Wenn man nichts mehr weglassen kann: was Vollkommenheit bedeutet und warum ein gesunder Welpe vielleicht der Inbegriff dessen ist.

Am Sonn­tag­mor­gen habe ich im Gar­ten geses­sen. Ganz allei­ne, weil die Hun­de es nach dem Spa­zier­gang vor­ge­zo­gen hat­ten, die Küh­le des Hau­ses auf­zu­su­chen. Die Son­ne stand schräg zu dem alten Schup­pen, vor dem ich mir den gepols­ter­ten Gar­ten­stuhl zurecht­ge­rutscht hat­te, so dass der Hof von einem lan­gen Schat­ten zwei­ge­teilt wur­de und die hei­ßen Son­nen­strah­len nur die Bee­te am äuße­ren Rand ent­flamm­ten. Über den gelb leuch­ten­den Blü­ten des hoch auf­ra­gen­den Alant schwirr­ten Bie­nen, ein Dis­tel­fal­ter hat­te sich unauf­fäl­lig dar­un­ter gemischt, und weil selbst die Vögel sich an die­sem Mor­gen ande­ren Din­gen zuge­wandt zu haben schie­nen, lag über dem Sum­men und den stum­men Flü­gel­schlä­gen bloß eine durch­drin­gen­de Ruhe. »Voll­kom­men­heit«, dach­te ich, »braucht nicht viel«. 

Border Collie Welpe
25|07|2022 – Wel­pe No. 4: Rüde

Wenn ich in den ers­ten Lebens­wo­chen bei den Wel­pen sit­ze, habe ich oft ein ganz ähn­li­ches Gefühl. Das nicht nur, weil mich der Umstand anrührt, wie sorg­los die­ses Biss­chen Leben ist, son­dern auch, weil sei­ne Begrenz­heit der größt­mög­li­chen Voll­kom­men­heit ent­spricht. »Voll­kom­men­heit«, hat der bekann­te fran­zö­si­sche Schrift­stel­ler Antoine de Saint-Exupé­ry in einem sei­ner Wer­ke geschrie­ben, »ent­steht offen­sicht­lich nicht dann, wenn es nichts mehr hin­zu­zu­fü­gen gibt, son­dern wenn man nichts mehr weg­las­sen kann«. Ein Wesen, das trinkt und schläft und atmet – eines, das nur trin­ken und schla­fen und atmen muss –, und das aus sei­ner blin­den Begrenzt­heit noch kein Begeh­ren, bloß Zufrie­den­heit kennt, könn­te viel­leicht, ganz ohne es zu wis­sen, der Inbe­griff von Voll­kom­men­heit sein.

Border Collie Welpe
25|07|2022 – Wel­pe No. 3: Hündin

Das offen­bart die Ver­ant­wor­tung, die jeder Züch­ter trägt. Um voll­kom­men glück­lich zu sein, muss dem Lebe­we­sen, das nach dem Wil­len und den Fähig­kei­ten des Züch­ters ent­stan­den ist, näm­lich zuvor­derst die Mög­lich­keit offen­ste­hen, die­sen grund­le­gen­den Bedürf­nis­sen – trin­ken, schla­fen und atmen – nach­zu­kom­men. Es muss sich schmerz­frei bewe­gen kön­nen, braucht die voll­kom­me­ne Aus­ge­wo­gen­heit aller kör­per­li­chen Belan­ge, um sich har­mo­nisch ent­wi­ckeln und ein gesun­des Ver­hal­ten zei­gen zu kön­nen. Wer züch­tet, tut des­halb gut dar­an, die Beson­der­hei­ten der Art vor den Beson­der­hei­ten der Ras­se zu befrie­di­gen – sich frei zu machen von sub­jek­ti­ven Bewer­tun­gen und kurz­le­bi­gen Moden, und nicht nur den eige­nen Stand­punkt, son­dern auch glo­ba­le Ent­wick­lun­gen immer wie­der kri­tisch zu hin­ter­fra­gen. »Voll­kom­men­heit«, den­ke ich des­halb, »braucht kei­ne Über­trei­bun­gen, braucht viel­mehr den Blick für das Wesent­li­che, für die Gesund­heit und das Wohl­be­fin­den, für das art­ge­rech­te Leben selbst«. Kein aber. Und nichts mehr.

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