Acht Wochen: über Abschiede und Erinnerungen – und was unsere sieben Border Collie Welpen hoffentlich außerdem in ihre Koffer gepackt haben.
1957 sind es Welten, die Judy Garland von dem grenzenlosen Optimismus ihrer frühen Filmkarriere trennen. Dass sie mit Mitte dreißig längst nicht mehr das frische, überschwängliche Mädchen in den rubinroten Slippern ist, das sie im »Zauberer von Oz« bekannt gemacht hat, ist offensichtlich. Sie hat drei Kinder, zwei Ehen hinter sich, und um die dritte steht es auch nicht zum Besten. Aber daran stört sie sich auch gar nicht. Nein, sie hat es satt. Satt, die immer gleichen fröhlichen Lieder singen zu müssen. Weil sie gelernt hat, dass das Leben nach der nächsten Klappe keine heitere Wendung nimmt, und dass der Herzschmerz, dem sich auf der Leinwand ganz einfach mit einem hoffnungsvollen Lied begegnen lässt, im echten Leben oft genug endgültig ist. Der unerschütterliche Glaube, dass am Ende doch noch alles gut wird – mehr als dreißig Mal hat man sie im Lauf ihrer Karriere in dieser Rolle inszeniert – ist dahin.
Schon 1950 ist sie von MGM aufgrund persönlicher und gesundheitlicher Probleme entlassen worden. Dass sie diese maßgeblich der Arbeitsweise des Studios zu verdanken hat – schon als Jugendliche haben ihr die Filmemacher Benzedrin verabreicht, um ihr Gewicht zu kontrollieren, und sie mit verschiedensten Barbituraten ruhig gestellt –, kann auch nichts an dem Bruch ändern. Der einzige Film, den sie in den folgenden Jahren dreht, spiegelt diesen Bruch eindrucksvoll wider – und auch, wenn sie bei der Oscarverleihung 1955 der Darbietung von Grace Kelly unterliegt, die statt ihr als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wird, lässt ihre Leistung nicht nur den Kritikern das Herz bluten: der Rausch, das Leid und die Einsamkeit, die ihr in »Ein Stern geht auf« widerfahren, sind Erfahrungen, die sie selbst nur allzu gut kennt.
Als sie 1957 ins Studio geht, um bei Capitol Records ein neues Album aufzunehmen, ist es also nur konsequent, dass sie sich für den programmatischen Titel »Alone« entscheidet. Auch wenn sie selbst keine Jazzsängerin ist – sie hat mit dem Jazz geflirtet und ein Talent dafür bewiesen, ihn gekonnt nachzuahmen –, ist ein Großteil der Lieder, die sie auf dem Album versammelt, jener Stilrichtung zuzuordnen. Allen gemein ist das Gefühl von Wehmut und Einsamkeit. Von Abschied und Verlust. »Just a Memory«, 1927 von Ray Henderson, Lew Brown und Buddy de Sylva für ein schnell vergessenes Broadway-Musical geschrieben, ist eines davon.
»Die Tage, die wir miteinander verbracht haben, sind nur noch Erinnerung«, singt sie zum vollen Orchester, »und auch das Glück scheint nichts anderes zu sein«. Ihre Stimme ist sanft, genauso wie die säuselnden Flöten, bis sie Im Chorus schließlich zu beben beginnt. »Werden wir die Nacht, den Mond und die Sterne über uns noch einmal teilen«, fragt sie den namenlosen Geliebten. Und dann sich selbst, ob sie noch einmal »hoffen, singen, lachen und lieben« kann. Die Antwort darauf kennt nur ein einsames Klavier, das verhalten die letzten Akkorde über den verklingenden Streichern anschlägt. Zurück bleibt nur ein leises Knistern. Und dann nichts mehr.
Während den Wochen der Welpenaufzucht gibt es nicht wenige Tage, an denen das besagte leise Knistern am Ende der Schallplatte äußerst verheißungsvoll erscheint. Endlich wieder einmal ausschlafen können, verspricht es. Nichts tun, nicht putzen müssen. Und statt dem nach Aufmerksamkeit heischenden Jaulen eines Welpen nur Stille hören. Stille, die nichts fordert. Die nichts verlangt. Denn so schön und erfüllend es auch sein mag, einen Wurf aufwachsen zu sehen, bleibt es schlussendlich doch eine anstrengende Aufgabe, den Bedürfnissen der Welpen gerecht zu werden – gerade weil die eigenen grundsätzlich hintangestellt werden müssen. Statt zu schlafen, wird noch eine weitere Tasse Kaffee getrunken. Und statt auszuruhen, jede Minute dazu genutzt, die Welpen bestmöglich auf ihr zukünftiges Leben vorzubereiten. Weil acht Wochen, so lang sie an solchen Tagen auch scheinen mögen, kurz sind – und keine Versäumnisse dulden.
Ein Welpe, der in den ersten Lebenswochen zu wenig gefordert und gefördert wird – der durch den Züchter zu nachlässig aufgezogen und während der Prägung mit zu wenigen Reizen konfrontiert wird –, wird es in seinem späteren Leben genauso schwer haben, wie einer, der durch zu viel züchterische Einflussnahme überfordert wird. Es will also nicht nur überlegt werden, was dem Welpen in den Koffer gepackt wird, sondern auch, wie viel davon. Neben dem Offensichtlichen – dem Drinnen und Draußen, dem Leisen und Lauten, dem Harten und Weichen, dem Festen und Beweglichen – und dem Notwendigen – den Autofahrten und Tierarztbesuchen –, steht immer die gute Sozialisierung mit dem Menschen im Vordergrund. Der Mensch, der sich in ungewohnten Situationen als souveräner Mutmacher erweist. Der Mensch, dem der Welpe bereitwillig und ohne Scheu nachfolgt. Der Mensch, der für den Welpen nachvollziehbare Grenzen setzt. Bloß für sich selbst nicht. Deshalb wiegt der Gedanke an den Auszug der Welpen – die Tage, die wir miteinander verbracht haben, sind nur noch Erinnerung – auch an den meisten Tagen der Welpenaufzucht ziemlich schwer.
Ein Stück des eigenen Herzens in jedem Koffer. Die Nacht, den Mond, die Sterne mit dazu. Und Hoffnung. Ganz viel davon. Damit sie für ein ganzes, neues Leben reicht.
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