Wenn der erste Wurf, den man aufgezogen hat, seinen zehnten Geburtstag feiert, darf man auch einmal melancholisch werden: vom Festhalten und Loslassen.
Then you say go slow and I fall behind,
the second hand unwinds.
Cyndi Lauper (1983)
Als ich den Wagen an diesem Morgen aus der Einfahrt zurücksetze, lassen sich bloß drei Hunde im Rückspiegel erkennen. Ein jeder hat die Nase gegen eine der Scheiben gedrückt und zeichnet, während der Wagen über die Bordsteinkante rumpelt, eine feuchte Spur auf das beschlagene Glas. Kaum, dass ich den Heizungsregler aufgedreht habe und heiße Luft aus den Lüftungsdüsen strömt, beginnen die drei Zeichnungen aber schon zu verblassen, und als ich den Wagen schließlich nach kurzer Fahrt im Schatten des Windrads geparkt habe, erinnert bloß noch ein feuchtes Glitzern auf der Fensterdichtung daran, dass es sie jemals gegeben hat.
Es hat seinen Grund, dass mir gerade diese Begebenheit in Erinnerung geblieben ist. Dass ich sie nicht nur auf den darauffolgenden Spaziergang mitgenommen habe, sondern sie auch jetzt – während ich mit einem Hund auf meinen Füßen am Küchentisch sitze – noch im Kopf hin und her bewege. Dieser Morgen ist nämlich tatsächlich durch das Gefühl bestimmt, dass nicht nur die Nasenabdrücke auf dem feuchten Glas zu verschwinden beginnen, kaum dass ich es wage, den Blick vom Rückspiegel abzuwenden, sondern dass Gleiches auch für das Jahr, für alle Jahre gilt. »Zehn Jahre«, meint daraufhin der Hund auf meinen Füßen und schmatzt. »Zehn Jahre«, denke ich, und kann den Wagen im Rückspiegel noch immer über die Bordsteinkante rumpeln sehen. Habe noch immer den Geruch von Blut und Fruchtwasser in der Nase. Und das Schmatzen von zwei Welpen in den Ohren, die gerade geboren worden sind. »Zehn Jahre«, denke ich, »was bleibt davon?«
Gegen die Gewohnheit habe ich an diesem Morgen einen Ball in die ausgebeulte Jackentasche gesteckt. Als wir die umzäunten Weiden schließlich hinter uns gelassen haben, auf denen das rotbunte Vieh die letzten saftigen Halme zerkaut, und sich vor uns nur noch baumlose Wiesen erstrecken, über die der Herbstwind erbarmunglos bläst, leine ich die Hunde ab und ziehe den Ball aus der Tasche. Auf den ersten Blick scheint der beinahe zehnjährige Rüde noch nichts von seiner Jugendlichkeit eingebüßt zu haben und stürzt im wilden Galopp den beiden Hündinnen hinterher. Dass er aber längst nicht mehr die Schnelligkeit besitzt, durch die sich die Einjährige im Besonderen auszeichnet, und dass es auch um seine Ausdauer schon besser bestellt gewesen ist, wird schon nach Kurzem offenbar. »Zehn Jahre«, denke ich, und hebe den Ball vom Boden auf, »was bleibt davon?«
Ein Ball will geworfen werden. Man kann ihn nicht festhalten, muss ihn fliegen lassen. Das ist das Spiel. Das ist die Zeit. Und das ist das Leben. Weil auch jedes Blatt erst im Fallen zu fliegen lernt. Also fliegt! Fliegt weiter! »Zehn Jahre«, denke ich, »was ist das schon?«
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