Eine Dystopie: über Hundezucht und Tierschutz – und warum es gerade jetzt für jeden Züchter an der Zeit ist, sich als Experte für beides zu bekennen.

Die jun­ge Frau legt ihr Mobil­te­le­fon auf dem nied­ri­gen Couch­tisch ab und wischt mit der rech­ten Hand die Pro­jek­ti­on bei­sei­te, die dar­über in schwa­chen Grün­tö­nen erscheint. Im schnel­len Wech­sel wer­den immer neue Sym­bo­le ein­ge­blen­det, die sich mir auf­grund Geschwin­dig­keit kaum noch erschlie­ßen – und weil mei­ne Augen schon seit Jah­ren immer schnel­ler zu ermü­den schei­nen, schlie­ße ich die­sel­ben und über­las­se die Repor­te­rin ihrem hek­ti­schen Tun. Als ich die Augen wie­der öff­ne, prangt ein spie­gel­ver­kehr­ter grü­ner Pfeil zwi­schen mir und der Repor­te­rin, um den ein kalt­wei­ßes Leuch­ten pul­siert. »Wenn sie bereit sind, star­te ich die Auf­nah­me«, lässt mich die jun­ge Frau wis­sen. Unsi­cher bli­cke ich im Raum umher, sehe sich den pro­ji­zier­ten grü­nen Pfeil im Glas der weni­gen gerahm­ten Erin­ne­run­gen spie­geln, die mir nach dem Umzug in mein wohl letz­tes Zuhau­se noch geblie­ben sind, und räus­pe­re mich schließ­lich. »Bereit, wenn sie es sind, Ser­geant Pem­bry«, sage ich, erwar­te aber nicht, dass die jun­ge Frau in der Lage ist, das Zitat als sol­ches zu ver­ste­hen – der zuge­hö­ri­ge Film wur­de wohl mehr als sech­zig Jah­re vor ihrer Geburt pro­du­ziert, und nicht nur der zur dama­li­gen Zeit viel gerühm­te Schau­spie­ler, son­dern auch der Kan­ni­ba­le, den er so ein­drück­lich dar­stell­te, dürf­te der jun­gen Gene­ra­ti­on noch ein Begriff sein. Tat­säch­lich hebt sie bloß ver­wun­dert die Brau­en und fährt sich ver­un­si­chert durch das kurz rasier­te Haar, bevor sie den Pfeil antippt und die Auf­nah­me star­tet. 

Blindzeichnung, Border Collie Zucht, VDH, CfBrH, Johannes Willwacher

»Erst ein­mal möch­te ich ihnen natür­lich herz­lich zu ihrem ein­hun­derts­ten Geburts­tag gra­tu­lie­ren«, sagt sie und lässt zum ers­ten Mal so etwas wie ein scheu­es Lächeln auf­blit­zen, »schön, sie in die­sem stol­zen Alter noch bei so guter Gesund­heit anzu­tref­fen«. Weil mir die wohl­mei­nen­de Unter­stel­lung kaum schmei­chelt – seit einem Schlag­an­fall, der sich kurz nach mei­nem acht­zigs­ten Geburts­tag ereig­net hat, kann ich mich kaum noch ohne Geh­hil­fen bewe­gen, und auch das Den­ken macht mir an vie­len Tagen zu Schaf­fen –, schür­ze ich zur Ant­wort bloß die Lip­pen. »Genau­so hat­te ich mir das vor­ge­stellt«, höre ich mein Gegen­über durch die geschlos­se­nen Zäh­ne wis­pern. »In mei­nem Alter mögen die Augen zwar schnel­ler ermü­den«, gebe ich dar­auf­hin lako­nisch zurück, »das Gehör hat aber noch nicht nach­ge­las­sen«, und tip­pe mir mit der von Alters­fle­cken über­sä­ten Hand an das rech­te Ohr. Ertappt senkt sie den Blick. »Das muss ihnen nicht unan­ge­nehm sein«, sage ich und den­ke kurz dar­über nach, wel­che Anre­de oder Pro­no­men mein Gegen­über für sich zu bean­spru­chen pflegt, »als ich in ihrem Alter war, habe ich mir gegen­über den Alten die glei­che Über­heb­lich­keit zuge­stan­den«. Sie lächelt. Und dies­mal scheint sie es auch wirk­lich so zu meinen.

Die Zucht von sogenannten Haustieren

Die beruf­li­chen Sta­tio­nen sind in der Fol­ge schnell erzählt, und auch der Mann, mit dem ich fast sech­zig Jah­re mei­nes Lebens tei­len durf­te, bleibt im Gespräch kaum mehr als eine Rand­no­tiz. Ich möch­te gera­de aus­ho­len, um von den Erfah­run­gen zu berich­ten, die ich als Hun­de­züch­ter machen durf­te, als mein Gegen­über beschwich­ti­gend die Arme hebt und mich mit­ten im Satz unter­bricht. »Es tut mir leid, Herr Will­wa­cher, aber ich habe sei­tens der Redak­ti­on kla­re Anwei­sun­gen, wel­che The­men mit ihnen bespro­chen wer­den dür­fen und wel­che nicht«, sagt sie, wäh­rend sie die Auf­nah­me mit dem aus­ge­streck­ten Zei­ge­fin­ger stoppt, »die Zucht von soge­nann­ten Haus­tie­ren darf des­halb auf gar kei­nen Fall the­ma­ti­siert wer­den«. Nun bin ich es, der vor Ver­wun­de­rung die Brau­en hebt. »Ich bit­te sie, schau­en sie sich doch ein­mal um«, erwi­de­re ich ent­rüs­tet, und las­se mei­nen Blick über die gerahm­ten Foto­gra­fien und Zeich­nun­gen wan­dern, die an den Wän­den des kaum zwan­zig Qua­drat­me­ter gro­ßen Zim­mers hän­gen, »was soll ich ihnen denn sonst erzäh­len?« Sie tut, wie ihr gehei­ßen. 

Blindzeichnung, Border Collie Zucht, VDH, CfBrH, Johannes Willwacher

»Ich schät­ze, ich dürf­te in ihrem Alter gewe­sen sein, als der ers­te Wurf in unse­rer Zucht gebo­ren wor­den ist«, sage ich, wäh­rend sie sich von ihrem Platz erhebt und auf eine Foto­gra­fie zugeht, auf der vier schwarz-wei­ße Hun­de im Herbst­laub lie­gen, »zehn Jah­re war das, bevor die ers­te Geset­zes­no­vel­lie­rung zum Tier­schutz in Kraft getre­ten ist, und wohl zwan­zig, bevor man die Hun­de­zucht in ganz Euro­pa ver­bo­ten hat, zusam­men mit allen ande­ren Tie­ren, die nicht der Fleisch­in­dus­trie zuträg­lich waren«. Schwei­gend wen­det sie sich um, lässt den Blick zuerst über die Zeich­nung eines Wel­pen schwei­fen, der zusam­men­ge­rollt in skiz­zier­ten Hän­den ruht, und schaut dann mich an, mit weit offen­ste­hen­dem Mund. »Wie war das, einen Hund zu besit­zen?«, fragt sie nach einer Wei­le mit brü­chi­ger Stim­me. »Ich kann mich kaum noch erin­nern, weiß aber jeden Tag, dass mir etwas fehlt«, gebe ich kopf­schüt­telnd zurück, »mit den Hun­den ist der Welt aber weit mehr, als nur ihr Gedächt­nis abhan­den gekom­men«. Sie setzt sich wie­der, stützt die Ellen­bo­gen auf den Knien auf und fal­tet die Hän­de vor dem Gesicht. »Als ich gebo­ren wur­de, soll es noch weni­ge wild leben­de Popu­la­tio­nen ent­lang der Mit­tel­meer­küs­ten gege­ben haben«, sagt sie in nach­denk­li­chem Ton, »nach offi­zi­el­len Anga­ben ist der letz­te über­le­ben­de Hund etwa Mit­te des Jahr­hun­derts von einem Vieh­trans­por­ter über­fah­ren wor­den«. Ich nicke. »Zuerst von der Gesetz­ge­bung zu Tode regle­men­tiert und schließ­lich gezielt aus­ge­rot­tet«, sage ich, »so ver­geht der Ruhm der Welt«. 

1. Januar 2022

»Den Grund­ge­dan­ken, sich mehr für das Tier­wohl ein­zu­set­zen und end­lich etwas gegen die Qual­zuch­ten zu unter­neh­men, die damals schon viel zu lan­ge und ohne kon­kre­te Maß­nah­men in der Kri­tik gestan­den hat­ten, konn­te auch ich als Züch­ter gut nach­voll­zie­hen«, seuf­ze ich, als ich mich kurz dar­auf mit der sil­bern glän­zen­de Kan­ne über den Couch­tisch beu­ge und sie mit zit­tern­der Hand von der einen Tas­se zur ande­ren füh­re, »tat­säch­lich haben wir als Züch­ter auch erst ein­mal nichts Schlim­me­res befürch­tet, als die erwei­ter­te Ver­ord­nung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ernäh­rung und Land­wirt­schaft zum 1. Janu­ar 2022 in Kraft getre­ten ist«. Müh­sam stem­me ich mich aus dem Ses­sel hoch, um zur Anrich­te zu gelan­gen, die sich gera­de noch in mei­ner Reich­wei­te befin­det, und las­se mich schließ­lich mit einem Lap­pen, den ich einer der Schub­la­den ent­nom­men habe, zurück in das Sitz­mö­bel sin­ken. Wäh­rend ich den ver­schüt­te­ten Kaf­fee mit krei­sen­den Bewe­gun­gen auf­zu­wi­schen ver­su­che, fah­re ich fort: »Die vol­le Trag­wei­te der erlas­se­nen Ver­ord­nung ist den Züch­tern und Zucht­ver­ei­nen erst im dar­auf fol­gen­den Früh­jahr bewusst gewor­den. Die mit der Aus­füh­rung bedach­ten Vete­ri­när­äm­ter hat­ten den wenig ein­deu­ti­gen Geset­zes­ent­wurf näm­lich zum Anlass genom­men, einen eige­nen Kata­log an Qual­zucht­merk­ma­len abzu­fas­sen. Einen, der fast alle Hun­de­ras­sen ent­hielt – nicht bloß die bekann­ten brachy­ce­pha­len Ras­sen, bei denen die ange­bo­re­ne Kurz­köp­fig­keit tat­säch­lich zu oft lebens­lan­gem Lei­den führ­te –, und allen glei­cher­ma­ßen ver­deck­te Qual­zucht­merk­ma­le unter­stell­te. Dem hät­te man zwei­fels­oh­ne mit weit­rei­chen­den Unter­su­chun­gen und einem immensen büro­kra­ti­schen Auf­wand ent­ge­gen­wir­ken kön­nen – nach Vor­ga­be der Ras­se­hun­de­ver­ei­ne war bis dahin ohne­hin ver­pflich­tend, alles zu unter­su­chen, was für die jewei­li­gen Ras­sen zur Dis­po­si­ti­on stand –, allein, dass sich die Ver­an­stal­ter ange­sichts immer neu­er Straf­an­dro­hun­gen außer Stan­de sahen, auch nur noch einen Hund zu einer Aus­stel­lung zuzu­las­sen, genüg­te aber, um allem ein Ende zu set­zen. Zuerst waren es nur die Aus­stel­lun­gen, dann wur­den den Zucht­ver­ei­nen selbst die Körun­gen unter­sagt, und schon im Jahr dar­auf stell­te ein Groß­teil der Züch­ter­kol­le­gen die Zucht aus Angst vor einer her­an­rol­len­den Kla­ge­wel­le voll­kom­men ein«.  

Blindzeichnung, Border Collie Zucht, VDH, CfBrH, Johannes Willwacher

Ein ein­ge­hen­der Anruf lässt das über­di­men­sio­nier­te Pau­sen­zei­chen ver­schwin­den, das im leuch­ten­den Rund noch immer über dem nied­ri­gen Kaf­fee­tisch schwebt, und statt sei­ner schiebt sich das auf­ge­dun­se­ne Gesicht eines etwa fünf­zig­jäh­ri­gen Man­nes in mein Blick­feld, das von einer schril­len Ton­fol­ge beglei­tet wird. »Die Redak­ti­on«, ent­schul­digt sich mein Gegen­über und regelt die Laut­stär­ke mit der fla­chen Hand her­un­ter. »Wenn sie sagen, dass sich ein Groß­teil der Züch­ter schon nach einem Jahr dazu gezwun­gen sah, sei­ne Zucht auf­zu­ge­ben, war­um hat das Euro­päi­sche Par­la­ment dann zehn Jah­re spä­ter über­haupt den Beschluss fas­sen müs­sen, die Zucht von Hun­den gänz­lich zu ver­bie­ten?« Ich nicke. »Die Tat­sa­che, dass in den zucht­buch­füh­ren­den Ver­ei­nen nur noch weni­ge Züch­ter mit weni­gen, zum Teil viel zu eng ver­wand­ten Tie­ren tätig waren, führ­te zu einer schnell fort­schrei­ten­den gene­ti­schen Ver­ar­mung. Die immer gra­vie­ren­der aus­fal­len­den gesund­heit­li­chen Defi­zi­te, die aus die­ser popu­la­ti­ons­ge­ne­ti­schen Sack­gas­se resul­tier­ten, lie­ßen die Zucht­ver­ei­ne schließ­lich kapi­tu­lie­ren, so dass Schwarz­züch­ter an ihre Stel­le tra­ten. Die letz­ten wild leben­den Popu­la­tio­nen, die sie vor­hin bereits ange­spro­chen haben, gin­gen genau auf die­se Zucht­li­ni­en zurück. Misch­lin­ge, die kaum gesün­der waren, nie­mals gesün­der sein konn­ten, als die letz­ten Ras­se­hun­de unter ihren Ahnen. Weil der Schwarz­zucht aber mit Auf­la­gen noch nie bei­zu­kom­men gewe­sen ist – und weil Kon­trol­len schon immer trans­pa­ren­te Struk­tu­ren vor­aus­ge­setzt haben –, blieb der Poli­tik schluss­end­lich nur das Ver­bot. Noch Fra­gen? « 

Der Tierschutz

Es ver­geht lan­ge Zeit, ohne dass ein Wort fällt. »Ich den­ke, wir soll­ten zum Ende kom­men«, sage ich ent­schul­di­gend, als eine der Pfle­ge­rin­nen schließ­lich das Zim­mer betritt, »mehr kann ich ihnen aus mei­nem Leben ohne­hin nicht mehr erzäh­len«. Wäh­rend die jun­ge Frau das Mobil­te­le­fon vom Tisch nimmt und in einer Tasche ihrer schlich­ten Jacke ver­schwin­den lässt, scheint ihr noch ein letz­ter Gedan­ke zu kom­men: »Gäbe es noch etwas, dass sie unse­ren Lese­rin­nen ger­ne noch sagen wür­den? Etwas, das ihnen ganz beson­ders am Her­zen liegt?« Ich neh­me den klei­nen wei­ßen Becher ent­ge­gen, den mir die Pfle­ge­rin in die Hän­de drückt, und den­ke nach. »Viel­leicht, dass kei­nes von hun­dert Jah­ren so viel wert ist, wie ein Tag, den man mit einem Hund ver­bringt«. Sie lächelt und wen­det sich ab zum Gehen. »Ach, sagen sie«, rufe ich ihr noch hin­ter­her, »was kos­tet denn aktu­ell ein Kilo­gramm Fleisch?« Sie zögert, nennt mir nach kur­zem Über­le­gen aber doch eine Zahl. »Die Poli­tik und der Tier­schutz«, lache ich schal­lend, »das ist und das bleibt die eigent­li­che Qual!«

Ich bin Züch­ter im VDH. Ich unter­wer­fe mich damit nicht nur frei­wil­lig stren­gen Auf­la­gen und Kon­trol­len, son­dern tra­ge mit weit­rei­chen­den Unter­su­chun­gen mei­ner Zucht­hun­de auch Sor­ge dafür, Krank­hei­ten unter mei­nen Nach­zuch­ten aus­zu­schlie­ßen. Ich arbei­te lei­den­schaft­lich und wis­sen­schaft­lich. Auf die aktu­el­len poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen – auf die Ver­ord­nung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Land­wirt­schaft und Ernäh­rung – scheint mit weder noch zuzu­tref­fen. 

Unter­stüt­zen auch Sie die kon­trol­lier­te Ras­se­hun­de­zucht und machen Sie mit ihrer Unter­schrift in der  Online-Peti­ti­on des Club für bri­ti­sche Hüte­hun­de auf die Unver­hält­nis­mä­ßig­keit der For­de­run­gen der Tier­schutz-Hun­de­ver­od­nung §10 aufmerksam.

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