Herr Willwacher hat einen an der Waffel: über heimliche Wiedergänger, unheimliche Projektionen – und eine Border Collie Hündin, mittendrin.
Or will I see you dear
and wish I could come back?
Tori Amos (1992)
Als ich mit den behandschuhten Händen nach dem Objektivdeckel fingere, der mit jeder Bewegung noch ein wenig tiefer in das Futter der Jackentasche zu rutschen scheint, ist da wieder dieser Gedanke. An Helga, die Rentnerin, und den Hund, in dem sie ihren verstorbenen Ehemann wiederzuerkennen meint. »Als ich ihm zum ersten Mal in die Augen sah, da erblickte ich meinen Mann«, hatte dieselbe vor Jahren in einem Interview zum Besten gegeben, das als kurze Randnotiz in einer großen Tageszeitung erschien, die ich damals gerne – zusammen mit dem ersten Kaffee – in der Agentur durchgeblättert habe, »Heinz sah mich an«. Dass sich mein Unterbewusstsein gerade an diesem Morgen bemüßigt sieht, die längst vergessen geglaubte Meldung aus einer seiner Schubladen zu ziehen, mag zufällig erscheinen, hat aber einen triftigen Grund. Denn augenscheinlich habe auch ich einen Wiedergänger vor mir sitzen. Und das nicht nur, während ich den widerspenstigen Objektivdeckel endlich wieder auf die Linse setze: Heinz is back!
Das Heinz eigentlich Halo heißt und sich hinter dem – noch namenlosen – Wiedergänger niemand anderes als unsere viel zu früh verstorbene Ida verbirgt, dürfte sich manchem bereits erschlossen haben. Insofern Sie nicht dazu gehören und denken, dass der Willwacher nun aber wirklich einen an der Waffel hat, kann ich Sie nur beglückwünschen: Sie erfreuen sich nicht nur bester psychischer Gesundheit, sondern befinden sich darüber hinaus auch in guter Gesellschaft. Dirk winkt nämlich auch nur noch kopfschüttelnd ab, wenn ich ihm wieder einmal von den Beobachtungen berichte, mit denen sich die heimliche Halo – oder vielmehr: die unheimliche Ida – verraten hat.
Eine selbsterfüllende Prophezeiung
Behaupten, dass ich von meinen Beobachtungen tatsächlich überzeugt bin, kann ich – seien Sie beruhigt – selbstverständlich nicht. Die Ähnlichkeiten, die sich im Verhalten der verstorbenen und der nachgeborenen Hündin zeigen, führe ich maßgeblich auf meine eigenen Projektionen zurück: die eine zeigt Verhaltensweisen, die jener der anderen ähnlich sind, weil ich sie – mal mehr, mal weniger bewusst – darin bestärke. Verstehen lässt sich das also am ehesten als selbsterfüllende Prophezeiung – ein Kommunikationsprozess, der von dem deutsch-amerikanischen Psychologen Robert Rosenthal bereits in den 1960er Jahren in einem Laborexperiment erforscht worden ist.
Ziel des besagten Experiments war es, aufzuzeigen, dass die Annahmen und Vorurteile des Versuchsleiters allergrößten Einfluss auf das Verhalten und die Leistungen der Probanden nehmen. Ähnlich der Versuchsanordnung von B. F. Skinner, sollten in diesem Fall sechzig weiße Ratten lernen, den richtigen Weg durch ein Labyrinth zu finden, um zur Futterstelle zu gelangen. Die Ratten wurden dazu unter zwölf Versuchsleitern aufgeteilt, denen Rosenthal erklärte, dass bestimmte Tiere aufgrund ihrer genetischen Disposition besonders dumm, andere hingegen besonders intelligent seien, und jedem Versuchsleiter mitgeteilt, mit welcher Gruppe er im Folgenden arbeiten würde. Dass die Ratten in Wahrheit nach dem Zufallsprinzip zugeteilt wurden, verschwieg er wohlweislich. Dennoch zeigte sich, dass die vermeintlich intelligenteren Tiere sehr viel besser abschnitten, als ihre angeblich dummen Artgenossen. Die Verhaltensänderung, schlußfolgerte Rosenthal, musste also mit der Einstellung der Versuchsleiter zusammenhängen.
Schade ist das nur für einen
Dass Helgas Hund im Treppenhaus gerade die Menschen verbellt, die Heinz nicht mochte, ist also auf den gleichen Grund zurückzuführen, wie die Leidenschaft, die sowohl Halo als auch Ida für das Sammeln von Tannenzapfen hegen: Hunde besitzen die Fähigkeit, die allerkleinsten Muskelbewegungen, die geringfügigsten Veränderungen unserer Haltung und Stimme, unserer Atem- und Bewegungsmuster zu lesen – und verhalten sich oftmals entsprechend. Das ist schön, wenn man sich dem bewusst ist, und anstrengend, wenn man selbst den Hund nicht lesen kann. Schade ist das nur für einen. Nein, nicht für mich. Für Heinz. Für wen denn sonst?
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