. Der Lime­house Cut, der sich fast schnur­ge­ra­de bis zum Abzweig des Bow Creek am River Lea zieht, ist einer davon – gera­de so breit, um einem Han­dels­schiff die Pas­sa­ge gewäh­ren zu kön­nen, und mit zwei gro­ßen Stau­toren an bei­den Enden ver­se­hen. Am west­li­chen davon fällt in die­sem Augen­blick einem Hafen­ar­bei­ter ein Hund auf, der im Fang ein gro­ßes Stück Fleisch mit sich trägt. Auf­ge­regt blickt jener sich in alle Rich­tun­gen um, bevor er sich anschickt, auf den höl­zer­nen Lauf­steg am Kopf des Stau­tores zu sprin­gen. Kaum, dass er die Mit­te erreicht hat, bleibt der Hund aber ste­hen und senkt den Kopf – bei­na­he so, als wol­le er das Bild in Augen­schein neh­men, das sich weit unter ihm im trü­ben Was­ser spie­gelt. Zwei Hun­de mit zwei Fleisch­stü­cken bli­cken sich dort also an – einer hoch oben auf dem luf­ti­gen Lauf­steg und einer unten im Was­ser –, und bei­den tropft es gie­rig von den Lef­zen. »Auch das, was du mit dir trägst, will ich besit­zen«, scheint der eine dem ande­ren, schei­nen bei­de ein­an­der zuzu­ru­fen. Und weil das lau­te Bel­len der Gier schließ­lich auch die Ver­nunft über­tönt, haben bei­de nach einem beherz­ten Sprung nichts – und das Was­ser alles.

»Sei zufrie­den mit dem, was du hast«, will die zugrun­de­lie­gen­de römi­sche Fabel bedeu­ten. Und: »Wenn du mit dem, was du hast, nicht zufrie­den bist, wärst du auch nicht zufrie­den, wenn es ver­dop­pelt wür­de«. Auch als Hun­de­be­sit­zer tut man nicht schlecht dar­an, sich das immer wie­der ins Gedächt­nis zu rufen. Sich nicht zu sehr mit ande­ren zu ver­glei­chen, nur weil deren Hun­de den Ein­druck erwe­cken, schö­ner, schnel­ler, erfolg­rei­cher – oder schlicht­weg bes­ser erzo­gen zu sein: »Wenn dich dein Hund, mit all sei­nen Feh­lern und Unzu­läng­lich­kei­ten, nicht glück­lich macht, wür­de es ein ande­rer auch nicht tun«. 

Zum Geburts­tag wün­sche ich unse­rem H-Wurf und sei­nen Men­schen des­halb Glück und Zufrie­den­heit. Dass Mensch und Hund sich ohne fal­sche Gier anbli­cken – und erken­nen, was sich vom eige­nen Selbst im ande­ren spie­gelt. 

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