Unserem G-Wurf zu seinem dritten Geburtstag: über Hunde und Hundemenschen – und warum die Welt mit beiden um so vieles besser ist.
Wer nie einen Hund gehabt hat, weiß nicht,
was Lieben und Geliebt werden heißt.
Arthur Schopenhauer (1788–1860)
Früher – das heißt, zu Zeiten, als sich meine Arbeitswoche noch zwischen einem Schreibtisch in Frankfurt und dem heimischen Küchentisch aufteilen ließ – habe ich mir bei den Spaziergängen am Main oftmals vorgestellt, Arthur Schopenhauer würde mir begegnen. Obschon mich die Mittagsrunden mit dem Hund zumeist bloß über den nur zwei Querstraßen entfernten Holbeinsteig und kaum zwanzig Minuten später über die Friedensbrücke zurück ins Bahnhofsviertel geführt haben, bin ich an manchen Tagen auch gezielt mainaufwärts gelaufen – weitgehend, um Zeit zu schinden, und die Arbeitszeit am Nachmittag zu verkürzen. Das klassizistische Wohnhaus an der Schönen Aussicht, in dem Schopenhauer während seines letzten Lebensjahres zur Miete gewohnt hat, mag im Zweiten Weltkrieg genauso zerstört worden sein, wie das Nachbarhaus, in dem er bis zu einem Streit mit dem Vermieter mehr als sechzehn Jahre lang gelebt hat – weil aber auch der Philosoph ein eifriger Spaziergänger gewesen ist, der seine Pudel über Jahre am Mainufer ausgeführt hat, ist seine Präsenz dort trotzdem noch zu spüren. Betagt habe ich ihn mir vorgestellt – das weiße Haar wirr und den Backenbart getrimmt, nicht unähnlich dem seines Pudels –, im Gehrock und auf einen Spazierstock gestützt. Vielleicht hätte er aufgeblickt, wenn er mich mit dem schwarz-weißen Hund hätte entgegenkommen sehen. Vielleicht hätte er mir sogar erkennend zugenickt, weil sich Menschenfeinde und Hundefreunde allein schon durch ihre Haltung in der Öffentlichkeit zu erkennen geben. Vielleicht hätten wir im Vorbeigehen ein Gespräch begonnen, es im Flanieren weiter fortgesetzt, und ich darüber die Zeit vergessen. »Die Zeit würde nicht so unaufhaltsam fliehen, wenn irgendetwas, das in ihr ist, des Verweilens wert wäre«, hätte der Philosoph zum Abschied vielleicht bemerkt. Und ich hätte ihm Recht gegeben. Mit einem Blick auf seinen und auf meinen Hund.
Zu seinen Lebzeiten ist Schopenhauer in Frankfurt nur ein geduldeter Permissionist gewesen – einer, der in der Stadt keine Bürgerrechte besaß, und seinen Aufenthalt jährlich neu genehmigen lassen musste. 1833 – im gleichen Jahr, in dem die Frankfurter Paulskirche nach mehr als vierzig Jahren Bauzeit vollendet wurde – hatte sich der erfolglose Privatgelehrte endgültig in der Stadt am Main niedergelassen, die er auf der Flucht vor der Cholera bereits zwei Jahre zuvor kurzzeitig als Wohnsitz erwogen hatte. Mit ihm zog auch ein Pudel nach Frankfurt, von denen er seit seinen Göttinger Studentenjahren bereits viele besessen hatte. »Woran«, soll er gesagt haben, »sollte man sich von der endlosen Verstellung, Falschheit und Heimtücke der Menschen erholen, wenn die Hunde nicht wären, in deren ehrliches Gesicht man ohne Misstrauen schauen kann?« Dass nicht nur der eigene Hund deshalb besondere Privilegien genoss – der Pudel wurde von der Haushälterin bekocht und durfte mit dieser gemeinsam am Tisch speisen –, sondern sich Schopenhauer als Mitgründer des ersten Tierschutzvereins der Stadt auch allgemein für das Tierwohl engagierte, mag aus heutiger Sicht äußerst modern erscheinen. Damals aber belächelte man den Sonderling für seine Tierliebe.
Am vergangenen Donnerstag bin ich nach langer Zeit wieder einmal durch Frankfurt spaziert. Wäre mir diesmal Schopenhauer begegnet, dann hätte er mich – ganz hundelos – womöglich gar nicht wahrgenommen. Wenn doch, dann hätte ich ihm vielleicht von den Hunden berichtet, die ich in den vergangenen zehn Jahren gezüchtet habe. Von den Menschen, die ich dadurch kennenlernen durfte, und wie viel sich in einhundertfünfzig Jahren – für Hunde und auch Hundemenschen – zum Besseren gewandelt hat. Vielleicht würde er aufblicken und lächeln. Vielleicht tun Sie das jetzt auch?
Ob Runa, Gucci, Gethsi, Digger, Fire und Ghost heute zur Feier des Tages auch mit am Tisch sitzen dürfen? Oder ob sie diesen Platz in den vergangenen drei Jahren schon ganz selbstverständlich erobert haben? Das dürfen andere beantworten. Ich kann nur sagen, dass ich mich vor drei Jahren ganz bewusst für jeden ihrer Menschen entschieden habe – weil ein Hundemensch den anderen ganz einfach erkennt. Schön, zu wissen, dass es euch da draußen gibt, und dass diese Welt – mit Verlaub, Herr Schopenhauer – vielleicht doch nicht die schlechteste aller möglichen Welten ist.
© Johannes Willwacher