Fünfzehn Minuten Ruhm – und sechs sitzende Welpen: über Wahrnehmung, Wirklichkeit und Andy Warhols schwarze Sonnenbrille.

Als Nat Fin­kel­stein 1964 zum ers­ten Mal auf Andy War­hol traf, hat­te er bereits zwei Päps­te foto­gra­fiert. Als Foto­jour­na­list war er also ziem­lich gut im Geschäft. Das ers­te Auf­ein­an­der­tref­fen mit dem Künst­ler erfolg­te den­noch eher zufäl­lig. »Mein Agent hat­te mich zu einer Aus­stel­lungs­er­öff­nung im Hun­ting­ton Hart­ford Muse­um geschickt«, erin­ner­te sich Fin­kel­stein in einem Gespräch, das Jah­re danach auf­ge­zeich­net wur­de, »Män­ner in Anzü­gen, die Käse aßen, wäh­rend sie gelang­weilt her­um­stan­den, aber auch eine Frau, die mir unmiss­ver­ständ­lich zu ver­ste­hen gab, dass sie es nicht auf den Käse, son­dern tat­säch­lich auf mich abge­se­hen hat­te«. Weil die bewuss­te Frau jedoch ver­hei­ra­tet und der zuge­hö­ri­ge Ehe­mann mit den Kin­dern zuhau­se war, ent­schloss man sich, statt­des­sen eine Par­ty in der Fac­to­ry von Andy War­hol auf­zu­su­chen. »Wir haben es auf der Couch getan, die Musik war laut, die Men­schen voll­kom­men ver­rückt«, erin­ner­te sich Fin­kel­stein wei­ter, »sie zog sich danach has­tig an, weil jemand unbe­merkt ihre Hand­ta­sche gestoh­len hat­te, ich aber blieb«. Bis War­hol kam.

Fifteen Minutes of Fame

In den fol­gen­den Jah­ren leb­te Fin­kel­stein für die Fac­to­ry. Er foto­gra­fier­te alles und jeden – die Künst­ler, Musi­ker und Pro­mi­nen­ten, die in der Hoch­zeit der Fac­to­ry dort tag­täg­lich ein- und aus­gin­gen –, von Edie Sedgwick über Allen Gins­berg und Bob Dylan bis hin zu Sal­va­dor Dali. Auch War­hol selbst trat immer wie­der vor sei­ne Kame­ra, die Augen meist hin­ter den schwar­zen Glä­sern sei­ner Son­nen­bril­le ver­steckt. Eines die­ser Fotos zeigt den Künst­ler in einer Stra­ßen­sze­ne, spie­len­de Kin­der drän­gen sich in den Vor­der­grund, War­hol selbst hat zur Son­nen­bril­le ein schie­fes Grin­sen auf­ge­setzt. Zu den Kin­dern gesell­te sich noch ein schau­lus­ti­ger Schlach­ter, die wei­ße Schür­ze mit fri­schem Blut befleckt, und weil immer noch wei­te­re Pas­san­ten auf der Stra­ße ste­hen blie­ben, bemerk­te War­hol irgend­wann, dass wohl jeder das Bedürf­nis habe, ein­mal berühmt zu sein. »Yeah, for about fif­teen minu­tes, Andy«, will Nat Fin­kel­stein dar­auf erwi­dert haben. Fünf­zehn Minu­ten Ruhm. Und der Rest ist Geschichte.

»In the future, ever­yo­ne will be world-famous for fif­teen minu­tes«, wur­de Andy War­hol noch im glei­chen Jahr vom Time Maga­zi­ne zitiert, das sich mit der rasan­ten Ent­wick­lung der Kunst­sze­ne, der Schnell­le­big­keit zeit­ge­nös­si­scher Trends und der Halb­wert­zeit des moder­nen Künst­lers aus­ein­an­der­setz­te, die War­hol mit einem Schnell­zug ver­glich. Nat Fin­kel­stein als Stich­wort­ge­ber wur­de in dem Arti­kel mit kei­nem Wort erwähnt. Auch in dem Aus­stel­lungs­ka­ta­log, der im Früh­jahr 1968 anläss­lich einer Aus­stel­lung im Moder­na Mus­set in Stock­holm her­aus­ge­ge­ben wur­de, und der das bewuss­te Zitat selbst schließ­lich welt­be­rühmt machen soll­te, war von dem Foto­gra­fen kei­ne Rede. Viel­leicht, weil der­sel­be sich kurz zuvor mit War­hol über­wor­fen hat­te. Viel­leicht, weil selbst den größ­ten Namen frag­los dar­an gele­gen ist, ihre eige­nen fünf­zehn Minu­ten noch ein wenig län­ger aus­zu­kos­ten. Viel­leicht aber auch, weil jede Beschrei­bung und Erin­ne­rung von Rea­li­tät per­spek­ti­ven­ab­hän­gig ist – und damit auch anfäl­lig für Täu­schun­gen. Womög­lich hat näm­lich auch nur Fin­kel­stein sei­ne Erin­ne­run­gen rück­bli­ckend so mani­pu­liert, dass er als Stich­wort­ge­ber gel­ten kann – und das Gespräch mit War­hol hat es in Wahr­heit nie gegeben.

Border Collie Welpen
03|09|2022 – Behind the Sce­nes: beim Gruppen-Fotoshooting

Seit­dem ich vor bei­na­he zehn Jah­ren das ers­te Grup­pen­fo­to von einem unse­rer Wür­fe in den sozia­len Netz­wer­ken gezeigt habe, heißt es immer wie­der: »Das ist doch alles nicht echt!« Zwei­fel, dass das Foto der sechs sit­zen­den Wel­pen nicht nach­träg­lich mani­pu­liert wor­den ist – das dazu sechs Ein­zel­auf­nah­men zu einer ein­zi­gen zusam­men­ge­fügt wor­den sind –, habe ich zwar auch damals nicht gelas­sen, der Vor­wurf, alles in der Retu­sche zu beschö­ni­gen und zu kor­ri­gie­ren besteht aber seit­dem. »Der beherrscht Pho­to­shop, da kann man den Bil­dern nicht trau­en, da wird jeder Hund ver­zerrt und künst­lich auf­ge­hübscht, um einem unglaub­wür­di­gen Ide­al zu ent­spre­chen«, heißt es etwa. Wor­auf ich nur ent­geg­nen kann, dass wir alle das Mit­tel der Spra­che beherr­schen – und trotz­dem nicht alles Lüge ist, was irgend­wer von sich gibt. 

»Das, was ich sehe, befand sich dort, an dem Ort, der zwi­schen der Unend­lich­keit und dem wahr­neh­men­den Sub­jekt liegt«, hat der fran­zö­si­sche Phi­lo­soph Roland Bar­thes (1915–1980) in sei­nem 1980 erschie­ne­nen Essay »Die hel­le Kam­mer« über die Foto­gra­fie bemerkt. Was für einen kur­zen Augen­blick vor der Lin­se sicht­bar ist, wird durch das Aus­lö­sen des Foto­gra­fen zu einem unum­stöß­li­chen Fakt – zu einem Bild­zei­chen, das allein schon durch die räum­li­che und zeit­li­che Begren­zung, die Aus­wahl der Per­spek­ti­ve und des Objek­tivs sowie das Ver­hält­nis von Figur und Grund die Wirk­lich­keit mani­pu­liert. Dazu braucht es also gar kei­ne digi­ta­le Retu­sche. Das gelingt jedem, der eine Kame­ra hal­ten kann. Ganz ohne die Absicht, zu täuschen.

War­hol selbst gab 1980 in einem Inter­view zu, dass das ihm zuge­schrie­be­ne Zitat gar nicht von ihm stamm­te. Neben Nat Fin­kel­stein hat auch der US-ame­ri­ka­ni­sche Künst­ler Lar­ry Rivers die Urhe­ber­schaft für sich bean­sprucht. An dem Umstand, dass es den­noch untrenn­bar mit War­hol ver­bun­den bleibt, kann aber auch das nichts ändern. Weil es viel zu gut zu sei­ner Mar­ke passt. So wie das Grup­pen­fo­to – mei­ne fünf­zehn Minu­ten – zu der meinen.

Fifteen Minutes of Shame

In den ver­gan­ge­nen Jah­ren haben sich zahl­lo­se Nach­ah­mer gefun­den. Man­che davon haben offen dazu gestan­den, dass sie digi­tal nach­ge­hol­fen haben, um die Wel­pen so hübsch auf­zu­rei­hen, man­che ver­neint oder geschwie­gen. Oft­mals habe ich mir den Spaß erlaubt, das frag­li­che Foto her­un­ter­zu­la­den und in der Ver­grö­ße­rung zu betrach­ten, und – viel­leicht, weil Retu­sche auch eine Fer­tig­keit ist, die man beherr­schen muss – oft genug Bild­feh­ler gefun­den, die eine ähn­li­che Vor­ge­hens­wei­se bewei­sen. Wer behaup­tet, es sei mög­lich, einen Wurf acht Wochen alter Wel­pen ohne Hilfs­mit­tel so lan­ge ruhig zu hal­ten, bis alle brav in die Kame­ra bli­cken – ich habe es ver­sucht, nicht nur ein­mal, das darf man mir glau­ben –, der lügt.

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