Über Lieblingsmenschen und Lieblingshunde – und wie das Eine zum Anderen findet: zwei elf Monate alte Border Collie Hündinnen im Test.
Mit einem lauten Schmatzen wird dem Schüler im grünen Pullunder ein Stück Fleisch aus dem Unterarm gerissen. Blut spritzt, Augen rollen und ein lauter Schrei gellt über die Flure, bevor er taumelnd zu Boden geht. Ich kneife die Augen zu – das grelle Fernsehbild flimmert noch für einen Moment hinter meinen geschlossenen Lidern nach –, und lasse sich Blut, Angst und Schrecken in der Dunkelheit verlieren. Bloß das Schmatzen bleibt. Ganz nah. Gleich neben meinem Kopf. Anders als das rohe Schmatzen, das im Stereoton noch immer aus den Lautsprechern drängt, ist dieses aber warm und wohlig, und lässt mich – wenn ich ganz tief in mich hinein horche – an die Frühlingssonne denken, die durch die ersten grünen Zweige scheint. »Dein Hund hat ne ziemliche Meise«, reißt mich eine Stimme vom anderen Ende des Sofas plötzlich in die Realität zurück. Mit einem Nicken verweist Dirk auf Halo, die sich den Mittelfinger meiner linken Hand fast zur Gänze in die Schnauze geschoben hat, und ihre Zunge genüsslich schnalzen lässt, währemd sie auf demselben herumschmatzt. »Eine Meise hätte sie nur dann, wenn sie’s bei jedem probieren würde«, erwidere ich, »aber selbst deine Finger haben ihr dazu nicht getaugt«. Auf dem Bildschirm erhebt sich der blutüberströmte Schüler mit einem Keuchen und schließt sich, nachdem er Witterung aufgenommen hat, der bedingungslosen Jagd nach Menschenfleisch an. Ich schließe wieder die Augen, höre diesmal aber nicht allein das bewusste Schmatzen, sondern ganz leise auch ein Wort, das am anderen Ende des Sofas geflüstert wird: »Lieblingsmensch«.
Der rundköpfige Junge
Wie entscheidet ein Hund eigentlich, welcher Mensch ihm am besten schmeckt? Dass der Lieblingsmensch eines Hundes nicht unbedingt deckungsgleich mit demjenigen sein muss, der seinen Futternapf befüllt, dürfte dank Charlie Brown hinlänglich bekannt sein. Dem ist es – trotz seines steten Buhlens um die Gunst des Vierbeiners – schließlich auch nie gelungen, für Snoopy mehr als nur »der rundköpfige Junge« zu sein. Viel entscheidender als die Futterressourcen scheinen am Ende also tatsächlich andere Dinge zu sein. Nur welche? Nehmen wir Witterung auf!
Als Dirk am Tag darauf mit den beiden Junghunden von der Morgenrunde zurückkommt – ich bin mit den drei erwachsenen Border Collies schon eine halbe Stunde früher zurückgekehrt –, schaue ich von dem Plakatentwurf auf, der auf dem Bildschirm vor mir gerade im Entstehen ist, und lausche. Auf das erwartete Geräusch – das Rauschen, mit dem in der Waschküche ein Eimer mit Wasser befüllt wird –, folgt ein lautes Poltern und schließlich ein markerschütternder Schrei: »Fate!« Ich springe von meinem Arbeitsplatz auf und eile die Treppen hinunter, finde unten aber bloß Halo, die vor der Kellertür angebunden ist. Dirk und Fate entdecke ich erst, als ich durch den Spalt zwischen der Hecke und dem Gewächshaus spähe – Dirk halb gebückt und Fate mit einem Arbeitshandschuh in der Schnauze. Kaum, dass er die elf Monate alte Border Collie Hündin zu fassen bekommen hat, lässt die den stibitzten Handschuh fallen, und streckt stattdessen alle Viere von sich. »War blöd, merkste selbst«, zischt Dirk, als die schmutzigen Vorderpfoten der Widerspenstigen im weißen Schaum verschwinden und der Wassereimer gefährlich zu schwanken beginnt. »Erst machen, dann denken«, lache ich, während ich in der Waschküche ein frisches Handtuch von der Leine ziehe, »so unähnlich seid ihr beiden euch da nicht!«
Gleich und gleich
Gemeinhin heißt es, dass die Sozialisierung, die positive Verknüpfung und Aufmerksamkeit sowie die Persönlichkeit eine entscheidende Rolle bei der Auswahl des Lieblingsmenschen spielen. Während bei zwei Junghunden, die unter gleichen Bedingungen in einem Züchterhaushalt aufwachsen, angenommen werden darf, dass sich die meisten Faktoren entsprechen, scheint schlussendlich der Persönlichkeit eine ausschlaggebende Bedeutung zuzukommen: »Gleich und gleich gesellt sich gern«. Ein Hund mit einem hohen Energielevel fühlt sich in der Gegenwart eines Menschen, der ein vergleichbar hohes Energielevel besitzt, augenscheinlich sehr viel wohler. Den Umkehrschluss, dass sehr umgängliche Menschen mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit einen besonders aktiven und erregbaren Hund besitzen, als weniger umgängliche Personen, hat auch eine Studie der Michigan State University bestätigt, an der fast zweitausend Hundehalter teilgenommen haben. Aber lässt sich auf der Grundlage auch erklären, warum ein und derselbe Hund bei zwei Menschen ganz unterschiedliche Persönlichkeiten zu besitzen scheint?
Nachdem Fate und Halo gewaschen und abgetrocknet sind, sitzen wir bei einer Tasse Kaffee am Küchentisch. Dirk nimmt geräuschvoll einen großen Schluck, stellt die Tasse ab und seufzt. »Dein Hund hört schlecht«, beschwert er sich und führt aus, was ihm schon bei manchem Spaziergang aufgefallen ist, »Fate ist unterwegs viel aufmerksamer und immer darauf bedacht, sich rückzuversichern, bei Halo klappt das Abrufen nur ganz schlecht!« Ich hebe die Brauen und gebe zurück, dass ich das ganz gegenteilig erlebe: »Halo entfernt sich auf unseren Spaziergängen kaum weiter als zwanzig Meter von mir und zumeist genügt ein Blick, um sie umkehren zu lassen, Fate hält dafür kaum Blickkontakt und ist fast immer hundert Meter voraus«. Eine ganze Weile geht es so weiter – mein Hund und dein Hund und was der des Anderen jeweils schlechter macht –, und je länger wir diskutieren, desto absurder werden die Beispiele. »Vielleicht bringt Fate in der Unterordnung auch nur deshalb keine Aufgabe vernünftig zu Ende, weil ihr Mensch es in zehn Jahren nicht fertig gebracht hat, die zerschlagenen Fliesen in der Waschküche zu ersetzen«, sage ich. »Und vielleicht klappt der Abruf bei Halo auch nur deshalb nicht, weil sich auch ihr Mensch gerne bitten lässt!«, erwidert Dirk. Das hat gesessen.
Pubertäre Zombies
Am Abend hat sich die angespannte Stimmung aber schon wieder abgekühlt, und statt der beiden Zweibeiner sind es bloß die pubertären Zombies, die sich auf dem Bildschirm zerfleischen. Fate hat sich quer über Dirks Brustkorb ausgestreckt und die Schnauze zwischen den Kissen hinter seinem Kopf vergraben. Ihr Atem – ein beständiges »Frrr–frrr« – ist dabei so laut, dass er sogar die Schreie aus dem Fernseher übertönt. Und mit dem Gedanken, dass sich Lieblingsmensch und Lieblingshund vielleicht sogar in ihrer Lautstärke gleichen, schlafe ich schließlich ein.
© Johannes Willwacher