Border Collie Welpen in der 8. Lebenswoche
01|05|2021 – Impres­sio­nen aus dem Welpenkindergarten

Die achte Woche mit unseren sechs Border Collie Welpen: über das Hinschauen und Wegschauen – und warum am Ende bloß ein Fragezeichen steht.

Augen auf im Straßenverkehr!

»Wenn du bei den Wel­pen damit kei­nen Erfolg hat­test, dann aber doch immer­hin bei mir«, pres­se ich zwi­schen den zusam­men­ge­bis­se­nen Zäh­nen her­vor, wäh­rend mein rech­ter Fuß hilf­los nach der Brem­se sucht, »mir ist näm­lich jetzt schlecht!« Obwohl ich mir bei­de Hän­de vor die Augen hal­te, spü­re ich, dass Dirk einen kur­zen Blick zu mir auf dem Bei­fah­rer­sitz wirft und die Mund­win­kel strafft. »Immer musst du so dicht auf­fah­ren«, kommt es als Nächs­tes hin­ter den vor­ge­hal­te­nen Hän­den her­vor, »du hast doch wohl gese­hen, dass der gebremst hat, oder nicht?« Die straf­fen Mund­win­kel des Fah­rers straf­fen sich noch ein wenig wei­ter – im Gegen­satz zu des­sen Augen, die sich zu gefähr­lich schma­len Schlit­zen ver­en­gen. Was folgt, lässt sich viel­leicht am ehes­ten mit einem Trak­tor auf der Land­stra­ße ver­glei­chen: immer dann, wenn man es beson­ders eilig hat, tuckert zwangs­läu­fig einer daher. Das. Ist. Gesetz. »Du bist der anstren­gends­te Bei­fah­rer, den man sich vor­stel­len kann«, schnauft Dirk also, als er den Wagen beschleu­nigt. »Gar nicht wahr«, schnau­be ich wütend zurück. »Wenn ich mir den Fuß­raum unter dem Bei­fah­rer­sitz ein­mal genau­er anschau­en wür­de, dann – da möcht’ ich drauf wet­ten – dann wür­de ich dort, wo du die Brem­se ver­mu­test, Ver­tie­fun­gen in genau dei­ner Schuh­grö­ße fin­den!« Das hat geses­sen. Wobei. So sehr dann auch wie­der nicht. »Wür­dest du gar nicht«, wet­te­re ich noch ein wenig lau­ter zurück, »ohne Bril­le wür­dest du die besag­ten Ver­tie­fun­gen genau­so wenig sehen, wie das Stopp­schild, das du eben bei­na­he über­fah­ren hast!« Dar­auf­hin sagt er nichts mehr. Er beschleu­nigt nur. Bald dar­auf mel­det sich der ers­te Wel­pe aus dem Kof­fer­raum zu Wort: »Kra­keel, kra­keel!«. »Siehs­te, jetzt ist auch denen schlecht!«

Als wir eine hal­be Stun­de spä­ter im Tier­au­gen­zen­trum in Stau­fen­berg bei Gie­ßen ange­kom­men sind, haben sich alle Gemü­ter wie­der beru­higt. Und auch die Unter­su­chung auf erb­li­che Augen­er­kran­kun­gen, die bei allen sechs Wel­pen nichts zu bean­stan­den hat, erfolgt mit der glei­chen Ruhe. Erst auf der Rück­fahrt wird klar, dass die Hin­fahrt doch ihre Spu­ren hin­ter­las­sen hat. Auf Dirks Nase. »Dei­ne Schuh­grö­ße«, sagt er und rückt sich die Bril­le zurecht.

Jackpot

Border Collie Welpen in der 8. Lebenswoche
02|05|2021 – Impres­sio­nen aus dem Welpenkindergarten

Es braucht kei­ne zwei Minu­ten, bis der ers­te Wel­pen begrif­fen hat, dass irgend­et­was anders ist. Suchend läuft er im Zim­mer umher und saugt begie­rig den Geruch ein, der ihm so schmei­chelnd um die Nase weht. Auch sei­nen Geschwis­tern ist der nicht ent­gan­gen und bald dar­auf sind alle auf den Bei­nen – alle auf der Suche. Die Quel­le des guten Geruchs ist des­halb auch in kür­zes­ter Zeit aus­ge­macht und mit auf­ge­reg­tem Krat­zen mühen sich zuerst zwei, dann alle sechs Wel­pen an den Hosen­ta­schen des Men­schen ab, der in einer Ecke des Wel­pen­zim­mers auf dem Boden sitzt. »Nee, nee, nee«, stamm­le ich hilf­los vor mich hin, als mich die wild gewor­de­nen Pfo­ten und Zäh­ne schließ­lich von allen Sei­ten bestür­men, »wer fut­tern will, muss auch etwas dafür tun«, und damit stem­me ich mich vom Boden hoch.

Zu Anfang sind die sechs Wel­pen noch in hel­ler Auf­re­gung und zie­hen sich abwech­selnd an mei­nen Hosen­bei­nen hoch. Ich selbst blei­be ruhig ste­hen und las­se nur dann und wann das immer glei­che »Nee, nee, nee!« ver­lau­ten, wäh­rend das duf­ten­de Fut­ter gut ver­staut in mei­nen Hosen­ta­schen bleibt. Als sich die Ers­ten zu beru­hi­gen begin­nen und mit gespann­tem Blick die Hand ver­fol­gen, die sich lang­sam zur Hosen­ta­sche hin und wie­der zurück bewegt, hebe ich schließ­lich den Zei­ge­fin­ger – und war­te ab, was passiert.

Es dau­ert eine gan­ze Wei­le, bis einer den Blick von der mit Fut­ter gefüll­ten Hand abwen­det und mir – viel­leicht noch eher zufäl­lig – direkt in die Augen schaut. Der kur­ze Blick­kon­takt wird sogleich bestä­tigt und der Wel­pe – sehr zur Ver­wun­de­rung sei­ner Geschwis­ter – mit einem Fut­ter­bis­sen belohnt. Dar­auf­hin lau­fe ich ein­mal quer durch den Raum und las­se sich die Wel­pen neu sor­tie­ren, um einem ande­ren die Chan­ce zu geben, sich im Auf­merk­sam­keits­spiel zu beweisen.

Nach nicht ein­mal zehn Minu­ten hat jeder schon mehr­fach den Jack­pot geknackt und hocken alle Wel­pen mit ruhi­gem, mir zuge­wand­tem Blick vor mir, wenn es in die nächs­te Run­de geht. Noch ein­mal zehn Minu­ten spä­ter – mei­ne Hosen­ta­schen haben sich längst geleert – sind alle sechs Wel­pen ein­ge­schla­fen. »Ler­nen ist anstren­gend«, läch­le ich, als ich lei­se die Tür hin­ter mir schlie­ße, »die bes­te Beschäf­ti­gung an einem Regentag«.

Fragezeichen

Border Collie Welpen in der 8. Lebenswoche
05|05|2021 – Impres­sio­nen aus dem Welpenkindergarten

Ich weiß nicht, ob es am Regen liegt, der mir in den Kaf­fee getropft ist, als ich in den frü­hen Mor­gen­stun­den mit den Wel­pen im Gar­ten stand – aber zum ers­ten Mal seit der Geburt der Wel­pen ist mir ein wenig melan­cho­lisch zumu­te. Viel wahr­schein­li­cher ist aber wohl, dass sich der Grund für die blei­schwe­re Trau­rig­keit in dem Umstand fin­det, dass mit dem heu­ti­gen Tag auch der Abschied zum Grei­fen nahe scheint – genau zehn Tage sind es noch, bis uns die ers­ten drei Wel­pen ver­las­sen wer­den –, und mir eben jener doch weit mehr zu schaf­fen macht, als ich wahr­ha­ben möchte.

Leicht ist es nie, einen Wel­pen gehen zu las­sen – ins­be­son­de­re bei denen nicht, die sich wäh­rend den neun Wochen der Wel­pen­auf­zucht als eher for­dern­de Cha­rak­te­re erwie­sen haben –, und leicht wird es auch dies­mal nicht sein. Denn auch wenn die Ent­schei­dung für jeden ein­zel­nen Wel­pen – für jeden zukünf­ti­gen Besit­zer – äußerst bewusst getrof­fen wor­den ist, blei­ben bei jedem Abschied doch Zwei­fel. »Wer annimmt, dass die Zeit oder die Erfah­rung dar­an irgend­et­was ändern kön­nen, der irrt«, den­ke ich des­halb auch an die­sem Mor­gen im Stil­len bei mir, »bei­de machen es, ganz im Gegen­satz, nur noch viel schlimmer!«

Nicht nur der Kauf eines Wel­pen beinhal­tet – so wie es in mei­nen Kauf­ver­trä­gen zu lesen ist – immer das Risi­ko, dass er sich in der Fol­ge zu sei­nem Nach­teil ent­wi­ckelt, auch auf zwi­schen­mensch­li­che Bezie­hun­gen mag das in gewis­sem Maße zutref­fen. An Stel­le der blin­den Zuver­sicht, von der das Han­deln des Neu­züch­ters oft­mals noch geprägt ist, rücken mit der Zeit – mit jeder schlech­ten Erfah­rung – also immer mehr Zwei­fel. »Zu Anfang ist es das Herz, das den Wel­pen nicht in die Welt hin­aus­schi­cken will«, den­ke ich und bli­cke in den Regen, »irgend­wann aber ist es der Kopf, der noch viel lau­ter protestiert!«

Ein Don­ner­schlag reißt mich aus mei­nen Gedan­ken. Der Wind lässt wei­ße Blü­ten­blät­ter aus den Kirsch­bäu­men reg­nen, der Him­mel über mir teilt sich in Nacht­schwarz und Tief­blau – wie zwei­ge­teilt. »Wie pas­send«, den­ke ich, »genau­so uneins füh­le ich mich auch«.

© Johannes Willwacher