Moral und Mitgefühl – und was das Zusammenleben mit einem Hund uns über beides lehren kann: unserem G-Wurf zum vierten Geburtstag.
So here hath been dawning another blue day:
think wilt thou let it slip useless away.
Thomas Carlyle (1795–1881)
Eigentlich sollte die nachstehende Erzählung – so wie die meisten, die ich anlässlich der Geburtstage unserer Würfe geschrieben habe – bloß eines werden: kurz. Dass sie ganz im Gegenteil ein wenig zu lang geraten ist, hat einerseits mit ihrem Gegenstand zu tun: dem Philosophen und Politiker John Stuart Mill, der im viktorianischen England gelebt hat, und der als einer der Vordenker der modernen Tierrechtsbewegung gilt. Zu wenige Worte hätten seiner Person einfach nicht gerecht werden können.
Ein anderer Grund ist aber sicherlich auch, dass dies die erste Erzählung ist, die ich mithilfe von künstlicher Intelligenz geschrieben habe. Die grundlegende Struktur wurde dabei anhand eines Eingabebefehls (»Schreibe eine fiktive Geschichte, bei der sich ein bekannter Philosoph mit einem Hund unterhält«) durch die künstliche Intelligenz erstellt und im dialogischen Austausch weiter ausgearbeitet. Das sogenannte »Training« der KI ersetzt zwar nicht die eigene Haltung und Kreativität – das lässt sich durchaus mit der Arbeit mit einem Hund vergleichen –, führt aber zu detaillierteren Ergebnissen: je präziser die Befehle (»Prompts«) gewählt werden, desto zufriedenstellender fällt die Arbeit mir der KI aus. Auch das dürfte Hundebesitzern nicht fremd sein.
Das Studierzimmer des Hauses wies zur Straße hin, auf der am frühen Morgen schon geschäftiges Treiben herrschte. Zweispännige Kutschen rumpelten über das regennasse Pflaster, und dazwischen hasteten Dienstboten von einer Straßenseite zur anderen, um eilige Besorgungen zu erledigen.
Auch John Stuart Mill, der in seinem Studierzimmer über seinem neuesten Essay brütete, hatte das Dienstmädchen des Hauses zu Besorgungen ausgeschickt. Tags zuvor schon war ihm die Tinte ausgegangen – und weil auf dem Weg durch die Victoria Street, an deren Ende sich der nächstgelegene Schreibwarenhandel befand, ohnehin die Apotheke an der Einmündung zur Orchard Street passiert werden musste, hatte er ihr aufgetragen, auch ein neues Fläschchen der Opiumtinktur zu erwerben, die so zuverlässig jeden Kopfschmerz vertrieb. »Laudanum« hatte er dem Mädchen also auf den Zettel geschrieben, bevor es das Haus verließ, und sie im Gehen noch angewiesen, die Haustür offen stehen zu lassen: »Womöglich wird ein wenig frische Luft auch schon genügen, um diese elenden Schmerzen zu vertreiben!«
Ein Jahr war vergangen, seitdem Mill sein Amt als Abgeordneter des Wahlbezirks Westminster im britischen Parlament angetreten hatte. Obwohl er sich selbst immer wieder versicherte, das Amt bloß zum Wohl der Gemeinschaft angenommen zu haben und keinen persönlichen Nutzen daraus ziehen zu wollen, belastete ihn die feindselige Ablehnung, mit der die weniger liberalen Abgeordneten seinen Ideen begegneten. Die Unterstützung für den Antrag zum Frauenwahlrecht, den fast fünfzehnhundert Frauen gezeichnet hatten, bevor er von Mill im Juni desselben Jahres auf das Drängen seiner Stieftochter ins Parlament eingebracht worden war, hatte sich zu seinem Erstaunen zwar nicht nur auf ein politisches Lager beschränkt, war aber dennoch erfolglos geblieben. Trotz seiner festen Überzeugungen fühlte er sich oft allein in einem Meer von Widerspruch und Gleichgültigkeit. Auch die Kopfschmerzen, die ihm seit Wochen zusetzten, schienen daher zu rühren.
»Aber diese physischen Beschwerden«, hatte er Carlyle kürzlich in einem der Briefe gestanden, die er dann und wann noch mit dem Schriftsteller austauschte, »diese Beschwerden sind nichts im Vergleich zu meinen moralischen Qualen«. Mill und Carlyle waren einander über viele Jahre freundschaftlich verbunden gewesen – daran hatte weder die konservative Haltung, noch die politische Überzeugung des Schriftstellers etwas ändern können –, hatten sich aber aufgrund der Tatsache, dass Carlyle sich nur zu gerne an dem bösartigen Tratsch beteiligt hatte, der schon lange vor der Eheschließung der Eheleute Mill im Umlauf gewesen war, zusehends voneinander entfremdet. »Das einzig erfreuliche Gefühl, das ich mit ihrem Tod verbinden kann, ist, dass ich seit diesem Tag nie wieder ein solches Maß an Schmerz und Verlust erlebt habe«, hatte er Carlyle nach dem Tod von Harriet anvertraut, der sich im Dezember bereits zum achten Mal jähren würde. Derselbe hatte bloß nichtssagend genickt. Und ihr Austausch war oberflächlich geblieben.
Er hatte sich gerade wieder an den Schreibtisch am Fenster gesetzt, als sein Blick auf den zotteligen Hund fiel, der sich unbemerkt einen Weg ins Haus gebahnt hatte. Verblüfft, aber nicht abgeneigt, streckte Mill seine Hand aus, um den Hund heranzuwinken. Der Hund, der den philosophischen Geist des Hauses offenbar erkannt hatte, setzte sich vor Mill und starrte ihn mit klugen Augen an. »Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs, mein treuer Freund?«, fragte Mill den Hund. Und obwohl ihm die Frage beinahe wahnwitzig erschien – der Hund würde ohnehin nicht darauf antworten können –, setzte er noch hinzu: »Hat Harriet dich geschickt?«
Tatsächlich konnte der Hund nicht sprechen, aber sein Blick schien eine Verbindung zwischen ihren Seelen herzustellen. Nicht wenige Schriften, die Mill im Lauf seiner wissenschaftlichen Karriere verfasst hatte, hatten das Tier als fühlendes Wesen herausstellen wollen, das, dem Menschen nicht unähnlich, zu Freuden und Leiden fähig war. Warum sollte also dieser Hund nicht in der Lage sein, dem Leiden seines menschlichen Gegenübers nachzuspüren? Seine Neugier war geweckt. »Komm, wir werden gemeinsam nach draußen gehen«, sagte er.
Die Glocken von Westminster Abbey läuteten neun Uhr, als sie das Haus verließen. Während Mill die Tür hinter sich schloss und den Blick unschlüssig schweifen ließ, steuerte der Hund zielsicher eine der Gaslaternen an, die sich entlang der Straße aufreihten, und hob das Bein. Mill ließ den Gehstock, den ein silberner Knauf in Gestalt eines Löwenkopfes zierte, von der einen in die andere Hand wechseln und folgte schließlich dem Hund. »Verzeihung«, rief er den Passanten im Laufschritt entgegen, die sich dicht auf dem Gehsteig drängten, um nicht den Anschluss an den Hund zu verlieren. Fast hätte er denselben am Abzweig zur Tothill Street eingeholt, als dieser zwischen zwei Pferdefuhrwerken flink die Straßenseite wechselte. Mill, der es ihm gleichtun wollte, stieß mit einem Zeitungsverkäufer zusammen. »Giftmischer von Hertford angeklagt«, schrie derselbe ihm lauthals eine der Schlagzeilen des Tages hinterher, »junge Frau aus Albury stirbt nach einer Kur mit Opium und Arsen!«
Über Storey’s Gate gelangten sie schließlich zum St. James’s Park. Mill dachte, dass er viel zu selten die Gelegenheit nutzte, um ohne besonderen Grund durch die Stadt zu spazieren, und womöglich, weil sich das Laub der Bäume schon zu färben begonnen hatte, fiel ihm auf, wie viel Zeit er auch in diesem Jahr schon verloren hatte. Der breite Weg war von hohen Bäumen gesäumt, hinter denen sich die spiegelnde Oberfläche eines langgezogenen Teichs abzeichnete. Der Hund lief voraus, dem Wasser entgegen, und schreckte ein Entenpärchen auf, das im niedrigen Bewuchs des Ufers Schutz gesucht hatte. Während die Enten über den Teich glitten und der Hund vornüber gebeugt seinen Durst stillte, fasste Mill eine der Bänke ins Auge, die entlang des Weges standen, und ließ sich mit einem zufriedenen Seufzen darauf nieder. Durch das lichte Laub der Bäume konnte er die Dächer des Palasts erkennen, der seit dem Tod des Prinzgemahls vor fünf Jahren aber wie ein Geisterhaus schien. Erst im Frühjahr diesen Jahres hatte man die Königin wieder zu Gesicht bekommen – nur widerwillig war die schwarze Witwe von Windsor zur Parlamentseröffnung von ihrem Landsitz auf der Isle of Wight angereist –, ob die Monarchin sich ohne ihren Albert aber jemals wieder in London heimisch fühlen würde, war ungewiss. »Ach, Harriet«, seufzte Mill.
Nach der Hochzeit waren sie nach Blackheath Park in Greenwich gezogen, weit weg von dem Gerede in den großbürgerlichen Salons. Hinter vorgehaltener Hand hatte man schon lange vor der Eheschließung über die ungehörige Beziehung gesprochen, die Mill mit der verheirateten Harriet Taylor verband. Nachdem sie den Schritt gewagt und Ja zueinander gesagt hatten – John Taylor, Harriets erster Ehemann, war zwei Jahre zuvor verstorben –, schlug das Getuschel aber in offene Feindseligkeit um. Mill konnte sich nicht mehr daran erinnern, welcher seiner Brüder das Wort gegen ihn erhoben hatte, als er sein Ansinnen kundtat, mit Harriet in das Haus am Kensington Square einziehen zu wollen, in dem die Familie seit mehr als zwanzig Jahren gelebt hatte. Er erinnerte sich aber, dass sich das Licht der Gaslaternen in den Pfützen auf dem Pflaster spiegelte, als man ihm und seiner Angetrauten die Türe wies. Dass er gerade jetzt an Blackheath Park denken musste, überraschte ihn nicht, denn die ausgedehnten Grünflächen des St. James’s Park boten eine gewisse Ähnlichkeit zu denen, die das Haus mit den hohen weißen Säulen umgeben hatten, dass sie dort draußen gemeinsam mit Helen, Harriets jüngster Tochter, bezogen hatten. Er dachte darüber nach, wie sehr Harriet die Natur geliebt hatte und wie oft sie gemeinsam durch die Gärten und Parks spaziert waren, während sie ihre Ideen zu Bürgerrechten und sozialen Reformen diskutierten. Wie sehr er doch ihre Diskussionen vermisste!
»Was denkst du über Ethik, mein Freund?«, fragte Mill den Hund, als dieser freudig zu ihm zurückkehrte. »Glaubst du, dass es eine objektive Moral gibt, der alles, das lebt, unterworfen werden kann, oder dass alles relativ ist, und moralische Regeln immer wieder neu verhandelt werden müssen?« Der Hund antwortete nicht, doch sein aufmerksamer Blick schien die philosophischen Gedanken seines Gegenübers zu ergründen.
»Und was ist mit Freiheit«, fuhr Mill fort, »glaubst du, dass wir alle das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung haben sollten, ganz gleich, welcher Art, welcher Rasse, welchem Geschlecht wir angehören?« Der Hund wedelte mit dem Schwanz und sprang ausgelassen herum. »Ja, mein Freund, du hast recht«, lachte Mill, »vielleicht liegt die Moral nicht in komplexen philosophischen Theorien, sondern in den einfachen Freuden, die wir im Leben finden«. Er erinnerte sich an Debatten, die er in seiner Jugend mit dem lange schon verstorbenen Bentham über den Schutz von Arbeitern in Fabriken und Minen oder die Abschaffung der Sklaverei geführt hatte, und er konnte nicht anders, als Parallelen zur Behandlung von Tieren zu ziehen. Hatte derselbe ihn damals nicht auch darauf aufmerksam gemacht, dass ein ausgewachsener Hund verglichen mit einem Säugling viel eher zur Vernunft begabt war? »Wenn wir das Glück anderer Lebewesen fördern können, dann sollten wir es tun, denn es trägt zu unserem eigenen Glück bei«.
Wieder wedelte der Hund mit dem Schwanz und Mill fühlte eine gewisse Befreiung. Er konnte seine Gedanken frei äußern, ohne sich um die Kritik oder das mangelnde Verständnis anderer Menschen zu sorgen. »Wenn eine Handlung das Glück der meisten Menschen fördert«, sagte er, hielt dann aber inne und setzte von Neuem an, »wenn eine Handlung die meisten Lebewesen glücklich macht und das Leiden minimiert, dann ist sie moralisch richtig. Wenn nicht, ist sie falsch«. Zufrieden tätschelte er dem Hund den Kopf.
Schließlich kehrten sie in die Victoria Street zurück, und der Hund verabschiedete sich genauso plötzlich, wie er gekommen war. Mill sah ihm nach, dankbar für die unerwartete Unterbrechung, und gab sich an seinem Schreibtisch unmittelbar daran, seine Empfindungen zu Papier zu bringen. »Ein unerwarteter, aber äußerst willkommener Gefährte hat mich heute auf meinem Spaziergang durch den St. James’s Park begleitet«, begann er den Eintrag in seinem Tagebuch. »Ein lebendiger Beweis für das, was ich in meinen Schriften so oft betont habe – dass die Grenzen der Moral und des Mitgefühls nicht bei der Spezies enden, sondern bei der Fähigkeit zu fühlen und zu empfinden. Dieser Hund, ein stiller Philosoph, gab mir in seiner Gegenwart das Gefühl weniger einsam, weniger abgeschnitten von der Welt zu sein.« Sein Blick fiel auf das Fläschchen Laudanum, dass das Dienstmädchen auf einem Bücherstapel an der Ecke des Schreibtischs abgestellt hatte, und mit einer weit ausholenden Bewegung fegte er es mit dem Handrücken herunter. »Ich bin glücklich«, schrieb er, »ich bin frei«. Er dachte an den Hund. Und lächelte.
Mit den besten Wünschen für Runa, Gethsi, Gucci, Digger, Fire und Ghost: lasst euch von euren Menschen feiern und habt gemeinsam einen besonders glücklichen Tag!
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