Gerahmtes Acrybild eines Border Collie Welpen im bunten Herbstlaub
13|11|2022 – Unser A-Wurf wird zehn Jah­re alt

Wenn der erste Wurf, den man aufgezogen hat, seinen zehnten Geburtstag feiert, darf man auch einmal melancholisch werden: vom Festhalten und Loslassen.

Als ich den Wagen an die­sem Mor­gen aus der Ein­fahrt zurück­set­ze, las­sen sich bloß drei Hun­de im Rück­spie­gel erken­nen. Ein jeder hat die Nase gegen eine der Schei­ben gedrückt und zeich­net, wäh­rend der Wagen über die Bord­stein­kan­te rum­pelt, eine feuch­te Spur auf das beschla­ge­ne Glas. Kaum, dass ich den Hei­zungs­reg­ler auf­ge­dreht habe und hei­ße Luft aus den Lüf­tungs­dü­sen strömt, begin­nen die drei Zeich­nun­gen aber schon zu ver­blas­sen, und als ich den Wagen schließ­lich nach kur­zer Fahrt im Schat­ten des Wind­rads geparkt habe, erin­nert bloß noch ein feuch­tes Glit­zern auf der Fens­ter­dich­tung dar­an, dass es sie jemals gege­ben hat. 

Es hat sei­nen Grund, dass mir gera­de die­se Bege­ben­heit in Erin­ne­rung geblie­ben ist. Dass ich sie nicht nur auf den dar­auf­fol­gen­den Spa­zier­gang mit­ge­nom­men habe, son­dern sie auch jetzt – wäh­rend ich mit einem Hund auf mei­nen Füßen am Küchen­tisch sit­ze – noch im Kopf hin und her bewe­ge. Die­ser Mor­gen ist näm­lich tat­säch­lich durch das Gefühl bestimmt, dass nicht nur die Nasen­ab­drü­cke auf dem feuch­ten Glas zu ver­schwin­den begin­nen, kaum dass ich es wage, den Blick vom Rück­spie­gel abzu­wen­den, son­dern dass Glei­ches auch für das Jahr, für alle Jah­re gilt. »Zehn Jah­re«, meint dar­auf­hin der Hund auf mei­nen Füßen und schmatzt. »Zehn Jah­re«, den­ke ich, und kann den Wagen im Rück­spie­gel noch immer über die Bord­stein­kan­te rum­peln sehen. Habe noch immer den Geruch von Blut und Frucht­was­ser in der Nase. Und das Schmat­zen von zwei Wel­pen in den Ohren, die gera­de gebo­ren wor­den sind. »Zehn Jah­re«, den­ke ich, »was bleibt davon?«

Gegen die Gewohn­heit habe ich an die­sem Mor­gen einen Ball in die aus­ge­beul­te Jacken­ta­sche gesteckt. Als wir die umzäun­ten Wei­den schließ­lich hin­ter uns gelas­sen haben, auf denen das rot­bun­te Vieh die letz­ten saf­ti­gen Hal­me zer­kaut, und sich vor uns nur noch baum­lo­se Wie­sen erstre­cken, über die der Herbst­wind erbar­mung­los bläst, lei­ne ich die Hun­de ab und zie­he den Ball aus der Tasche. Auf den ers­ten Blick scheint der bei­na­he zehn­jäh­ri­ge Rüde noch nichts von sei­ner Jugend­lich­keit ein­ge­büßt zu haben und stürzt im wil­den Galopp den bei­den Hün­din­nen hin­ter­her. Dass er aber längst nicht mehr die Schnel­lig­keit besitzt, durch die sich die Ein­jäh­ri­ge im Beson­de­ren aus­zeich­net, und dass es auch um sei­ne Aus­dau­er schon bes­ser bestellt gewe­sen ist, wird schon nach Kur­zem offen­bar. »Zehn Jah­re«, den­ke ich, und hebe den Ball vom Boden auf, »was bleibt davon?« 

Ein Ball will gewor­fen wer­den. Man kann ihn nicht fest­hal­ten, muss ihn flie­gen las­sen. Das ist das Spiel. Das ist die Zeit. Und das ist das Leben. Weil auch jedes Blatt erst im Fal­len zu flie­gen lernt. Also fliegt! Fliegt wei­ter! »Zehn Jah­re«, den­ke ich, »was ist das schon?«

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