Unser A-Wurf feiert seinen 11. Geburtstag: über die abstrakte Vorstellung von Alter, mit der Hunde herzlich wenig anfangen können.
Die Hunde haben das Auto schon bemerkt, bevor es über die Bordsteinkante rumpelt. Der elfjährige Rüde ist der erste, der mit lautem Bellen aufspringt, um den Platz hinter der Haustür einzunehmen. Was folgt, müsste streng genommen laut genug sein, um die Stimme zu übertönen, die schon seit Stunden aus den Lautsprechern der Stereoanlage dröhnt, tatsächlich findet das gesprochene Wort aber in dem Tumult hinter der Tür seine Entsprechung. »Der Colliehund hatte sich ihm entgegengeworfen, und nichts glich seiner maßlosen Raserei. Er geiferte, er litt, er wußte nicht, wie sich gebärden vor wütender Zerrissenheit seines Innern, er wand sich, peitschte mit dem Schweif seine Flanken, stemmte die Vorderfüße gegen den Boden und schwang sich in blinder Leidenschaft um sich selber, indem er in Lärm und Tobsucht vergehen zu wollen schien« (vgl. Thomas Mann: Königliche Hoheit, S. Fischer, 1909, S. 294f).
Dass die Zeilen aus Thomas Manns’ zweitem Roman vor mehr als einhundertzwanzig Jahren geschrieben worden sind – der erste Hund der Familie, bei dem es sich nach Aussage des Autors um einen harmlos geisteskranken Aristokraten handelte, hat dafür Pate gestanden (vgl. Thomas Mann: Herr und Hund, S. Fischer, 1919, S. 24f) –, scheint sich dabei genauso wenig der Zeit oder dem Alter beugen zu wollen, wie der elfjährige Rüde, der sich so ausgelassen über die Heimkehr seines Menschen freut.
»Zu den wesentlichsten Eigenschaften, welche den Menschen von der übrigen Natur unterscheiden«, schreibt derselbe Autor an anderer Stelle, »gehört das Wissen von Anfang und Ende und also von der Gabe der Zeit, – diesem so subjektiven, so eigentümlich variablen, nach seiner Nutzbarkeit so ganz dem Sittlichen unterworfenen Element, dass sehr wenig davon sehr viel sein kann«. Das mag vielleicht erklären, warum es nicht nur für diesen, sondern für alle Hunde ein Leichtes ist, sich trotz der grauen Schnauze mitunter noch wie ein Welpe zu gebärden – und warum es für den Hund unerheblich ist, wieviele Geburtstage wir Menschen bereits gezählt haben, um unserer abstrakten Vorstellung von Alter zu entsprechen.
Also tobt der elfjährige Rüde weiter in ausgelassener Freude hinter der Tür. Und ich hoffe, dass es seinen Geschwistern – unserem A-Wurf – an ihrem elften Geburtstag genauso ergeht.
© Johannes Willwacher