Fünfzehn Minuten Ruhm – und sechs sitzende Welpen: über Wahrnehmung, Wirklichkeit und Andy Warhols schwarze Sonnenbrille.
For Thursday’s child is Sunday’s clown
for whom none will go mourning.
The Velvet Underground (1967)
Als Nat Finkelstein 1964 zum ersten Mal auf Andy Warhol traf, hatte er bereits zwei Päpste fotografiert. Als Fotojournalist war er also ziemlich gut im Geschäft. Das erste Aufeinandertreffen mit dem Künstler erfolgte dennoch eher zufällig. »Mein Agent hatte mich zu einer Ausstellungseröffnung im Huntington Hartford Museum geschickt«, erinnerte sich Finkelstein in einem Gespräch, das Jahre danach aufgezeichnet wurde, »Männer in Anzügen, die Käse aßen, während sie gelangweilt herumstanden, aber auch eine Frau, die mir unmissverständlich zu verstehen gab, dass sie es nicht auf den Käse, sondern tatsächlich auf mich abgesehen hatte«. Weil die bewusste Frau jedoch verheiratet und der zugehörige Ehemann mit den Kindern zuhause war, entschloss man sich, stattdessen eine Party in der Factory von Andy Warhol aufzusuchen. »Wir haben es auf der Couch getan, die Musik war laut, die Menschen vollkommen verrückt«, erinnerte sich Finkelstein weiter, »sie zog sich danach hastig an, weil jemand unbemerkt ihre Handtasche gestohlen hatte, ich aber blieb«. Bis Warhol kam.
Fifteen Minutes of Fame
In den folgenden Jahren lebte Finkelstein für die Factory. Er fotografierte alles und jeden – die Künstler, Musiker und Prominenten, die in der Hochzeit der Factory dort tagtäglich ein- und ausgingen –, von Edie Sedgwick über Allen Ginsberg und Bob Dylan bis hin zu Salvador Dali. Auch Warhol selbst trat immer wieder vor seine Kamera, die Augen meist hinter den schwarzen Gläsern seiner Sonnenbrille versteckt. Eines dieser Fotos zeigt den Künstler in einer Straßenszene, spielende Kinder drängen sich in den Vordergrund, Warhol selbst hat zur Sonnenbrille ein schiefes Grinsen aufgesetzt. Zu den Kindern gesellte sich noch ein schaulustiger Schlachter, die weiße Schürze mit frischem Blut befleckt, und weil immer noch weitere Passanten auf der Straße stehen blieben, bemerkte Warhol irgendwann, dass wohl jeder das Bedürfnis habe, einmal berühmt zu sein. »Yeah, for about fifteen minutes, Andy«, will Nat Finkelstein darauf erwidert haben. Fünfzehn Minuten Ruhm. Und der Rest ist Geschichte.
»In the future, everyone will be world-famous for fifteen minutes«, wurde Andy Warhol noch im gleichen Jahr vom Time Magazine zitiert, das sich mit der rasanten Entwicklung der Kunstszene, der Schnelllebigkeit zeitgenössischer Trends und der Halbwertzeit des modernen Künstlers auseinandersetzte, die Warhol mit einem Schnellzug verglich. Nat Finkelstein als Stichwortgeber wurde in dem Artikel mit keinem Wort erwähnt. Auch in dem Ausstellungskatalog, der im Frühjahr 1968 anlässlich einer Ausstellung im Moderna Musset in Stockholm herausgegeben wurde, und der das bewusste Zitat selbst schließlich weltberühmt machen sollte, war von dem Fotografen keine Rede. Vielleicht, weil derselbe sich kurz zuvor mit Warhol überworfen hatte. Vielleicht, weil selbst den größten Namen fraglos daran gelegen ist, ihre eigenen fünfzehn Minuten noch ein wenig länger auszukosten. Vielleicht aber auch, weil jede Beschreibung und Erinnerung von Realität perspektivenabhängig ist – und damit auch anfällig für Täuschungen. Womöglich hat nämlich auch nur Finkelstein seine Erinnerungen rückblickend so manipuliert, dass er als Stichwortgeber gelten kann – und das Gespräch mit Warhol hat es in Wahrheit nie gegeben.
Seitdem ich vor beinahe zehn Jahren das erste Gruppenfoto von einem unserer Würfe in den sozialen Netzwerken gezeigt habe, heißt es immer wieder: »Das ist doch alles nicht echt!« Zweifel, dass das Foto der sechs sitzenden Welpen nicht nachträglich manipuliert worden ist – das dazu sechs Einzelaufnahmen zu einer einzigen zusammengefügt worden sind –, habe ich zwar auch damals nicht gelassen, der Vorwurf, alles in der Retusche zu beschönigen und zu korrigieren besteht aber seitdem. »Der beherrscht Photoshop, da kann man den Bildern nicht trauen, da wird jeder Hund verzerrt und künstlich aufgehübscht, um einem unglaubwürdigen Ideal zu entsprechen«, heißt es etwa. Worauf ich nur entgegnen kann, dass wir alle das Mittel der Sprache beherrschen – und trotzdem nicht alles Lüge ist, was irgendwer von sich gibt.
»Das, was ich sehe, befand sich dort, an dem Ort, der zwischen der Unendlichkeit und dem wahrnehmenden Subjekt liegt«, hat der französische Philosoph Roland Barthes (1915–1980) in seinem 1980 erschienenen Essay »Die helle Kammer« über die Fotografie bemerkt. Was für einen kurzen Augenblick vor der Linse sichtbar ist, wird durch das Auslösen des Fotografen zu einem unumstößlichen Fakt – zu einem Bildzeichen, das allein schon durch die räumliche und zeitliche Begrenzung, die Auswahl der Perspektive und des Objektivs sowie das Verhältnis von Figur und Grund die Wirklichkeit manipuliert. Dazu braucht es also gar keine digitale Retusche. Das gelingt jedem, der eine Kamera halten kann. Ganz ohne die Absicht, zu täuschen.
Warhol selbst gab 1980 in einem Interview zu, dass das ihm zugeschriebene Zitat gar nicht von ihm stammte. Neben Nat Finkelstein hat auch der US-amerikanische Künstler Larry Rivers die Urheberschaft für sich beansprucht. An dem Umstand, dass es dennoch untrennbar mit Warhol verbunden bleibt, kann aber auch das nichts ändern. Weil es viel zu gut zu seiner Marke passt. So wie das Gruppenfoto – meine fünfzehn Minuten – zu der meinen.
Fifteen Minutes of Shame
In den vergangenen Jahren haben sich zahllose Nachahmer gefunden. Manche davon haben offen dazu gestanden, dass sie digital nachgeholfen haben, um die Welpen so hübsch aufzureihen, manche verneint oder geschwiegen. Oftmals habe ich mir den Spaß erlaubt, das fragliche Foto herunterzuladen und in der Vergrößerung zu betrachten, und – vielleicht, weil Retusche auch eine Fertigkeit ist, die man beherrschen muss – oft genug Bildfehler gefunden, die eine ähnliche Vorgehensweise beweisen. Wer behauptet, es sei möglich, einen Wurf acht Wochen alter Welpen ohne Hilfsmittel so lange ruhig zu halten, bis alle brav in die Kamera blicken – ich habe es versucht, nicht nur einmal, das darf man mir glauben –, der lügt.
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