Ein Geburtstag: angestrengte Überlegungen zum Lebensalter von Hunden – und warum die Letztgenannten immer in den besten Jahren sind.
Living on borrowed time,
without a thought for tomorrow.
John Lennon (1980)
Die Frau gegenüber trägt die Kapuze ihres roten Anoraks tief ins Gesicht gezogen. Zwischen den Fingern ihrer rechten Hand knetet sie ein Papiertaschentuch, das unfreiwillig immer wieder die Aufmerksamkeit der Hunde auf sich zieht. Weil die besagte Kapuze auch ihre Augen beinahe zur Hälfte bedeckt, fällt es mir schwer, dem angestrengten Blick zu folgen, mit dem sie einen Hund nach dem anderen bemisst. Bloß ihre angespannten Mundwinkel scheinen zu verraten, wie es um den Fortgang ihrer Überlegungen bestellt ist. Nach einer Weile räuspert sie sich, hebt die rechte Hand mit dem gut durchgekneteten Papiertaschentuch zur Nase und deutet mit demselben schließlich der Reihe nach auf jeden der drei Hunde. »Fünf, sieben und neun«, sagt sie dabei, kann aber die Unsicherheit in der Stimme kaum verbergen. »Beinahe«, gebe ich zur Auflösung zurück, »die Jüngste feiert im März ihren fünften Geburtstag, der Rüde wird zehn und die Älteste hat im Juni bereits dreizehn Jahre auf dem Buckel«. Mit der freien Hand streift die Frau die Kapuze ein stückweit zurück, so dass ich auch ihre Augen nun vollständig sehen kann. In ihrem Blick liegt Erstaunen, das sie kurz die Brauen heben lässt, dann legt sie die Stirn nachdenklich in Falten. »In Menschenjahren ist die Älteste dann ja schon weit über neunzig«, sagt sie, als sich ihre Züge wieder entspannen, »ein Jahr im Leben eines Hundes entspricht sieben beim Menschen, so heißt es doch, oder nicht?«
Ein zweijähriger Hund ist schon 42 Jahre alt
Es gibt wahrscheinlich kaum jemanden, der diese weitverbreitete Faustregel nicht kennt: um das Lebensalter eines Hundes zu berechnen – oder besser: um einschätzen zu können, wie weit der Alterungsprozess des Vierbeiners bereits fortgeschritten ist –, multipliziert man die Lebensjahre mit sieben. Nach neuesten Forschungserkenntnissen muss man dazu aber tatsächlich eine kompliziertere Formel bemühen. Auf Grundlage von DNA-Methylierungen, die in Abhängigkeit zur Lebensphase bestimmte Muster im Erbgut bilden, haben US-amerikanische Forscher eine neue Formel abgeleitet, mit der sich der Alterungsprozess von Hunden besser nachvollziehen lässt: 16 x ln (Logarithmus naturalis, hier: das gegenwärtige Alter des Hundes) + 31. Diese hat zwar den Nachteil, dass sie kaum noch ohne Taschenrechner berechnet werden kann, lässt aber viel deutlicher erkennen, dass der Alterungsprozess beim Hund nicht konstant verläuft. Junge Hunde altern demnach besonders rasch – ein zweijähriger Hund ist der Formel nach schon 42 Jahre alt –, während sich der Prozess mit zunehmendem Alter verlangsamt. Für unsere Nell, die im Juni ihren dreizehnten Geburtstag feiert, könnte die neue Formel deshalb Grund zur Freude sein. Statt 90 Menschenjahren sind es nämlich nur 72, die sie auf dem Buckel hat. Und unserem D-Wurf, der heute seinen sechsten Geburtstag feiert, darf ich gleichwohl zum 60. gratulieren.
Der größte Unterschied zwischen Menschen und Hunden
Von alledem erzähle ich der Kapuzenfrau aber nichts, sondern beschränke mich darauf, vielsagend zu grinsen. »Der größte Unterschied zwischen Menschen und Hunden bleibt am Ende doch, dass Hunde im Gegensatz zu uns Zweibeinern immer in den besten Jahren sind«. Das lässt auch die Kapuzenfrau grinsen und endlich steckt sie das vom vielen Nachdenken fast vollständig zerfledderte Taschentuch ein. »Einen schönen Tag noch!«, sage ich, und wende mich mit den Hunden zum Gehen um.
Den wünsche ich auch euch: Spencer, Nana, Zeppo – und Bounty, für immer unvergessen!
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