Vogelgezwitscher und mehr Frühlingsboten: über tierische Gefühle und menschliche Botenstoffe, die unsere Hunde nicht nur in der Nase kitzeln.
All your life you were only waiting
for this moment to be free.
The Beatles (1968)
Der Regen hat endlich nachgelassen, als ich mich am frühen Morgen mit dem ersten Kaffee auf der Gartenbank niederlasse. Der Hügel, den ich durch das dichte Geäst der Bäume im unteren Garten gerade noch erspähen kann, dampft im ersten Tageslicht. Goldstaub scheint über den Wiesen zu flirren. Während ich den Blick noch verschlafen schweifen lasse – und die fünf Hunde, die nur einen Augenblick früher übermütig aus dem Haus gestürmt sind, sich nach und nach in den Tiefen des Gartens verlieren –, wird die morgendliche Ruhe durch lautes Geschrei aus dem Zwetschgenbaum gestört, der sich – von wildem Efeu überwuchert – gleich zu meiner Rechten erhebt.
Mit zusammengekniffenen Augen kann ich zwischen den grünen Blättern zwei Elstern erkennen, ein Amselmännchen flattert aufgeregt vor beiden herum. Immer wieder bläht sich der gefiederte Schatten vor den beiden schwarz-weißen Rabenvögeln auf, immer wieder stürzt er sich mit wütendem Geschrei den beiden Nesträubern entgegen. Dass zu dem Amselmännchen auch noch ein Weibchen gehört, und sich der Brutplatz der beiden irgendwo zwischen den Blüten der Zwetschge und den Ranken des Efeus befindet, ist mir aus den Vorjahren bekannt – warum das Männchen die beiden Elstern so lautstark von dort zu vertreiben sucht, scheint mir also offenkundig zu sein. Weil sich dieselben von dem zeternden Männchen aber kaum beeindrucken lassen, stelle ich meine Kaffeetasse schließlich auf dem wackligen Gartentisch ab – und mich selbst laut klatschend unter den Zwetschgenbaum. Das zeitigt Erfolg, und vier schwarz-weiße Flügel rauschen freudlos davon.
Als ich zwei Stunden später mit den Hunden von der Morgenrunde zurückkehre, liegt das Amselmännchen tot im hohen Gras. Äußerlich scheint es auf den ersten Blick unversehrt, nur eine kahle Stelle – dort, wo die Flügel im Rücken zusammentreffen – verrät, dass es gewaltsam zu Tode gekommen sein muss. Ich hebe den Blick, kann die Elstern aber nirgends entdecken, bemerke aber schließlich das Amselweibchen, das auf einem der kahlen Äste des Kirschbaums über mir hockt. Dort hockt es auch noch, als ich den Kadaver des Männchens längst entsorgt habe – maßgeblich, damit sich keiner der Hunde daran zu schaffen macht –, und auch am darauffolgenden Tag sehe ich es immer wieder traurig dort oben sitzen.
Lange Zeit hat die Wissenschaft die Möglichkeit abgetan, dass Tiere über Emotionen verfügen, die denen des Menschen ähnlich sind – und auch heute noch herrscht Uneinigkeit darüber, inwieweit sich das Gefühlsleben von Tieren mit unserem eigenen vergleichen lässt. Bei gewissen Verhaltensweisen sei es aus menschlicher Sicht zwar naheliegend, von ähnlichen Grundbedingungen auszugehen – so der Tenor der Wissenschaft –, dennoch dürfe man nicht dem Fehler aufsitzen, dem Tier allzu menschliche Eigenschaften zuzuschreiben, da dasselbe nicht zu seinem Befinden befragt und Beobachtungen immer unterschiedlich gedeutet werden können.
Hormonelle Anteilnahme?
Immerhin bei unseren Hunden haben zahlreiche Studien in den vergangenen Jahren deutliche Zugeständnisse gemacht, und dabei nicht nur herausgefunden, dass Hunde menschliche Emotionen – Wut, Angst, Freude, Traurigkeit, Überraschung und Ekel – anhand der Körpersprache und Mimik lesen können, sondern auch in der Lage sind, diese Emotionen auf sich selbst zu übertragen. Im Rahmen einer Studie, die 2019 an der schwedischen Universität Linköping durchgeführt worden ist – unter den knapp sechzig Probanden befanden sich zahlreiche Border Collies und Shelties –, wurden Hunden und ihren Besitzern über einen längeren Zeitraum wiederholt Fell- und Haarproben entnommen und der physiologische Aufbau analysiert. Das Ergebnis: bei beiden machten sich die gleichen hormonellen Veränderungen bemerkbar, insbesondere der Cortisolspiegel, der Rückschlüsse auf Nervosität und Stress zulässt, stieg bei beiden proportional an. Beobachten ließ sich die hormonelle Anteilnahme aber nur in eine Richtung: Hunde teilten den Stress ihrer Besitzer – nicht umgekehrt.
Ähnliches kann ich auch bei meinen eigenen Hunden beobachten. Während die Fünf sich zu den Zeiten, die ich alleine mit ihnen – und zumeist arbeitend am Schreibtisch – verbringe, eher ruhig verhalten, bricht regelmäßig die Hölle los, wenn meine bessere Hälfte nach Hause kommt. »Du musst hormonell einen ganz besonderen Duft verströmen, anders kann ich mir das nicht erklären«, habe ich also auch schon oft auf seinen Einwand erwidert, gar nichts anders zu machen als ich, »jemand, dem es schwer fällt zu entspannen, und der gedanklich immer schon beim nächsten Schritt ist, den er unternehmen könnte, wird unbewusst vielleicht auch ähnlich auf die Hunde wirken«.
Scheiß Elstern!
»Scheiß Elstern«, zische ich wütend, als ich Tags darauf mit den Hunden im Garten stehe. Noch bevor ich mich anschicken und klatschend unter den Zwetschgenbaum stellen kann, schießen fünf Hunde voran. Und sind kaum einen Augenblick später wieder die einzigen schwarz-weißen Tiere in unserem Garten. Es ist Frühling. Wir fühlen das.
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