Letzte Worte, die aber ganz bestimmt nicht die allerletzten sind: für Scotty und Miriam, die sich heute auf den Weg in ihr gemeinsames Leben gemacht haben.
I’ll be your mirror, reflect what you are,
in case you don’t know.
The Velvet Underground (1967)
Es steht geschrieben, dass es vor langer Zeit – unter der Herrschaft des indischen Großkönigs Harsha Vardhana – einen prächtigen Tempel auf einer Anhöhe gab, den man den Tempel der tausend Spiegel nannte. Wer den Säulengang unter dem hoch aufragenden Turm passierte, und den aus rotem Sandstein errichteten Tempel betrat, soll sich darinnen in einem hohen Saal wiedergefunden haben, der an allen Wänden mit fein geschliffenen Spiegeln ausgekleidet war.
Nun begab es sich, dass eines Tages ein junger Hund die Stufen des Tempels hinauf lief und sich in das Innere des Tempels verirrte. Tausend Hunde blickten dem Ärmsten dort drinnen aus tausend Spiegeln entgegen – so viele, dass er es mit der Angst zu tun bekam, das Nackenfell sträubte und die Zähne fletschte. Tausend Hunde taten es ihm gleich – sie knurrten, geiferten und keiften –, und weil der junge Hund sogleich die Flucht ergriff, lebte er bis zu seinem letzten Tag in dem Glauben, die Welt sei ein schlimmer Ort, der nur aus bösen Hunden besteht.
Viele Jahre später soll noch ein zweiter Hund den gleichen Weg gegangen sein – vorbei an den mächtigen Säulen, hinein in das Dunkel unter dem verwitterten Turm. Auch ihm blickten tausend Hunde aus tausend Spiegeln entgegen – allein, dass er sich über die unerwartete Gesellschaft freute, und fröhlich hin und her zu springen begann. Obgleich die Hunde hinter den Spiegeln sich kaum auf sein Spiel einlassen zu wollen schienen – sie jagten vorbei, aber keiner ihm nach –, verließ der Hund den Tempel in der festen Überzeugung, dass ihm jeder, der ihm noch begegnen könne, wohlgesonnen sei.
Nicht wenige werden sich wohl in dem Hund wiedererkennen, der sich und die Welt als schlimm und schlecht begreift. Wenn es nach Lou Reed geht, dann ist auch Nico, die The Velvet Underground für einige Jahre ihre Stimme geliehen hat, ein solcher Menschen gewesen. Einer, der sich selbst nie genug gewesen ist, nie seinen Platz in der Welt gefunden hat. »Jedes einzelne Wort war für sie bestimmt«, sagte der Musiker über das 1966 entstandene I’ll Be Your Mirror, »jedes Wort, nur damit sie sich besser fühlt«. Dass die Liebesbeziehung der beiden kurz darauf zerbrach – auch Spiegel tun das gelegentlich –, und beide musikalisch getrennte Wege gingen, ändert aber nichts an den tiefgreifenden Gefühlen, die sich aus jeder Zeile lesen lassen: »Ich werde der Wind sein, der Regen und der Sonnenuntergang, das Licht an deiner Tür, das dir zeigt, dass du zuhause bist«.
Ein Hund kann ein Spiegel sein. Einer, in dem man nicht nur die besten Seiten seines Selbst, sondern auch die ganze Schönheit der Welt erkennt. Ich wünsche mir, Scotty wird genau dieser Hund für dich sein!
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