Den Baum mit Maschendraht einzäunen – oder doch lieber ganz verzichten? Weihnachten mit zwei neun Monate alten Junghunden.
Peace on earth and mercy mild,
god and sinners reconciled.
Charles Wesley (1739)
»Was machen wir in diesem Jahr eigentlich mit dem Baum?«, frage ich über meine Schulter hinweg, als ich das überlebensgroße Paket, das ich gerade an der Haustür entgegengenommen habe, auf dem Küchentisch abstelle. Während Halo und Fate sich gleich angesprochen fühlen und neugierig die Köpfe recken, scheint der Mann, an den die Frage gerichtet gewesen ist, dieselbe aber überhört zu haben: »Hast du was gesagt?«, fragt er. »Weihnachten, Baum«, versuche ich die bewusst verkürzte Botschaft erneut zu übermitteln. Mit den Händen forme ich dabei ein spitzes Dreieck, das – in Anbetracht der kurzen Aufmerksamkeitsspanne meines Gegenübers – nachhaltig wirken und an einen Tannenbaum erinnern soll. »Ja«, antwortet dieser schließlich, bevor er sich abwendet und in einer der Schubladen des Küchentisches zu kramen beginnt.
Als er mir kurz darauf stolz das Gemeindeblättchen vor die Nase hält, auf dessen Titel der alljährliche Weihnachtsbaumverkauf angekündigt wird, verzeihe ich ihm umgehend die nichtssagende Antwort, bleibe aber trotzdem auf meiner Frage sitzen: »Nicht wo und wann war die Frage, vielmehr ob und überhaupt«. Den Blick habe ich dabei auf die beiden jungen Hündinnen gerichtet, die – sich gegenseitig stützend – auf den Hinterbeinen stehen und im Wechsel an einer der Ecken des Pakets kauen, die über die Tischkante hinausragt. »Schluss jetzt!«, heißt es schließlich in scharfem Ton in deren Richtung – und für einen kurzen Augenblick scheint sogar Fate davon beeindruckt zu sein. Dann zuckt aber ihre Nase – zusammen mit dem ersten und dem zweiten Vorderlauf – und schon steht sie wieder.
Der zerkaute Weihnachtsengel
Zwei Schlüsse lassen sich daraus ziehen. Zum einen, dass sich Welpen und Junghunde oft und gerne am Mobiliar oder anderen Dingen des täglichen Lebens vergehen. Und zum anderen, dass sich die hündische Zerstörungswut durch die üppige Weihnachtsdekoration noch mehr herausgefordert fühlt. Aber wer will es den Vierbeinern schon verdenken? Mit Äpfeln und Tannenzapfen darf draußen schließlich auch gespielt werden – und weil Kauen immer auch dem Stressabbau dient, ist der zerkaute Weihnachtsengel am Ende aus Hundesicht vielleicht nur die logischste Gegenreaktion. Denn Stress – seien wir ehrlich – wird in der Vorweihnachtszeit nicht nur von den Zweibeinern unseres Haushalts zu Genüge verbreitet.
»Wenn ich groß bin und verheiratet, dann wohne ich alleine«, kräht der für immer achtjährige Kevin McCallister am Abend zustimmend aus dem Fernseher. Zu gerne möchte ich nach der Fernbedienung greifen, um das Programm zu wechseln – gleich aus zwei Gründen komme ich aber nicht dazu. Neben meinem Kopf hat es sich Halo in den Kissen gemütlich gemacht und schmatzt an dem Mittelfinger meiner linken Hand, den sie sich weit in den Rachen geschoben hat. Ihre Pfoten stoßen dabei im Wechsel immer wieder in das plattgedrückte Kissen, der bewusste Finger hat schon seit einer ganzen Weile jegliches Gefühl eingebüßt. Die rechte Hand derweil – diejenige, die meint, die Fernbedienung auf der breiten Lehne des Ledersofas zu finden – greift ins Leere. »Fate?«, heißt es also – weniger fragend, als panisch. Und irgendwo nebenan klackern zwei Batterien aus einem weißen Plastikgehäuse.
»Das hat sie ja nicht mit Absicht gemacht«, meint Dirk tags darauf, als er aus dem Nachtdienst kommt, und ich ihm mit den Überresten der Fernbedienung in der Hand vor der Nase herumwedle. Auch die Diskussion zum Weihnachtsbaum, die irgendwann im Verlauf des Tages wieder aufgegriffen wird, verläuft ähnlich. »Dann muss man eben noch besser aufpassen«, sagt Dirk – und ich schiebe mir einen viel zu großen Weihnachtskeks in den Mund. Weil: er immer dann, wenn er davon spricht, dass man dieses müsse oder man jenes tun sollte, eigentlich bloß mich meint. »Kauen beruhigt«, denke ich und nehme mir noch einen zweiten Keks. Da haben wir’s.
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