Die erste Lebenswoche unserer Border Collie Welpen: über fliegende Schatten, hastig verschlungenes Futter – und Fehler, die vielleicht jeder mal macht.

Mother’s Love

In den ers­ten Tagen nach der Geburt bekommt man die Hün­din kaum zu Gesicht. Wenn sie die Wurf­kis­te doch ein­mal ver­lässt, hetzt sie getrie­ben die Trep­pen hin­un­ter, über­holt ihren Schat­ten noch, bevor sie den Gar­ten erreicht, und ver­weilt – wenn über­haupt – nur, um die übri­gen Hün­din­nen mit einem lin­ki­schen Blick zu beden­ken. Spä­tes­tens am zwei­ten Tag nach der Geburt haben aber auch Letz­te­re begrif­fen, dass sie gut dar­an tun, nicht im Weg her­um zu ste­hen. Wann immer der schwarz-wei­ße Schat­ten durch das Trep­pen­haus wischt, schau­en sie näm­lich betre­ten zur Wand – beschwich­ti­gen mit stum­men Ges­ten, hal­ten den Kopf demü­tig gebeugt. Die Hün­din der­weil rennt um ihr Leben. Sie kann gar nicht anders. Weil ihr Herz immer zwi­schen den Wel­pen, unwei­ger­lich in der Wurf­kis­te bleibt.

This is my Church

Border Collie Welpen, eine Woche alt
21|07|2022 – Unse­re Wel­pen in der ers­ten Lebenswoche

Es ist kurz nach fünf, als mir die Zun­ge eines Hun­des nass­forsch über das Gesicht leckt. Ich löse mich nur lang­sam aus den neb­li­gen Traum­land­schaf­ten, las­se nur wider­wil­lig die schmie­de­ei­ser­ne Tür­klin­ke los, die ich mit Traum­hän­den gedrückt gehal­ten habe, und den­ke beim Auf­wa­chen noch, dass ich nun nie­mals erfah­ren wer­de, was auf der ande­ren Sei­te des Por­tals auf mich gewar­tet hat, als ich Hei­di hechelnd vor mir ste­hen sehe. Unge­dul­dig tritt die Hün­din von einem Bein auf das ande­re, ihr Blick wan­dert ange­spannt von mir hin zur Tür. Seuf­zend strei­fe ich die dün­ne Decke zurück, ste­he auf und kurz dar­auf mit der Hün­din im Gar­ten. 

Wäh­rend das mäch­ti­ge Por­tal zuse­hends ver­blasst – war es eine Kir­che, und wenn ja, was woll­te ich da? –, hat die Hün­din ihren eili­gen Gang schon erle­digt, ist sie mit schleu­ni­gen Schrit­ten schon wie­der die Trep­pen hin­auf geflo­gen. Schläf­rig stol­pe­re ich ihr hin­ter­her, fin­de sie in der Küche vor einer der lee­ren, wei­ßen Scha­len ste­hen – und weil ihr Blick auch dies­mal kei­ne ande­ren Schlüs­se zulas­sen will, tue ich schließ­lich, wie mir befoh­len. 

Has­tig schlingt sie das Fut­ter hin­un­ter – zwei vol­le Becher, zwei Löf­fel Fleisch –, nimmt sich nicht ein­mal die Zeit, um die Scha­le aus­zu­le­cken, ist schon wie­der auf den Bei­nen, weil oben ein Wel­pe schreit. Ich fol­ge, öff­ne im Wel­pen­zim­mer ein Fens­ter, las­se die Wär­me der Nacht hin­aus und den Mor­gen hin­ein – nur, um zwi­schen den Wel­pen doch noch die ver­lo­ren geglaub­te Klin­ke wie­der­zu­fin­den. »This is my church«, den­ke ich, »this is whe­re I heal my hurts«. Die Wel­pen trin­ken. Kein Traum könn­te schö­ner sein.

Devil’s in the Details

Border Collie Welpen, eine Woche alt
23|07|2022 – Unse­re Wel­pen in der ers­ten Lebenswoche

Mit ver­knif­fe­ner Mie­ne schie­be ich die gera­de aus­ge­füll­ten Wie­ge­pro­to­kol­le auf das Fens­ter­brett. Weil die sechs Sei­ten dabei aber aus­ein­an­der fächern und die äuße­re Kan­te nicht mehr par­al­lel zu der Wel­pen­waa­ge ver­läuft, die im rech­ten Win­kel zum Fens­ter aus­ge­rich­tet ist, zie­he ich sie gleich dar­auf wie­der zurück. Statt die Sei­ten nur kurz auf­zu­sto­ßen und so in die ange­streb­te Ord­nung zu zwin­gen, neh­me ich mir aber die Zeit, sie erneut durch­zu­blät­tern – und erneut ist es das zwei­te Blatt, das mich dar­an erin­nert, was mir ursprüng­lich die Lau­ne ver­ha­gelt hat. 

Wie bei allen übri­gen Pro­to­kol­len ist auch bei die­sem der Kopf in sau­be­rer Hand­schrift aus­ge­füllt und neben der sche­ma­ti­schen Dar­stel­lung des Wel­pen das Geschlecht, das Geburts­ge­wicht und der Zeit­punkt der Geburt ein­ge­tra­gen. Wie bei allen übri­gen sind in der dar­auf­fol­gen­den Zei­le bereits drei Gewich­te auf­no­tiert – vom Abend des ers­ten, des zwei­ten und des drit­ten Lebens­ta­ges –, im Gegen­satz zu den fünf ande­ren ist das Letz­te auf die­sem aber durch­ge­stri­chen, gleich dop­pelt, und die Kor­rek­tur, wie eine klein­lau­te Ent­schul­di­gung, mit Abstand dar­über gesetzt. »Das kommt davon, wenn man nicht auf­passt, und das fal­sche Gewicht auf dem fal­schen Papier ein­trägt«, den­ke ich und schütt­le den Kopf. Dass sich die Gewich­te der Wel­pen in den ers­ten Lebens­ta­gen mehr als zufrie­den­stel­lend ent­wi­ckelt haben, reicht augen­schein­lich nicht aus, um den ange­schla­ge­nen Per­fek­tio­nis­mus zu besänf­ti­gen – der­sel­be möch­te ein makel­lo­ses Blatt Papier, auf dem die Gewich­te im bes­ten Fall noch bis zum Tage der Abga­be mit dem glei­chen Kugel­schrei­ber ein­ge­tra­gen wer­den, möch­te, dass jede Klei­nig­keit stimmt. 

Nach­dem ich eini­ge Zeit auf dem Bett neben der Wurf­kis­te geses­sen und den dun­kel­blau­en Makel ange­starrt habe, ent­schei­de ich abschlie­ßend, dass ich bes­ser dar­an tue, die Hun­de, statt mei­ne Gewohn­hei­ten zu füt­tern, und schie­be die Wie­ge­pro­to­kol­le schul­ter­zu­ckend zurück. »Per­fek­ti­on«, sage ich im Gehen zu mir selbst, »wäre am Ende doch auf viel zu lang­wei­lig«. Was hät­te ich sonst schon zu erzäh­len gehabt? 

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