Gepackte Koffer: was Umweltzerstörung und Hundezucht gemein ist. Und warum kein Züchter auf Selbstkritik verzichten und seine Standards zu tief ansetzen darf.
1970 lag etwas in der Luft - und das gefiel den Songwritern nicht. Zahlreiche Protestsongs, die in diesem Jahr erschienen, und die sich allesamt mit der Zerstörung der Umwelt beschäftigten, dürfen rückblickend als Beweis dafür gelten. »Apeman« von den Kinks, Neil Youngs »After the Gold Rush« oder Cat Stevens’ »Where Do the Children Play?« sind nur einige davon. Die Gründe für die zunehmende Auseinandersetzung mit den Auswirkungen menschengemachter Umweltbelastungen sowie der Endlichkeit an verfügbarer Natur waren ebenso zahlreich, wie konkret.
Die Ölpest vor der Küste des kalifornischen Santa Barbara, bei der durch die Explosion einer Bohrinsel über zehn Tage etwa 3 Millionen Liter Rohöl unkontrolliert in den Pazifik flossen, hatte 1969 weithin für Schock und Empörung gesorgt, und sich als prägend für die Entstehung der modernen Umweltbewegung erwiesen. Gleiches galt für den Cuyahoga River im Nordosten von Ohio, dessen starke Verschmutzung – bedingt durch die unkontrollierte Einleitung von Öl, brennbaren Chemieabfällen und Abwässern – im gleichen Jahr auf den Titelseiten der Presse angeprangert wurde. Nachdem sich der Fluss im Juni 1969 durch den Funkenschlag eines vorbeifahrenden Zugs zum wiederholten Mal entzündet hatte, schrieb auch das TIME Magazine, dass man im Cuyahoga River nicht einfach ertrinken könne, sondern, einmal hineingefallen, schlichtweg verfaulen würde. »Im Unterlauf des Cuyahoga ist kein sichtbares Leben vorhanden«, bemerkte die zuständige Wasserschutzbehörde damals trocken, »nicht einmal einfache Lebensformen, wie Blutegel oder Schlammwürmer halten es hier noch aus«.
»Die sattgrünen Berge, die sich in der Ferne abzeichneten, als ich die Vorhänge zurückzog, verschlugen mir den Atem, eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch«, fasst die kanadische Songwriterin Joni Mitchell die Entstehung eines ihrer bekanntesten Stücke zusammen, das sie 1969 auf ihrer ersten Reise nach Hawaii schrieb, »dann fiel mein Blick nach unten, geradewegs auf den betonierten Parkplatz, der das Hotel umgab, der so weit das Auge reichte kein Grün mehr erblicken ließ«. Die Botschaft, nichts und niemanden als selbstverständlich hinzunehmen – sich nicht nur achtsam mit der Natur, sondern auch mit seinen Mitmenschen auseinanderzusetzen –, hat auch mehr als fünfzig Jahre nach seiner Entstehung nichts an Aktualität eingebüßt. »Don’t it always seem to go, that you don’t know what you’ve got till it’s gone«, singt Joni Mitchell im Refrain. Ist es nicht so, dass sich Wertschätzung und Verlust gegenseitig bedingen? Dass man etwas immer erst dann wirklich zu wertschätzen weiß, wenn man es verloren hat?
Wer einen Stock nimmt, um einem Hund die Augen auszustechen, oder denselben dazu nutzt, um ihn tief ins Fleisch des Hundes zu treiben, der begeht Folter. Gleiches gilt für jemanden, der einem Hund die Beine fesselt, um ihn im Wachstum zu hemmen, der ihn bis zur Besinnungslosigkeit würgt oder ihm vorsätzlich die Haut verbrennt. »Kein Lebewesen auf dieser Welt hat es verdient, so behandelt zu werden«, dürfte die übereinstimmende Meinung der meisten Menschen lauten. Als Züchter müssen wir uns aber – wohl oder übel – oftmals den Vorwurf gefallen lassen, genauso gehandelt zu haben. Genauso kurzsichtig und unüberlegt, genauso gewaltsam und zum Nachteil unserer Hunde. »Don’t it always seem to go, that you don’t know what you’ve got till it’s gone«, lässt sich deshalb vielleicht auch als Antwort auf den Aufschrei in der Züchterwelt verstehen, der mit der Novellierung der Tierschutz-Hundeverordnung in diesem Frühjahr einhergegangen ist. Nicht alles ist gerecht – nicht jede Maßnahme fußt auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen –, aber vieles vielleicht berechtigt. Und weil es auch hier um Achtsamkeit geht: hätten die Leiden, Schmerzen und Schäden, die sich an ästhetische Modeerscheinungen knüpfen, nicht schon viel früher beachtet und in Frage gestellt werden müssen? Und ist die gelbe Kampagne, die wir als Club für britische Hütehunde als Gegenbeweis angeführt haben – und deren grafische Ausgestaltung meine unentgeltliche Aufgabe gewesen ist –, nicht auch ein großes, gelbes Taxi, das längst davon gefahren ist, wenn in den angeschlossenen Vereinen keine konsequente und sichtbare Aufarbeitung erfolgt?
Es geht also darum, hinzuschauen. Das eigene Handeln im Hinblick auf das Mitgeschöpf kritisch zu hinterfragen und die Veränderung nicht abzulehnen, sondern einzuladen. Als Züchter sollte man diesen kritischen Blick zuvorderst beherrschen. Man sollte in der Lage sein, die Stärken und Schwächen seiner Zuchthunde eindeutig zu definieren, Hunde, bei denen die Schwächen überwiegen, gar nicht erst in die Zucht einbringen, und sich bereits im Rahmen der Wurfplanung bemühen, gesundheitliche Risiken zu minimieren und Schwächen auszugleichen. Welche Linien man dabei bedient, ist zweitrangig. Zum einen, weil die Extreme auf beiden Seiten bedenklich bleiben, und zum anderen, weil keine Seite frei von Erbkrankheiten und Wesensmängeln ist. Bloß zu behaupten, dass man anders ist, reicht nicht aus, wenn sich die Andersartigkeit in der Behauptung erschöpft – wenn versäumt wird, genau hinzuschauen.
Während der Welpenaufzucht versuche ich mir deshalb auch immer wieder die Konsequenzen meines Handelns vor Augen zu führen und mir bewusst zu machen, was dieses oder jenes Versäumnis für das weitere Leben jedes Welpen bedeutet. Weil es zu spät ist, wenn die Koffer bereits gepackt sind – wenn die Planierwalzen anrollen, um das Paradies, das jeder Welpe verdient hat, unter Beton zu begraben. In den neun Wochen der Welpenaufzucht bemühe ich mich deshalb, jedem Welpen möglichst viel in den Koffer zu packen – angefangen bei einer gezielten Frühförderung, die für alle Welpen gleich nach der Geburt ansetzt, bis zu individuellen Fördermaßnahmen, die Einfluss auf die Wesensentwicklung jedes Welpen nehmen und ihn bestmöglich auf das spätere Leben vorbereiten sollen. »Don’t it always seem to go, that you don’t know what you’ve got till it’s gone«, klingt es mir mahnend in den Ohren. Laut in den ersten Lebenswochen. Und lauter noch, kurz vor dem Auszug.
Es liegt etwas in der Luft.
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