Die Welpenaufzucht in der siebten Lebenswoche: was den Züchter ängstigt und was die Welpen – und warum man gut daran tut, beidem beizeiten beizukommen.
Bullshit
Vielen Menschen fällt es schwer, morgens aufzustehen. Viele brauchen einen Wecker, um nicht zu verschlafen. Während auch meine bessere Hälfte zu denen gehört, für die ein Leben ohne die Schlummertaste undenkbar wäre, habe ich ein ganz anderes Problem: meine innere Uhr funktioniert viel zu gut und weckt mich zuverlässig stets zur selben Zeit. Oder auch: eine halbe Stunde früher.
Am Sonntagmorgen war es deshalb nicht einmal vier Uhr, als ich aufwachte. Als das Display des Smartphones aufflammte, fiel mir aber nicht nur die Uhrzeit ins Auge, auch eine grün umrandete Nachricht forderte meine Aufmerksamkeit. »Habe in Internet gefunden«, stand da in schlechtem Deutsch zu lesen. »Wann Welpen geboren?«, wollte die dem Namen nach deutsche Schreiberin außerdem wissen. Keine Anrede, kein Gruß. »Eine Welpenanfrage per WhatsApp zu verschicken ist allein ja schon blöd«, dachte ich mir, »aber sowas?« Weil es mich selbst aber erst einmal nach einem starken Kaffee und die Welpen kurz darauf nach meiner Fürsorge verlangte, beließ ich es vorerst dabei.
Eine gute Stunde später – nachdem ich die Welpen gefüttert und in den Auslauf gebracht, mir beim Putzen des Welpenzimmers außerdem den zweiten Teil des Border Collie Podcasts angehört hatte, für den ich in der vergangenen Woche Rede und Antwort stand – folgte eine zweite Nachricht. Wieder vom gleichen Absender, wieder in dem gleichen gebrochenen Deutsch. »Wann Wurfplanung«, lautete diesmal der Text, »haben Zeit, komme vorbei«. Das ließ mich doch hellhörig werden. Nicht wegen der forschen Nachfrage. Oder der schlechten Grammatik. Viel eher wegen der Kombination von beidem – und dem Gedanken an den weißen Kastenwagen, der zurzeit in vielen Züchterköpfen seine Runden dreht. Früher hat die Mafia Schutzgeld erpresst. Heute entführt sie Hunde.
»Vielleicht funktioniert nicht nur deine innere Uhr besonders gut«, dachte ich mir, als ich den Kontakt daraufhin blockierte. »Mag sein, dass du jemandem aufgrund der Umstände ganz schrecklich Unrecht tust, aber vielleicht hast du auch ein eingebautes Bullshit-Radar?« Wäre nicht undenkbar. Bei den Welpen weiß ich schließlich auch schon im Voraus, ob sie mir gleich auf die Fliesen kacken.
Der Garten des Künstlers
Wenn Dirk sich am Morgen mit den Hunden auf den Weg macht, um die erste Runde über die Felder zu drehen, gehe auch ich mit den Welpen spazieren. Unsere Spaziergänge mögen im Vergleich mit denen der Großen zwar ziemlich kurz sein, haben es dafür aber in sich. Mit den Augen eines Welpen wird aus einem gepflegten Vorgarten ganz schnell ein undurchdringlicher Dschungel – was wohl insbesondere für den unseren gilt.
Strenggenommen gehören bloß die oberen 1.000 Quadratmeter des Gartens zu unserem Grundstück. Das ebenso großen, sich unmittelbar anschließende Gartengrundstück haben wir vor Jahren von einem mittlerweile verstorbenen Künstler gepachtet, der vor allem durch die von ihm erfundenen Feuerplastiken bekannt ist. Weil der Pachtvertrag nur für die Dauer von zehn Jahren gilt und es für uns noch immer fraglich ist, ob wir das Grundstück zum Ende der Laufzeit kaufen können, haben wir nur wenige Energien in die Gartengestaltung gesteckt. Das marode Gewächshaus steht noch immer und auch die Bäume, Hecken und Büsche werden nur notdürftig zurückgeschnitten. Auf den einen oder anderen mag das nachlässig wirken. Für die Welpen sind die verwunschenen Pfade, die sich zwischen den Weiden und den Wildkirschen hindurchziehen, aber ein einziges Abenteuer.
Der Erste bleibt bei den Rhabarberblättern hängen, die sich wie mächtige Elefantenohren über ihn erheben. Der Zweite kratzt selbstvergessen das Moos von dem betonierten Streifen, der sich mittig durch das längst aufgegebene Gemüsebeet zieht. Der Dritte findet einen Zweig, der beim letzten Frost vom Apfelbaum abgebrochen ist, und der Vierte reißt fröhlich einen Löwenzahn ab, um ihn mit Genuss zu zerkauen.
Bei jedem Spaziergang beobachte ich, dass die Welpen mehr Selbstsicherheit gewinnen. Dass sie gelassener auf die Umgebung reagieren und nicht mehr zurückschrecken, wenn ein Blatt in der Brise weht. Ich beobachte aber auch, dass mich keiner lange aus den Augen lässt, und dass bei allen bloß ein Pfeifen genügt, um sie aufmerken zu lassen. Das freudige Wedeln eines Welpen, der sich mutig durch die Wildnis gekämpft und seinen Menschen am Endes des Weges wiedergefunden hat – gibt es irgendein schöneres Gefühl?
Zauber, zauber – sauber!
Während der Welpenaufzucht habe ich fast täglich die Kamera in der Hand. Vom Tag der Geburt an versuche ich so, möglichst viel zu dokumentieren. Zum einen, um die Aufzucht für alle zukünftigen Besitzer transparenter zu gestalten. Zum anderen sollen aber auch gerade diejenigen an der Entwicklung ihres Welpen teilhaben können, für die aufgrund der Entfernung kein Besuch möglich ist. Durch die Einschränkungen, die seit Beginn der Pandemie insbesondere die Reisefreiheit betreffen, gilt das aktuell für fast alle internationalen Interessenten.
Alles bekommt man natürlich trotzdem nicht zu sehen. Mich, unausgeschlafen in der Jogginghose, beispielsweise nicht. Und auch kein Foto vom Zustand des Welpenzimmers. Morgens, kurz nach sieben. Nach der letzten Wurmkur. Warum man manches am Ende doch lieber für sich selbst behält, dürfte auf der Hand liegen, schätze ich.
Bei anderen Dingen ist das nicht ganz so offensichtlich. Das erste Wannenbad der Welpen gehört zum Beispiel dazu. Während ein klitschnasser Welpe nämlich weder so peinlich ist, wie ein vierzigjähriger Mann am frühen Morgen, und ein Schaumbad grundsätzlich auch ein viel besseres Motiv abgibt, als eine benutzte Welpentoilette, scheitert es hier allein am Praktischen. Wo vier Hände gebraucht werden, um einen Welpen in der Wanne zu halten, ihn einzuseifen und abzubrausen, bleibt keine für die Kamera frei. Wie nass alle beteiligten Personen nach dem Baden von sechs Welpen sind, kann man sich aber wohl auch ohne das entsprechende Bild vorstellen.
Zwingend notwendig war das Wannenbad – das, strenggenommen, tatsächlich schon das zweite war – für unsere aktuellen Welpen zwar nicht. Weil das regelmäßige Baden und Föhnen aber nicht bloß für diejenigen zur späteren Lebensrealität gehören wird, die sich im Ausstellungsring wiederfinden werden, war es wohl trotzdem angebracht. Wegen Hänschen und Hans – und allem, was Letzterer nimmermehr lernt. Damit kenne ich mich, dem Namen nach, ziemlich gut aus.
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