Die zweite Lebenswoche unserer Border Collie Welpen: über die Bedürfnisse der Mutter und die der Welpen. Und über das Ende der Nacht.

Always a Bridesmaid

Das Git­ter, das schon vor der Geburt der Wel­pen im Tür­rah­men ange­bracht wor­den ist, ist sel­ten geschlos­sen. Zumeist bleibt es bloß ange­lehnt, damit die Hün­din kom­men und gehen kann, wie es ihr beliebt. Weil sie in der ers­ten Lebens­wo­che der Wel­pen kaum dazu bewegt wer­den kann, die Wurf­kis­te zu ver­las­sen, und sie den Durch­gang aus­dau­ernd mit stren­gem Blick über­wacht, müs­sen die übri­gen Hun­den in den ers­ten Lebens­ta­gen der Wel­pen davon abse­hen, die Neu­an­kömm­lin­ge zu begrü­ßen, blei­ben aber den­noch – weil es die Neu­gier so will – mit hoch erho­be­nen Nasen vor dem Git­ter ste­hen. Mit Beginn der zwei­ten Lebens­wo­che ent­span­nen sich die Zustän­de aber zuse­hends – maß­geb­lich wohl, weil sich die Abstän­de beim Säu­gen nun schon deut­lich ver­grö­ßern und die Hün­din weni­ger Zeit mit der Brut­pfle­ge ver­bringt –, wes­halb der Fun­ke, das Kom­men und Gehen, sich nun auch eilig ver­brei­tet und schnell auf das gan­ze Rudel über­springt. 

Beim all­abend­li­chen Wie­gen geht mir des­halb nun auch Halo zur Hand. Bei­na­he so, wie die Hün­din, deren Platz sie ein­ge­nom­men hat – jene, die bis zuletzt dar­auf bestand, dass die Benimm­re­geln der Mut­ter­hün­din für sie doch nicht gel­ten, und die sich bis­wei­len auch zwi­schen den Wel­pen in der Wurf­kis­te fand –, sitzt sie auf dem Bett und begut­ach­tet freu­dig jeden Wel­pen, den ich auf die Waa­ge set­ze. Dass sich das Geburts­ge­wicht nahe­zu aller Wel­pen bereits ver­dop­pelt hat, scheint die jun­ge Hün­din dabei aber genau­so wenig zu inter­es­sie­ren, wie der Umstand, dass sie nie­mals selbst Wel­pen haben wird. »Always a bri­des­maid, never a bri­de«, sage ich und muss dabei gleich wie­der an die ver­stor­be­ne Ida den­ken, »man­che Din­ge ändern sich eben nie«.

Numbers

Border Collie Welpen
28|07|2022 – Unse­re Wel­pen in der zwei­ten Lebenswoche

Am Abend. »Wenn man annimmt, dass das Geburts­ge­wicht eines Wel­pen bei einer mit­tel­gro­ßen Ras­se, wie dem Bor­der Col­lie, im Durch­schnitt zwei bis drei Pro­zent des Nor­mal­ge­wichts der Mut­ter beträgt, und berück­sich­tigt, dass auch die Pla­zen­ta und das Frucht­was­ser wäh­rend den Wochen der Träch­tig­keit ein ent­spre­chen­des Gewicht ent­wi­ckeln, dann lässt sich anhand des End­ge­wichts der Hün­din eigent­lich auch die Wurf­stär­ke sehr genau vor­her­sa­gen.« Vor­sich­tig hebe ich den Wel­pen, des­sen Gewicht ich gera­de notiert habe, von der Waa­ge auf dem Fens­ter­brett. Weil Dirk sich gera­de zu der säu­gen­den Hün­din in die Wurf­kis­te gelegt hat und sei­ne ange­win­kel­ten Bei­ne mir den Weg ver­sper­ren, lege ich den Wel­pen aber nicht gleich wie­der zum Trin­ken an, son­dern hal­te ihn schüt­zend in der Hand. 

»Das kommt aber nur hin, wenn man die Hün­din wäh­rend der Träch­tig­keit nicht über­füt­tert«, tönt es schließ­lich aus der Wurf­kis­te zurück, »wenn man es zu gut meint, dann geht auch die Rech­nung nicht auf«. Der Wel­pe gähnt, ich schütt­le den Kopf. »Grund­sätz­lich mag das stim­men«, sage ich, wäh­rend ich im Kopf die Geburts­ge­wich­te der Wel­pen über­schla­ge, »wenn ich aber von der Gewichts­zu­nah­me bei die­sem Wurf aus­ge­he, kommt das mit fünf­ein­halb Kilo­gramm schon ziem­lich genau hin«. Weil Dirk aber nun ein­mal Dirk ist, und das Gesag­te nicht ohne Ein­wand ste­hen las­sen kann, erwi­dert er, dass es doch viel­mehr sechs Kilo­gramm waren, die bei der letz­ten Unter­su­chung vor der Geburt doku­men­tiert wor­den sind. Wie­der schütt­le ich den Kopf. »Erin­nerst du dich, wie aus­ge­prägt das Gesäu­ge in den Tagen vor der Geburt schon gewe­sen ist?«, fra­ge ich zurück. Er nickt. »Dann lass’ das mal fünf­hun­dert Gramm gewe­sen sein«, sage ich und set­ze den stram­peln­den Wel­pen schlu­ßend­lich zwi­schen den Vor­der­läu­fen der Hün­din ab. Dirk schweigt, der Wel­pe der­weil kriecht ziel­ge­rich­tet auf die Zit­zen der Hün­din zu. 

»Hast du eigent­lich gewusst, dass Wel­pen schon im Mut­ter­leib die Fähig­keit zu Rie­chen besit­zen?«, fra­ge ich und hebe den nächs­ten Wel­pen behut­sam aus der Wurf­kis­te her­aus. Weil Dirk zur Ant­wort bloß die Stirn kräu­selt, blät­te­re ich in Gedan­ken aber schließ­lich selbst die Sei­ten des Lehr­buchs um. »Das Frucht­was­ser ist mit den glei­chen Phe­ro­mo­nen ange­rei­chert, die auch jede Zit­ze der Hün­din ver­strömt«, sage ich, wäh­rend ich den Wel­pen auf die Waa­ge set­ze, »über den vor­ge­burt­lich schon bekann­ten Geruch lässt sich also auch erklä­ren, war­um ein Wel­pe nach der Geburt gleich zu trin­ken beginnt«. Mit der einen Hand siche­re ich den Wel­pen auf der Waa­ge, mit der ande­ren zie­he ich den Kugel­schrei­ber über das Papier. »Irgend­wie muss ein Wel­pe ja auf die zehn Pro­zent kom­men, die er aus­ge­hend vom Gewicht des Vor­ta­ges täg­lich zuneh­men soll«, sagt Dirk und stemmt sich äch­zend am Rand der Wurf­kis­te hoch. Ich wei­te die Augen. »Das hast du dir gemerkt?« Er lacht. »So oft, wie du schon übers Wie­gen geschrie­ben hast, bleibt das nicht aus!« Auch ich lache. »Ich bin begeis­tert!« Ob ich damit ihn, oder den mehr als acht­hun­dert Gramm schwe­ren Wel­pen mei­ne, sei ein­mal dahingestellt.

Night and Day

Die Däm­me­rung hat die Later­nen im Gar­ten schon auf­flam­men las­sen, als ich das Fens­ter im Wel­pen­zim­mer ent­rieg­le. Wäh­rend es im zwei­ten Stock am Tag oft­mals so warm ist, dass selbst die Wel­pen es vor­zie­hen, sich ent­lag der aus­ge­frans­ten Kan­ten des Vet­beds auf dem nack­ten Boden der Wurf­kis­te aus­zu­stre­cken, hat der Wind am Abend auf­ge­frischt und die Luft abge­kühlt. Auch die Hün­din, die sich – halb sit­zend, halb lie­gend – gera­de ange­schickt hat, die sechs Wel­pen zum wie­der­hol­ten Male zu säu­gen, scheint die küh­le Abend­luft zu genie­ßen. Lei­se hechelnd reckt sie den Hals, streckt die zucken­de Nase dem Fens­ter ent­ge­gen, und lauscht, wäh­rend die Wel­pen unter ihr gluck­sen und schmat­zen, in die anbre­chen­de Nacht hin­ein. Das Laub in den Kirsch­bäu­men rauscht, die leuch­ten­den Later­nen schau­keln – und wer sei­ne Ohren spitzt, um tief in die Stil­le hin­ein zu hören, dem ent­geht auch nicht der Laut der Ver­wun­de­rung, mit dem ein ers­ter Wel­pe die Augen öff­net. 

© Johannes Willwacher