Unser Adventskalender – und warum sich Weihnachten zu feiern nur dann falsch anfühlt, wenn man mehr Angst als Hoffnung hat.
Hast du keine Kraft in dir
zu brennen und Licht auszustrahlen,
so verstelle es wenigstens nicht.
Lew Tolstoi, in: Für alle Tage (1904)
Auf dem Schränkchen in der Waschküche steht eine Schale, die einen Sprung hat. Darüber hinaus hat sie auch einen Deckel, der sich an einem blau bemalten Knauf anheben lässt – der aber nur dann angehoben wird, wenn der Rüde am Morgen in den Garten stürmt, um das immer gleiche Bein an der immer gleichen Stelle gegen die immergrüne Hecke zu stemmen. Hat er sein Geschäft erledigt, kommt er umgehend zurück, und wird schließlich – so wie jeden Morgen – mit einem Keks aus der bewussten Schale belohnt.
Als der Rüde aber an diesem Morgen mit federnden Schritten auf die Hecke zuläuft und ich den Deckel der Schale anhebe, bemerke ich, dass kein Keks mehr darinnen ist. Weil ich ihm bei seiner Rückkehr nicht – so wie es die Gewohnheit will – den notwendigen Keks entgegenstrecke, macht der Rüde umgehend kehrt, stürzt erneut auf die Hecke zu und ringt sich drei weitere Tröpfchen ab. Auch dieses Mal bleibt der Keks aus – und dem Rüden nichts anderes übrig, als zu entscheiden: ist seine Erwartungshaltung – sein Bild der Wirklichkeit – falsch und es besteht gar keine zwingende Beziehung zwischen den beiden Dingen, oder hat er sich nur nicht genügend angestrengt?
Frei nach Paul Watzlawick: »Der radikale Konstruktivismus und seine Anwendungsbereiche«,
in: Vom Unsinn des Sinns oder vom Sinn des Unsinns (1992)
Wissen wird vom lebenden Organismus aufgebaut, um den an und für sich formlosen Fluß des Erlebens so weit wie möglich in wiederholbare Erlebnisse und relativ verläßliche Beziehungen zwischen diesen zu ordnen. Das heißt, dass die »wirkliche« Welt sich ausschließlich dort offenbart, wo unsere Konstruktionen scheitern. Da wir das Scheitern aber immer nur in eben jenen Begriffen beschreiben und erklären können, die wir zum Bau der scheiternden Strukturen verwendet haben, kann es uns niemals ein Bild der Welt vermitteln, die wir für das Scheitern verantwortlich machen könnten.
Ernst von Glasersfeld, in: Einführung in den radikalen Konstruktivismus (1981)
Es geht um Gewohnheiten und den Zusammenbruch derselben. Weihnachten zu feiern stellt dabei eine genauso gewohnheitsmäßige Handlung dar, wie der Gang zum Supermarkt, wenn der Kühlschrank leer ist, die Fahrt zum Tierarzt, wenn der Hund lahmt, oder der Griff zum Heizungsregler, wenn es draußen zu frieren beginnt. Zumindest war das für lange Zeit für die meisten von uns so. Jetzt ist jede Gewohnheit zu teuer, und statt der Hoffnung, dass alles bald schon wieder besser werden wird, bleibt nur Unsicherheit gegenüber dieser neuen Wirklichkeit. Fühlt sich Weihnachten in diesem Jahr deshalb auch so hoffnungslos unweihnachtlich an? Oder haben wir uns nur nicht genügend angestrengt?
Ich muss dabei unweigerlich an eine Welpenanfrage aus dem vergangenen Jahr denken. Schon um den Jahreswechsel hatte ich zum ersten Mal mit der Interessentin telefoniert und einen Kennenlernbesuch für die zweite Februarwoche vereinbart. »Den geplanten Besuch müssen wir aufgrund der Wetterlage leider verschieben«, hieß es aber schließlich am Tag davor, weshalb wir uns auf einen neuen Termin zwei Wochen später verständigten. »Unsere Hündin wird frühestens im Mai belegt, es ist also noch ausreichend Zeit«, schrieb ich zurück, »und überhaupt, ob einer der Welpen für sie in Frage kommt, lässt sich frühestens entscheiden, wenn der Wurf einmal geboren worden ist«. Wie sich herausstellte, war das schließlich auch der Grund, warum auch der zweite Besuchstermin kurzfristig abgesagt wurde. »Wir wären sehr traurig, wenn wir uns nun Hoffnung auf einen Welpen machen, am Ende aber leer ausgehen«, las ich, »deshalb möchten wir lieber gleich ganz verzichten«.
Hoffnungslos unweihnachtlich? Nur, wenn man mehr Angst als Hoffnung hat. »Hält warm, auch ohne Gas«, habe ich deshalb trotzig unter den gezeichneten Welpen geschrieben, der in diesem Jahr unsere Weihnachtskarten ziert. Die Wirklichkeit ist da draußen – sie ist kalt und feindselig, dunkel und trist –, aber wir sind hier drinnen. Und wir haben noch Hoffnung. Und Kekse.
Unser Adventskalender
Vierundzwanzig Türchen, das sind – wie auch schon im vergangenen Jahr – vierundzwanzig Bilder. Und für den einen oder anderen unserer Welpenbesitzer vielleicht auch ein freudiges Grinsen, wenn er in der Adventszeit in den Briefkasten schaut!
© Johannes Willwacher