Völlig gleich? Über Gemeinsamkeiten und Unterschiede – und die Frage, von welchen Faktoren das Wesen eines Hundes bestimmt wird.
Es ist schon einige Wochen her, dass ich auf dem Hundeplatz darauf angesprochen worden bin, wie es uns wohl gelingt, Halo und Fate – unsere beiden sieben Monate alten Border Collie Hündinnen –auseinanderzuhalten. »Die sehen doch völlig gleich aus«, hatte die Fragestellerin mit einem Blick auf Halo bemerkt, die gerade gespannt beobachtete, wie ich ein fein geschnittenes Stück Fleischwurst aus der Jackentasche friemelte. »Tatsächlich, völlig gleich?«, gab ich lachend zurück und drückte zuerst der wartenden Hündin die ersehnte Belohnung in den Fang, um mich dann nach der anderen umzuschauen. »Wenn sie genau hinauschauen, dann sollte ihnen auffallen, dass eine von beiden eine viel schmalere Blesse hat«, versuchte ich also zu erklären und tippte mir – weil das Fragezeichen, das über dem Kopf der Fragestellerin unentschlossen auf und ab hüpfte, kaum kleiner geworden war – mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Ach so, ach ja«, nickte mein Gegenüber. »Bei den meisten Würfen, die wir bislang aufgezogen haben, hat es nach der Geburt nur ein paar Tage gebraucht, bis sich die Besonderheiten eingeprägt hatten«, schob ich zur Erklärung nach, »für seine Rasse hat man dann eben doch einen schärferen Blick«. Und weil auch das wieder nur Futter für das gefräßige Fragezeichen gewesen zu sein schien, lenkte ich meinen Blick auf den Hund, der sich soeben durch die Beine meines Gegenübers zwängte: »Wären das Golden Retriever, würde ich wahrscheinlich genauso ratlos davorstehen«.
Später, auf der Heimfahrt, berichtete ich Dirk von der Unterhaltung. »Gerade bei den beiden wäre ich immer davon ausgegangen, dass die Unterschiede vollkommen offensichtlich sind«, sagte ich – und setzte nach einer Gedankenpause noch hinzu, dass zwei Hunde auch vom Wesen her wohl kaum unterschiedlicher sein könnten. »Stimmt«, gab Dirk seufzend zurück, »Fate hat auch diesmal mit keinem einzigen anderen Hund gespielt, und auch beim Arbeiten ist sie längst nicht so fokussiert, wie ihre Schwester«. Dann Schweigen. »Schon erstaunlich, wie verschieden sich Geschwister entwickeln, obwohl alle Vorbedingungen gleich sind«, meinte ich schließlich, als der Wagen schon auf die Einfahrt zusteuerte, »andererseits habe ich auch ziemlich wenig mit meiner Schwester gemein«. Dirk hob die Brauen. »Zum Glück!«, sollte das vielleicht bedeuten.
Spielraum für individuelle Abweichungen
»Das Wesen des Hundes ist die Gesamtheit seiner angeborenen und erworbenen Verhaltensweisen, sowie seiner augenblicklichen Zustände, mit welchen er auf die Umwelt reagiert«, heißt es in Das Wesen des Hundes (Heinz Weidt und Dina Berlowitz, Augustus Verlag, 3. Edition, 2001). Das mag zu einem Teil erklären, warum die Wesensentwicklung der Welpen eines Wurfs nie in völliger Übereinstimmung verläuft, und warum nicht nur die Genetik, sondern auch die Aufzucht und Prägung immer noch genügend Spielraum für individuelle Abweichungen lassen.
Welches Wesensmerkmal wird von welchem Elternteil vererbt? Welche Aspekte sind bei angeborenenen Verhaltensweisen für die Stärke der Ausprägung von Bedeutung? In welchem Entwicklungs- und Gemütszustand befindet sich der Welpe, wenn er erstmals mit diesem oder jenem Reiz, mit dieser oder jener Aufgabe konfrontiert wird? Und welche Rolle kommt schlussendlich dem Menschen zu – dem, in dessen Gegenwart die Welpen ihre ersten Umwelterfahrungen machen, genauso wie dem, der in der Folge die Führung bei allen Lernprozessen übernimmt? Halo und Fate sind der beste Beweis, dass auch die Übereinstimmung der meisten Faktoren nicht immer zum gleichen Ergebnis führt – und das nicht nur, wenn es um die Aufgeschlossenheit oder die Arbeitsbereitschaft geht. Oder besser: um die erlernbaren Anteile des Wesens.
»Wie erfolgreich die individuelle Lerngeschichte eines Hundes verläuft, begründet sich immer auch im Erleben einer sicheren Bindung«, sagte ich und klappte das Buch zu, das aufgeschlagen vor mir auf dem Küchentisch gelegen hatte. Weil Dirk keine Notiz davon genommen und weiter auf sein iPad geblickt hatte, wiederholte ich den Vorgang mit etwas mehr Nachdruck. »Das heißt also, dass sich im Wesen eines Hundes zu gewissen Teilen auch immer das Wesen seines Menschen spiegelt«, sagte ich über den Küchentisch hinweg, »und dass ein unaufmerksamer Hund vielleicht nur das reproduziert, was er bei seinem Menschen erlebt hat«. Dann Schweigen. »Hast du was gesagt?«, fragte Dirk schließlich. Ich hob die Brauen. »Same same, but different«, sollte das vielleicht bedeuten.
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