Unsere Nell feiert ihren dreizehnten Geburtstag: über graue Schnauzen und jugendlichen Übermut. Und die Frage, wann ein Hund denn nun wirklich erwachsen ist.

Gemein­hin wird dem Bor­der Col­lie ger­ne nach­ge­sagt, zu den Hun­de­ras­sen zu gehö­ren, die sich durch eine spä­te Rei­fe aus­zeich­nen. »Erwach­sen«, so habe ich es ein­mal gele­sen, »ist ein Bor­der Col­lie frü­hes­tens mit vier Jah­ren, jede Pfo­te braucht ein Jahr«. Dass sich die­se Aus­sa­ge nicht pau­schal auf alle Hun­de der Ras­se über­tra­gen lässt, und sich ganz ohne Zwei­fel genü­gend Bei­spie­le von Hun­den anfüh­ren las­sen, die deut­lich frü­her oder noch sehr viel spä­ter zu geis­ti­ger und kör­per­li­cher Rei­fe gelangt sind, steht außer Fra­ge. Dass in unse­rer Nell, die heu­te ihren drei­zehn­ten Geburts­tag fei­ert, trotz der grau­en Schnau­ze noch immer genü­gend jugend­li­cher Über­mut steckt, darf ich aber jeden Tag erle­ben. »Erwach­sen«, wür­de Nell des­halb viel­leicht mit einem Augen­zwin­kern sagen, »ist bei mir nur der Appetit«.

Zuge­ge­ben wirkt sie etwas steif, wenn sie am Mor­gen die ers­te Run­de durch den Gar­ten dreht, und es braucht eine gan­ze Wei­le, bis sie die Müdig­keit aus ihren drei­zehn Jah­re alten Kno­chen geschüt­telt hat. Wie hell­wach ihr Ver­stand aber im Gegen­satz dazu noch immer ist, zeigt sich am bes­ten im Zusam­men­spiel mit dem übri­gen Rudel. Dass noch immer Nell die Ent­schei­dung obliegt, wel­cher Hund am Gar­ten­zaun ver­bellt wer­den muss, wagt näm­lich kei­ner der ande­ren anzu­zwei­feln – selbst dann nicht, wenn die­sel­be gera­de damit befasst ist, eine der über den gan­zen Gar­ten ver­teil­ten Lie­ge­kuh­len zu ver­tie­fen, oder sie sich in den Schup­pen zurück­ge­zo­gen hat, um ein ver­dien­tes Schläf­chen zu hal­ten. Oft genug habe ich beob­ach­ten kön­nen, dass ein flüch­ten­des Eich­hörn­chen erst dann ver­folgt wird, wenn Nell um Erlaub­nis gebe­ten wor­den ist – Schnau­ze an Schnau­ze ste­hen sich die Hun­de dabei gegen­über –, und dass nie­mand nach vorn prescht, wenn Nell sich nicht dazu ent­schließt, ein Stück weit mit­zu­lau­fen. Wer nun meint, dass das doch alles sehr nach geis­ti­ger Rei­fe klingt – bloß nach dem Beweis, dass auf den jugend­li­chen Über­mut zwangs­läu­fig die über­leg­te­ren Tage des Alters fol­gen –, soll­te viel­leicht einen zwei­ten Blick ris­kie­ren. »Nicht nur gucken«, meint Nell dazu, »auch füttern!«

Schrei­end zieht Dirk sei­nen Arm zurück, doch es ist schon zu spät. Das wil­de Knur­ren, das Nell her­vor­stößt, wäh­rend sie sei­nen Unter­arm mit den noch immer strah­lend wei­ßen Zäh­nen umfasst, mag gefähr­li­cher klin­gen, als es ist. Weil sich die drei­zehn Jah­re alte Hün­din beim Spie­len nur zu ger­ne selbst ver­gisst, sind die Schreie von Dirk im Gegen­satz dazu aber vor allen Din­gen eines: ziem­lich echt! »War­um eigent­lich immer nur ich?«, jam­mert Dirk also und reibt sich den Arm, kaum dass Nell von ihm abge­las­sen hat. »War­um?«, sage ich und kann mir das Lachen nicht ver­knei­fen, »weil der drei­zehn Jah­re alte Wel­pe irgend­wann ein­mal ver­in­ner­licht hat, dass es Spaß macht, dich zu bei­ßen«. Und nach kur­zem Über­le­gen set­ze ich noch hin­zu: »Also, nicht nur ihr!« Nell ist es in der Zwi­schen­zeit gelun­gen, sich über die Arm­leh­ne des Gar­ten­stuhls auf Dirks Schoß zu beför­dern, und weil Wel­pen nicht nur mit Vor­lie­be bei­ßen, son­dern ihre Lie­be auch ger­ne groß­zü­gigst ver­tei­len, leckt sie ihm hin­ge­bungs­voll das Gesicht. »Viel­leicht schmeckst du auch ganz ein­fach zu gut?« Nach Geburts­tags­ku­chen, vielleicht.

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