Border Collie Hündinnen
27|02|2022 – Halo und Fate

Zwischen Zementsäcken und der Abrissbirne: über Hormone und flüchtende Hasen. Oder: zwei Border Collie Hündinnen in der Pubertät.

Wenn ein Wel­pe ein­zieht, wird man im bes­ten Fall zuerst eine Pha­se durch­lau­fen, in der die Fort­schrit­te bestän­dig sind. Die Bezie­hung ver­tieft sich, der Lern­ei­fer wächst, und weil alles so gut läuft, beginnt man sich zu ent­span­nen: »War ja doch nicht so schwie­rig, wie alle immer gesagt haben!« Dass der Wel­pe, der zu die­sem Zeit­punkt längst zum Jung­hund her­an­ge­wach­sen ist, nur auf die­sen Moment gewar­tet hat, ver­steht sich von selbst. Wäh­rend er sich in den ver­gan­ge­nen Mona­ten näm­lich als Mus­ter­schü­ler aus­ge­ge­ben hat, dem ein­zig und allein dar­an gele­gen ist, sei­nem Men­schen zu gefal­len, hat er heim­lich Beob­ach­tun­gen ange­stellt und sich die Unzu­läng­lich­kei­ten notiert, durch die ihm der Hun­de­füh­rer auf­ge­fal­len ist. Viel­leicht ist es die unsicht­ba­re Lei­ne, die im Frei­lauf schon immer ein wenig zu locker geses­sen hat, viel­leicht die Auto­ri­tät, die mit den fal­schen Mit­teln eta­bliert wor­den ist. Der Hund hat aber auf jeden Fall ver­stan­den: ein bes­se­rer Zeit­punkt, um sich der auf­er­leg­ten Erzie­hungs­leit­li­ni­en zu ent­le­di­gen und die eige­nen Gren­zen zu ver­schie­ben, wird kaum mehr kom­men. 

Einjährige Border Collie Hündin
08|03|2022 – Halo, Broad­me­a­dows Halo

Zuge­ge­ben ist es nicht allein die erzie­he­ri­sche Kon­se­quenz, die man in Fra­ge stel­len muss, wenn der puber­tie­ren­de Hund plötz­lich nicht mehr hört – Cor­ti­sol und Dopa­min hin­ter­las­sen näm­lich auch im Gehirn von kon­se­quent erzo­ge­nen Art­ge­nos­sen ihre Spu­ren. Man darf sich das viel­leicht ein wenig wie auf einer Groß­bau­stel­le vor­stel­len, an der an allen Ecken und Enden gleich­zei­tig gewer­kelt wird, um die Effi­zi­enz zu opti­mie­ren: hier wer­den neue Ner­ven­zel­len auf­ge­baut, dort Brü­cken zwi­schen kogni­ti­ven Vor­gän­gen und pas­sen­den Reak­tio­nen geschla­gen, dazwi­schen kom­men immer wie­der Lie­fe­run­gen an, von denen nie­mand weiß, wer sie geor­dert hat. Impul­siv wird also mal die­ser und mal jener Kar­ton auf­ge­ris­sen und der Inhalt – nicht weni­ger impul­siv – zwi­schen den Zement­sä­cken und der Abriss­bir­ne aus­ge­schüt­tet. Bis sich die Arbei­ter ein­ge­spielt haben und wis­sen, wel­ches der ange­lie­fer­ten Hor­mo­ne wel­chen Zweck erfüllt, braucht es eine gan­ze Wei­le – und der puber­tie­ren­de Hund min­des­tens genau­so lan­ge, bis er nicht mehr so unbe­re­chen­bar reagiert.

Die Jägerin und die Schlägerin

»Unbe­re­chen­bar ist eigent­lich das fal­sche Wort«, sage ich zu Dirk, als ich die bei­den Hun­de­lei­nen nach der Abend­run­de an den Haken hän­ge, »denn Unbe­re­chen­bar­keit wür­de bedeu­ten, dass sich nicht ein­schät­zen lässt, wel­che der bei­den Hün­din­nen in wel­cher Situa­ti­on wel­ches Ver­hal­ten zeigt«. Weil Dirk genau­so gut weiß, wel­che Ver­hal­tens­wei­sen ich damit mei­ne, erwi­dert er dar­auf nichts und bleibt mit über­ein­an­der geschla­ge­nen Bei­nen schwei­gend auf der Gar­ten­bank sit­zen. Die bei­den Hün­din­nen der­weil schei­nen aber bewei­sen zu müs­sen, was gera­de gesagt wor­den ist. Wäh­rend Fate plötz­lich die Ohren hebt, sich abwen­det und mit lau­tem Gebell auf den Gar­ten­zaun zu schießt, folgt Halo mit hoch erho­be­ner Rute einer Spur, die quer durch die Bee­te ver­läuft. »Die Jäge­rin und die Schlä­ge­rin«, sage ich mit einem Nicken, »da haben wir’s!«

Border Collie Hündinnen
10|03|2022 – Halo und Fate

Über die Erleb­nis­se, die dem auf der Abend­run­de vor­aus­ge­gan­gen sind, berich­te ich erst, als wir spä­ter am Ess­tisch sit­zen. »Den flüch­ten­den Hasen habe ich erst bemerkt, als Halo schon dazu ange­setzt hat­te, ihm hin­ter­her zu het­zen«, sage ich und las­se das Salat­be­steck durch die Schüs­sel klap­pern, »viel zu spät, um sie noch durch Rufen zu beein­dru­cken«. Kau­end schaut Dirk von sei­nem Tel­ler auf: »Fate ist nicht mit­ge­lau­fen?« Ich muss einen Moment über­le­gen – genau­so wie Fate kurz das Für und Wider abge­wo­gen zu haben scheint, es ihrer Schwes­ter gleich zu tun –, ver­su­che mich statt der Ant­wort aber gleich an einer Erklä­rung. »Wenn man sich die gegen­sätz­li­chen Ver­hal­tens­wei­sen der bei­den ein­mal genau­er betrach­tet – das Jagen auf der einen und das Pöbeln auf der ande­ren Sei­te –, liegt die Ver­mu­tung nahe, dass es auch hor­mo­nell ein ähn­li­ches Ungleich­ge­wicht gibt«, sage ich. »Du meinst, die eine hat zu viel, wovon die ande­re zu wenig hat?« Ich schütt­le den Kopf. »Das glau­be ich eigent­lich nicht«, sage ich und lege die Gabel neben mei­nem Tel­ler ab, »ich habe viel­mehr den Ein­druck, dass bereits vor­han­de­ne Ver­hal­tens­wei­sen durch unter­schied­li­che Hor­mo­ne ver­stärkt wer­den«. 

All the dopa-dopamine

Im Fol­gen­den ver­su­che ich zu erklä­ren, dass bei puber­tie­ren­den Jung­hun­den die Akti­vi­tät der Neben­nie­ren­rin­de deut­lich erhöht ist und sich im Blut des­halb auch ein Anstieg von Cor­ti­sol bemer­ken lässt. »Cor­ti­sol lässt den Hund aber nicht nur anfäl­li­ger für Stress wer­den, – und für einen ten­den­zi­ell eher unsi­che­ren Hund, wie Fate, ist jeder frem­de Hund erst ein­mal Stress –, auch die Reak­tio­nen fal­len viel stär­ker aus.« Dirk hat der­weil auf­ge­ges­sen und beginnt, laut nach­zu­den­ken: »Lässt sich die Aus­sa­ge denn nicht eins zu eins auf den flüch­ten­den Hasen über­tra­gen?« Die Ant­wort erfolgt zwi­schen zwei Bis­sen: »Bei selbst­be­loh­nen­den Ver­hal­tens­wei­sen, zu denen auch das Jagd­ver­hal­ten gehört, ist Dopa­min von viel grö­ße­rer Bedeu­tung«, sage ich, »und dum­mer­wei­se nimmt in der Puber­tät gera­de die Rezep­to­ren­dich­te für die­ses Hor­mon stän­dig zu«. Wäh­rend Dirk sich anschickt, auf­zu­ste­hen und die bei­den lee­ren Tel­ler vom Tisch zu räu­men, singt er lei­se vor sich hin: »You make all the dopa-dopa­mi­ne …« Ich lache. Und las­se den Hasen gedank­lich ziehen.

Einjährige Border Collie Hündin
04|03|2022 – Fate, Broad­me­a­dows Hig­her Love

Weil einen Hasen und frem­de Hun­de im All­tag aber doch immer wie­der ein­ho­len, bleibt es natür­lich nicht dabei. »Die Lei­ne bleibt dran«, heißt es des­halb auch heu­te mor­gen. Wäh­rend die Lei­ne der einen näm­lich mehr Sicher­heit und Ori­en­tie­rung bie­tet – das puber­tä­re Gepö­bel lässt gleich nach, wenn der Mensch mehr Prä­senz beweist –, ist sie auch hilf­reich, um die Impuls­kon­trol­le der ande­ren zu trai­nie­ren: absit­zen, Blick­kon­takt ein­for­dern und blei­ben. Mit klei­nen Schrit­ten geht es vor­wärts. Zwi­schen Zement­sä­cken und der Abriss­bir­ne. Oder: mit­ten­drin in der Pubertät.

Und die Geschwister?

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