Eine Dystopie: über Hundezucht und Tierschutz – und warum es gerade jetzt für jeden Züchter an der Zeit ist, sich als Experte für beides zu bekennen.
If you tolerate this then your children will be next.
Manic Street Preachers (1998)
Die junge Frau legt ihr Mobiltelefon auf dem niedrigen Couchtisch ab und wischt mit der rechten Hand die Projektion beiseite, die darüber in schwachen Grüntönen erscheint. Im schnellen Wechsel werden immer neue Symbole eingeblendet, die sich mir aufgrund Geschwindigkeit kaum noch erschließen – und weil meine Augen schon seit Jahren immer schneller zu ermüden scheinen, schließe ich dieselben und überlasse die Reporterin ihrem hektischen Tun. Als ich die Augen wieder öffne, prangt ein spiegelverkehrter grüner Pfeil zwischen mir und der Reporterin, um den ein kaltweißes Leuchten pulsiert. »Wenn sie bereit sind, starte ich die Aufnahme«, lässt mich die junge Frau wissen. Unsicher blicke ich im Raum umher, sehe sich den projizierten grünen Pfeil im Glas der wenigen gerahmten Erinnerungen spiegeln, die mir nach dem Umzug in mein wohl letztes Zuhause noch geblieben sind, und räuspere mich schließlich. »Bereit, wenn sie es sind, Sergeant Pembry«, sage ich, erwarte aber nicht, dass die junge Frau in der Lage ist, das Zitat als solches zu verstehen – der zugehörige Film wurde wohl mehr als sechzig Jahre vor ihrer Geburt produziert, und nicht nur der zur damaligen Zeit viel gerühmte Schauspieler, sondern auch der Kannibale, den er so eindrücklich darstellte, dürfte der jungen Generation noch ein Begriff sein. Tatsächlich hebt sie bloß verwundert die Brauen und fährt sich verunsichert durch das kurz rasierte Haar, bevor sie den Pfeil antippt und die Aufnahme startet.
»Erst einmal möchte ich ihnen natürlich herzlich zu ihrem einhundertsten Geburtstag gratulieren«, sagt sie und lässt zum ersten Mal so etwas wie ein scheues Lächeln aufblitzen, »schön, sie in diesem stolzen Alter noch bei so guter Gesundheit anzutreffen«. Weil mir die wohlmeinende Unterstellung kaum schmeichelt – seit einem Schlaganfall, der sich kurz nach meinem achtzigsten Geburtstag ereignet hat, kann ich mich kaum noch ohne Gehhilfen bewegen, und auch das Denken macht mir an vielen Tagen zu Schaffen –, schürze ich zur Antwort bloß die Lippen. »Genauso hatte ich mir das vorgestellt«, höre ich mein Gegenüber durch die geschlossenen Zähne wispern. »In meinem Alter mögen die Augen zwar schneller ermüden«, gebe ich daraufhin lakonisch zurück, »das Gehör hat aber noch nicht nachgelassen«, und tippe mir mit der von Altersflecken übersäten Hand an das rechte Ohr. Ertappt senkt sie den Blick. »Das muss ihnen nicht unangenehm sein«, sage ich und denke kurz darüber nach, welche Anrede oder Pronomen mein Gegenüber für sich zu beanspruchen pflegt, »als ich in ihrem Alter war, habe ich mir gegenüber den Alten die gleiche Überheblichkeit zugestanden«. Sie lächelt. Und diesmal scheint sie es auch wirklich so zu meinen.
Die Zucht von sogenannten Haustieren
Die beruflichen Stationen sind in der Folge schnell erzählt, und auch der Mann, mit dem ich fast sechzig Jahre meines Lebens teilen durfte, bleibt im Gespräch kaum mehr als eine Randnotiz. Ich möchte gerade ausholen, um von den Erfahrungen zu berichten, die ich als Hundezüchter machen durfte, als mein Gegenüber beschwichtigend die Arme hebt und mich mitten im Satz unterbricht. »Es tut mir leid, Herr Willwacher, aber ich habe seitens der Redaktion klare Anweisungen, welche Themen mit ihnen besprochen werden dürfen und welche nicht«, sagt sie, während sie die Aufnahme mit dem ausgestreckten Zeigefinger stoppt, »die Zucht von sogenannten Haustieren darf deshalb auf gar keinen Fall thematisiert werden«. Nun bin ich es, der vor Verwunderung die Brauen hebt. »Ich bitte sie, schauen sie sich doch einmal um«, erwidere ich entrüstet, und lasse meinen Blick über die gerahmten Fotografien und Zeichnungen wandern, die an den Wänden des kaum zwanzig Quadratmeter großen Zimmers hängen, »was soll ich ihnen denn sonst erzählen?« Sie tut, wie ihr geheißen.
»Ich schätze, ich dürfte in ihrem Alter gewesen sein, als der erste Wurf in unserer Zucht geboren worden ist«, sage ich, während sie sich von ihrem Platz erhebt und auf eine Fotografie zugeht, auf der vier schwarz-weiße Hunde im Herbstlaub liegen, »zehn Jahre war das, bevor die erste Gesetzesnovellierung zum Tierschutz in Kraft getreten ist, und wohl zwanzig, bevor man die Hundezucht in ganz Europa verboten hat, zusammen mit allen anderen Tieren, die nicht der Fleischindustrie zuträglich waren«. Schweigend wendet sie sich um, lässt den Blick zuerst über die Zeichnung eines Welpen schweifen, der zusammengerollt in skizzierten Händen ruht, und schaut dann mich an, mit weit offenstehendem Mund. »Wie war das, einen Hund zu besitzen?«, fragt sie nach einer Weile mit brüchiger Stimme. »Ich kann mich kaum noch erinnern, weiß aber jeden Tag, dass mir etwas fehlt«, gebe ich kopfschüttelnd zurück, »mit den Hunden ist der Welt aber weit mehr, als nur ihr Gedächtnis abhanden gekommen«. Sie setzt sich wieder, stützt die Ellenbogen auf den Knien auf und faltet die Hände vor dem Gesicht. »Als ich geboren wurde, soll es noch wenige wild lebende Populationen entlang der Mittelmeerküsten gegeben haben«, sagt sie in nachdenklichem Ton, »nach offiziellen Angaben ist der letzte überlebende Hund etwa Mitte des Jahrhunderts von einem Viehtransporter überfahren worden«. Ich nicke. »Zuerst von der Gesetzgebung zu Tode reglementiert und schließlich gezielt ausgerottet«, sage ich, »so vergeht der Ruhm der Welt«.
1. Januar 2022
»Den Grundgedanken, sich mehr für das Tierwohl einzusetzen und endlich etwas gegen die Qualzuchten zu unternehmen, die damals schon viel zu lange und ohne konkrete Maßnahmen in der Kritik gestanden hatten, konnte auch ich als Züchter gut nachvollziehen«, seufze ich, als ich mich kurz darauf mit der silbern glänzende Kanne über den Couchtisch beuge und sie mit zitternder Hand von der einen Tasse zur anderen führe, »tatsächlich haben wir als Züchter auch erst einmal nichts Schlimmeres befürchtet, als die erweiterte Verordnung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist«. Mühsam stemme ich mich aus dem Sessel hoch, um zur Anrichte zu gelangen, die sich gerade noch in meiner Reichweite befindet, und lasse mich schließlich mit einem Lappen, den ich einer der Schubladen entnommen habe, zurück in das Sitzmöbel sinken. Während ich den verschütteten Kaffee mit kreisenden Bewegungen aufzuwischen versuche, fahre ich fort: »Die volle Tragweite der erlassenen Verordnung ist den Züchtern und Zuchtvereinen erst im darauf folgenden Frühjahr bewusst geworden. Die mit der Ausführung bedachten Veterinärämter hatten den wenig eindeutigen Gesetzesentwurf nämlich zum Anlass genommen, einen eigenen Katalog an Qualzuchtmerkmalen abzufassen. Einen, der fast alle Hunderassen enthielt – nicht bloß die bekannten brachycephalen Rassen, bei denen die angeborene Kurzköpfigkeit tatsächlich zu oft lebenslangem Leiden führte –, und allen gleichermaßen verdeckte Qualzuchtmerkmale unterstellte. Dem hätte man zweifelsohne mit weitreichenden Untersuchungen und einem immensen bürokratischen Aufwand entgegenwirken können – nach Vorgabe der Rassehundevereine war bis dahin ohnehin verpflichtend, alles zu untersuchen, was für die jeweiligen Rassen zur Disposition stand –, allein, dass sich die Veranstalter angesichts immer neuer Strafandrohungen außer Stande sahen, auch nur noch einen Hund zu einer Ausstellung zuzulassen, genügte aber, um allem ein Ende zu setzen. Zuerst waren es nur die Ausstellungen, dann wurden den Zuchtvereinen selbst die Körungen untersagt, und schon im Jahr darauf stellte ein Großteil der Züchterkollegen die Zucht aus Angst vor einer heranrollenden Klagewelle vollkommen ein«.
Ein eingehender Anruf lässt das überdimensionierte Pausenzeichen verschwinden, das im leuchtenden Rund noch immer über dem niedrigen Kaffeetisch schwebt, und statt seiner schiebt sich das aufgedunsene Gesicht eines etwa fünfzigjährigen Mannes in mein Blickfeld, das von einer schrillen Tonfolge begleitet wird. »Die Redaktion«, entschuldigt sich mein Gegenüber und regelt die Lautstärke mit der flachen Hand herunter. »Wenn sie sagen, dass sich ein Großteil der Züchter schon nach einem Jahr dazu gezwungen sah, seine Zucht aufzugeben, warum hat das Europäische Parlament dann zehn Jahre später überhaupt den Beschluss fassen müssen, die Zucht von Hunden gänzlich zu verbieten?« Ich nicke. »Die Tatsache, dass in den zuchtbuchführenden Vereinen nur noch wenige Züchter mit wenigen, zum Teil viel zu eng verwandten Tieren tätig waren, führte zu einer schnell fortschreitenden genetischen Verarmung. Die immer gravierender ausfallenden gesundheitlichen Defizite, die aus dieser populationsgenetischen Sackgasse resultierten, ließen die Zuchtvereine schließlich kapitulieren, so dass Schwarzzüchter an ihre Stelle traten. Die letzten wild lebenden Populationen, die sie vorhin bereits angesprochen haben, gingen genau auf diese Zuchtlinien zurück. Mischlinge, die kaum gesünder waren, niemals gesünder sein konnten, als die letzten Rassehunde unter ihren Ahnen. Weil der Schwarzzucht aber mit Auflagen noch nie beizukommen gewesen ist – und weil Kontrollen schon immer transparente Strukturen vorausgesetzt haben –, blieb der Politik schlussendlich nur das Verbot. Noch Fragen? «
Der Tierschutz
Es vergeht lange Zeit, ohne dass ein Wort fällt. »Ich denke, wir sollten zum Ende kommen«, sage ich entschuldigend, als eine der Pflegerinnen schließlich das Zimmer betritt, »mehr kann ich ihnen aus meinem Leben ohnehin nicht mehr erzählen«. Während die junge Frau das Mobiltelefon vom Tisch nimmt und in einer Tasche ihrer schlichten Jacke verschwinden lässt, scheint ihr noch ein letzter Gedanke zu kommen: »Gäbe es noch etwas, dass sie unseren Leserinnen gerne noch sagen würden? Etwas, das ihnen ganz besonders am Herzen liegt?« Ich nehme den kleinen weißen Becher entgegen, den mir die Pflegerin in die Hände drückt, und denke nach. »Vielleicht, dass keines von hundert Jahren so viel wert ist, wie ein Tag, den man mit einem Hund verbringt«. Sie lächelt und wendet sich ab zum Gehen. »Ach, sagen sie«, rufe ich ihr noch hinterher, »was kostet denn aktuell ein Kilogramm Fleisch?« Sie zögert, nennt mir nach kurzem Überlegen aber doch eine Zahl. »Die Politik und der Tierschutz«, lache ich schallend, »das ist und das bleibt die eigentliche Qual!«
Ich bin Züchter im VDH. Ich unterwerfe mich damit nicht nur freiwillig strengen Auflagen und Kontrollen, sondern trage mit weitreichenden Untersuchungen meiner Zuchthunde auch Sorge dafür, Krankheiten unter meinen Nachzuchten auszuschließen. Ich arbeite leidenschaftlich und wissenschaftlich. Auf die aktuellen politischen Entwicklungen – auf die Verordnung des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung – scheint mit weder noch zuzutreffen.
Unterstützen auch Sie die kontrollierte Rassehundezucht und machen Sie mit ihrer Unterschrift in der Online-Petition des Club für britische Hütehunde auf die Unverhältnismäßigkeit der Forderungen der Tierschutz-Hundeverodnung §10 aufmerksam.
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