Die zweite Lebenswoche unserer Border Collie Welpen: über die Bedürfnisse der Mutter und die der Welpen. Und über das Ende der Nacht.
Always a Bridesmaid
Das Gitter, das schon vor der Geburt der Welpen im Türrahmen angebracht worden ist, ist selten geschlossen. Zumeist bleibt es bloß angelehnt, damit die Hündin kommen und gehen kann, wie es ihr beliebt. Weil sie in der ersten Lebenswoche der Welpen kaum dazu bewegt werden kann, die Wurfkiste zu verlassen, und sie den Durchgang ausdauernd mit strengem Blick überwacht, müssen die übrigen Hunden in den ersten Lebenstagen der Welpen davon absehen, die Neuankömmlinge zu begrüßen, bleiben aber dennoch – weil es die Neugier so will – mit hoch erhobenen Nasen vor dem Gitter stehen. Mit Beginn der zweiten Lebenswoche entspannen sich die Zustände aber zusehends – maßgeblich wohl, weil sich die Abstände beim Säugen nun schon deutlich vergrößern und die Hündin weniger Zeit mit der Brutpflege verbringt –, weshalb der Funke, das Kommen und Gehen, sich nun auch eilig verbreitet und schnell auf das ganze Rudel überspringt.
Beim allabendlichen Wiegen geht mir deshalb nun auch Halo zur Hand. Beinahe so, wie die Hündin, deren Platz sie eingenommen hat – jene, die bis zuletzt darauf bestand, dass die Benimmregeln der Mutterhündin für sie doch nicht gelten, und die sich bisweilen auch zwischen den Welpen in der Wurfkiste fand –, sitzt sie auf dem Bett und begutachtet freudig jeden Welpen, den ich auf die Waage setze. Dass sich das Geburtsgewicht nahezu aller Welpen bereits verdoppelt hat, scheint die junge Hündin dabei aber genauso wenig zu interessieren, wie der Umstand, dass sie niemals selbst Welpen haben wird. »Always a bridesmaid, never a bride«, sage ich und muss dabei gleich wieder an die verstorbene Ida denken, »manche Dinge ändern sich eben nie«.
Numbers
Am Abend. »Wenn man annimmt, dass das Geburtsgewicht eines Welpen bei einer mittelgroßen Rasse, wie dem Border Collie, im Durchschnitt zwei bis drei Prozent des Normalgewichts der Mutter beträgt, und berücksichtigt, dass auch die Plazenta und das Fruchtwasser während den Wochen der Trächtigkeit ein entsprechendes Gewicht entwickeln, dann lässt sich anhand des Endgewichts der Hündin eigentlich auch die Wurfstärke sehr genau vorhersagen.« Vorsichtig hebe ich den Welpen, dessen Gewicht ich gerade notiert habe, von der Waage auf dem Fensterbrett. Weil Dirk sich gerade zu der säugenden Hündin in die Wurfkiste gelegt hat und seine angewinkelten Beine mir den Weg versperren, lege ich den Welpen aber nicht gleich wieder zum Trinken an, sondern halte ihn schützend in der Hand.
»Das kommt aber nur hin, wenn man die Hündin während der Trächtigkeit nicht überfüttert«, tönt es schließlich aus der Wurfkiste zurück, »wenn man es zu gut meint, dann geht auch die Rechnung nicht auf«. Der Welpe gähnt, ich schüttle den Kopf. »Grundsätzlich mag das stimmen«, sage ich, während ich im Kopf die Geburtsgewichte der Welpen überschlage, »wenn ich aber von der Gewichtszunahme bei diesem Wurf ausgehe, kommt das mit fünfeinhalb Kilogramm schon ziemlich genau hin«. Weil Dirk aber nun einmal Dirk ist, und das Gesagte nicht ohne Einwand stehen lassen kann, erwidert er, dass es doch vielmehr sechs Kilogramm waren, die bei der letzten Untersuchung vor der Geburt dokumentiert worden sind. Wieder schüttle ich den Kopf. »Erinnerst du dich, wie ausgeprägt das Gesäuge in den Tagen vor der Geburt schon gewesen ist?«, frage ich zurück. Er nickt. »Dann lass’ das mal fünfhundert Gramm gewesen sein«, sage ich und setze den strampelnden Welpen schlußendlich zwischen den Vorderläufen der Hündin ab. Dirk schweigt, der Welpe derweil kriecht zielgerichtet auf die Zitzen der Hündin zu.
»Hast du eigentlich gewusst, dass Welpen schon im Mutterleib die Fähigkeit zu Riechen besitzen?«, frage ich und hebe den nächsten Welpen behutsam aus der Wurfkiste heraus. Weil Dirk zur Antwort bloß die Stirn kräuselt, blättere ich in Gedanken aber schließlich selbst die Seiten des Lehrbuchs um. »Das Fruchtwasser ist mit den gleichen Pheromonen angereichert, die auch jede Zitze der Hündin verströmt«, sage ich, während ich den Welpen auf die Waage setze, »über den vorgeburtlich schon bekannten Geruch lässt sich also auch erklären, warum ein Welpe nach der Geburt gleich zu trinken beginnt«. Mit der einen Hand sichere ich den Welpen auf der Waage, mit der anderen ziehe ich den Kugelschreiber über das Papier. »Irgendwie muss ein Welpe ja auf die zehn Prozent kommen, die er ausgehend vom Gewicht des Vortages täglich zunehmen soll«, sagt Dirk und stemmt sich ächzend am Rand der Wurfkiste hoch. Ich weite die Augen. »Das hast du dir gemerkt?« Er lacht. »So oft, wie du schon übers Wiegen geschrieben hast, bleibt das nicht aus!« Auch ich lache. »Ich bin begeistert!« Ob ich damit ihn, oder den mehr als achthundert Gramm schweren Welpen meine, sei einmal dahingestellt.
Night and Day
Die Dämmerung hat die Laternen im Garten schon aufflammen lassen, als ich das Fenster im Welpenzimmer entriegle. Während es im zweiten Stock am Tag oftmals so warm ist, dass selbst die Welpen es vorziehen, sich entlag der ausgefransten Kanten des Vetbeds auf dem nackten Boden der Wurfkiste auszustrecken, hat der Wind am Abend aufgefrischt und die Luft abgekühlt. Auch die Hündin, die sich – halb sitzend, halb liegend – gerade angeschickt hat, die sechs Welpen zum wiederholten Male zu säugen, scheint die kühle Abendluft zu genießen. Leise hechelnd reckt sie den Hals, streckt die zuckende Nase dem Fenster entgegen, und lauscht, während die Welpen unter ihr glucksen und schmatzen, in die anbrechende Nacht hinein. Das Laub in den Kirschbäumen rauscht, die leuchtenden Laternen schaukeln – und wer seine Ohren spitzt, um tief in die Stille hinein zu hören, dem entgeht auch nicht der Laut der Verwunderung, mit dem ein erster Welpe die Augen öffnet.
© Johannes Willwacher