Leben heißt Veränderung: warum das auch unseren Border Collie Welpen in der vierten Lebenswoche bewusst wird – und mehr.
Hätte man den jungen Claes Van Winkle danach gefragt, wie er sich die Zukunft vorstellte, dann hätte seine Antwort am Morgen des 26. Februar 1808 nur wie folgt lauten können: anders. Claes war vierzehn Jahre alt, verglichen mit den gleichaltrigen Söhnen der Bauern, die auf einem der umliegenden Höfe lebten, für sein Alter aber nicht sonderlich hoch gewachsen. Dass es ihm an diesem Morgen kaum gelingen wollte, die störrische Kuh durch das Gatter zu treiben, das die Weide mit Blick auf den Hudson River vom Farmhaus der Van Winkles trennte, lag also nicht allein am Gemüt derselben, sondern auch an der wenig beeindruckenden Gestalt des Jungen. Wie anders die Zukunft aussehen sollte, hätte er nicht beanworten können – an diesem Morgen hätte es ihm schon genügt, mit den Füßen nicht mehr im feuchten Schlamm stecken zu müssen –, und weil es ihm schließlich doch gelang, die besagte Kuh durch das Gatter zu bewegen, dachte er auch nicht weiter darüber nach. Dass ein Mann namens Theodore Roosevelt zum sechsundzwanzigsten Präsidenten der Vereinigten Staaten werden und am 26. Februar 1908 – auf den Tag genau einhundert Jahre später – einen Knopf drücken sollte, mit dem sich die Zukunft auch die niederländische Siedlung am Hudson River einverleiben würde, hätte er sich ohnehin nicht vorstellen können.
Kurz nachdem der Präsident mit einem Knopfdruck im Weißen Haus den Linienverkehr der neueröffneten Untergrundbahn in Gang gesetzt hatte, die Manhattan und New Jersey miteinander verband, verschwand auch das baufällige Farmhaus, in dem zuletzt die Urenkel von Claes Van Winkle gelebt hatten. 1912 wurde unweit davon die Summit Avenue Station errichtet – und weil der damit eingeläutete Wandel nach modernen Gebäuden verlangte, musste ein Großteil der ursprünglichen Bebauung weichen. Auch das rote Backsteingebäude mit dem weiß getünchten Uhrturm, in dem sich das Jersey Journal erst 1911 eingerichtet hatte, wurde im Zuge dessen abgerissen. Der neu entstandene Platz, an dem sich die Zeitung 1923 niederließ, wurde deshalb auch nach ihr als Journal Square benannt. Filmtheater und Nachtklubs zogen – dem Zeitgeist entsprechend – bald darauf nach. Und wer an der breiten Kreuzung mit dem Hudson Boulevard stand, hörte statt muhender Kühe nur noch eines: Jazz.
Benny Goodman war es zu verdanken, dass das neue, swingende Lebensgefühl am Journal Square sich auch über die Stadtgrenzen hinaus verbreitete. Der Jersey Bounce, den er 1942 als erster von vielen Jazzmusikern mit seinem Orchester aufnahm, wurde von den Radiostationen im ganzen Land rauf und runter gespielt. In New York tanzte man dazu, genauso wie in Los Angeles – und weil sich auch die Streitkräfte der US Air Force dem kaum entziehen konnten, war einer der im Zweiten Weltkrieg eingesetzten Bomber bald als Jersey Bounce bekannt. Der tat schließlich auch nichts anderes, als Veränderung zu bringen. Und weil Leben immer schon Veränderung bedeutet hat, war der Jersey Bounce dazu der Beat.
In der vierten Lebenswoche bekommen das auch unsere Welpen zu spüren – und das nicht nur, weil durch den steigenden Energiebedarf der Sieben nunmehr der Zeitpunkt gekommen ist, die Hündin zu entlasten und die erste Mahlzeit anzubieten. Auch räumlich zeichnet sich zum Ende der vierten Lebenswoche eine Veränderung ab. Die Wurfkiste, die in den ersten drei Lebenswochen der Welpen als Lebensmittelpunkt gedient hat, wird abgebrochen – und weil selbst das erweiterte Wurfzimmer kaum genug Fläche bietet, um den singenden, swingenden Welpen auf Dauer ein Zuhause zu bieten, steht zum Wochenende auch der erste Umzug an. Von dort ist es nicht weit bis in den Garten, wo neue Reize darauf warten, von den Welpen entdeckt zu werden. »Das schmeckt, das riecht, das sieht aus wie die Zukunft«, denke ich. Und vielleicht muht irgendwo auch eine Kuh.
© Johannes Willwacher