Border Collie Welpen in der sechsten Lebenswoche
19|04|2021 – Impres­sio­nen aus dem Welpenkindergarten

Die sechste Woche der Welpenaufzucht: ein müder Frühlingsmorgen und eine ausgeschlafene Entscheidung – und was es über unsere sechs Welpen mehr zu berichten gibt.

Zwei stahlharte Profis

»Ich bin zu alt für die­sen Scheiß«, seuf­ze ich am Sonn­tag­abend und sto­che­re lust­los in dem Tel­ler Spa­ghet­ti her­um, der vor mir auf dem Tisch steht. Auch Dirk, der mir am Ess­tisch gegen­über sitzt, wirkt eher so, als wol­le er sei­nen Kopf gleich zwi­schen den damp­fen­den Fleisch­bäll­chen in der Soße erträn­ken. »War die Wel­pen­auf­zucht eigent­lich schon immer so anstren­gend?«, lau­tet also die berech­tig­te Frage.

Ich gäh­ne und las­se sich die Gabel unge­schickt am Tel­ler­rand dre­hen. Toma­ten­so­ße spritzt und gesellt sich zu den noch unbe­stimm­ten Fle­cken auf mei­nem T-Shirt, die – bei nähe­rem Betrach­ten – so ziem­lich alles zwi­schen Wel­pen­brei und Wel­pen­kot sein könn­ten. »Is’ mir egal«, sage ich, mei­ne aber vor allen Din­gen das schmut­zi­ge T-Shirt. »Als ich vor­hin aus dem Wel­pen­zim­mer raus bin, war alles noch sau­ber«, set­ze ich des­halb gleich noch ermu­ti­gend hin­zu, »viel­leicht hast du ja Glück und musst heu­te Abend nicht noch ein­mal put­zen«. Ange­sichts der blei­er­nen Müdig­keit ist das für Dirk nur ein schwa­cher Trost: weil ich frü­her auf­ste­he, um die ers­ten Stun­den des Tages zu über­neh­men, muss er noch län­ger aus­hal­ten. »Ges­tern hat es bis halb zwölf gebraucht, bis sich auch die Letz­ten müde gespielt hat­ten«, stöhnt er und schiebt sich ein Fleisch­bäll­chen in den Mund. Zwi­schen Kau­en und Schmat­zen mei­ne ich zu ver­ste­hen, dass die Wel­pen tags­über viel ruhi­ger sei­en, als am Abend. »Wir kön­nen ger­ne tau­schen und du stehst statt­des­sen um vier Uhr mor­gens auf«, zische ich und las­se die Augen rol­len. Dirk schüt­telt mit Nach­druck den Kopf.

Weil mir tags­über sel­ten die Zeit bleibt, um Fotos zu bear­bei­ten oder das Erleb­te für das Wurf­ta­ge­buch auf­zu­schrei­ben, habe ich es mir zur Gewohn­heit gemacht, zwei Stun­den vor den Wel­pen auf­zu­ste­hen. Man kann es mir also viel­leicht nach­se­hen, dass nicht jeder Tage­buch­ein­trag durch beson­de­ren Esprit besticht oder pro­fun­des Wis­sen ver­mit­telt – manch­mal ist eben selbst dem här­tes­ten Cop nur nach Jam­mern zumu­te. Oder, um es mit den Wor­ten von Ser­geant Roger Mur­taugh zu sagen: »Ich bin zu alt für die­sen Scheiß!«

Bei Sonnenaufgang

Border Collie Welpen in der sechsten Lebenswoche
20|04|2021 – Impres­sio­nen aus dem Welpenkindergarten

Ich sit­ze schon seit einer Stun­de mit den Wel­pen im Gar­ten, als es die Son­ne schließ­lich über die hohe Tan­nen­he­cke schafft, die unse­ren Gar­ten von dem der Nach­barn trennt. Der Tau glit­zert, die Vogel sin­gen – und wären da nicht die lau­ten Kin­der­stim­men, die aus dem Nach­bar­gar­ten her­über klin­gen, wäre da nicht der Bau­lärm, der von der ande­ren Stra­ßen­sei­te her­über schallt, könn­te man die­sen Mor­gen bei­na­he fried­lich nennen.

Die Wel­pen zei­gen sich von Geräusch­ku­lis­se wenig beein­druckt. Bloß ab und an schaut einer lau­schend auf, wenn ein spit­zer Schrei an sei­ne Ohren dringt. Von dem Häm­mern und Sägen, mit dem gegen­über die Fens­ter aus den Wän­den getrie­ben wer­den, nimmt kaum einer Notiz. Viel eher sind es dann noch die bei­den Tau­ben, die sich auch in die­sem Jahr wie­der ein­ge­fun­den haben, um hoch oben im Zwetsch­ge­n­baum ihr Nest zu bau­en, die alle Bli­cke auf sich zie­hen. Mit lau­tem Flü­gel­schlag flie­gen sie über den Wel­pen­aus­lauf hin­weg und keh­ren wenig spä­ter mit Rei­sig im Schna­bel zurück.

Wäh­rend rund­her­um also geschäf­ti­ges Trei­ben herrscht, ist es der Mut­ter­hün­din end­lich gelun­gen, auch den letz­ten Wel­pen noch spie­le­risch abzu­weh­ren und sich auf einer der Decken zusam­men­zu­rol­len. Auch wenn die Wel­pen nun schon seit etwas mehr als zwei Wochen zuge­füt­tert wer­den, geht von dem Gesäu­ge der Hün­din noch immer ein beson­ders gro­ßer Reiz aus – und weil die Hün­din beson­ders duld­sam ist, gelingt es auch man­chem, sich noch eine Mahl­zeit zu erbet­teln. Sobald sich aber einer zu for­dernd an ihren Zit­zen zu schaf­fen macht, wehrt sie die Zudring­lich­keit mit einem sanf­ten Schnau­zen­biss ab – und setzt zur Not auch ihre Pfo­ten ein, um den unein­sich­ti­gen Wel­pen vom Trin­ken ab- und am Boden fest­zu­hal­ten. So wie gera­de geschehen.

Lan­ge lie­gen bleibt die Hün­din indes­sen nicht. Zwi­schen Wel­pen­haus und Tun­nel haben zwei Wel­pen ein zer­bis­se­nes Zer­gel­tau ent­deckt. Mit lau­tem Knur­ren wird dar­an gezo­gen. Statt das Spiel zu unter­bin­den, ent­schei­det die Hün­din, sich selbst ein­zu­brin­gen, schnappt sich ihrer­seits das Tau und zieht – ganz vor­sich­tig – mit. Kin­der­stim­men, Vogel­zwit­schern, Häm­mern, Sägen und Knur­ren: ein ganz nor­ma­ler Früh­lings­mor­gen bei Sonnenaufgang.

Du bist es

Border Collie Welpen in der sechsten Lebenswoche
21|04|2021 – Halo

Streng­ge­nom­men habe ich jeden unse­rer ver­gan­ge­nen Wür­fe so geplant, als sol­le einer der Wel­pen bei uns blei­ben, und des­halb auch mit einem Auge immer auf das gro­ße Gan­ze geschielt: das, was wir Züch­ter ger­ne als »in Gene­ra­tio­nen den­ken« bezeich­nen. Kein Wurf steht nur für sich, jeder ist dem Ziel unter­ge­ord­net, die Ras­se nach­hal­tig zu verbessern.

Wäh­rend es uns bei den frü­he­ren Wür­fen sel­ten mög­lich war, selbst einen Wel­pen zu behal­ten und wir des­halb bei beson­ders viel­ver­spre­chen­den Hün­din­nen zumeist ver­sucht haben, eine Mit­be­sitz­re­ge­lung mit einem der neu­en Besit­zer zu fin­den, stand bei unse­rem dies­jäh­ri­gen Wurf von vorn­her­ein fest, dass eine Hün­din unser Rudel ergän­zen soll­te. Den Weg, all sein Erspar­tes zusam­men­zu­krat­zen und Samen aus dem Aus­land zu impor­tie­ren, wählt ein Züch­ter wohl auch nur dann, wenn er sich davon einen wert­vol­len Bei­trag für das Zucht­ge­sche­hen und die eige­ne Zukunft verspricht.

Dem­entspre­chend kri­tisch war der Blick, mit dem ich ins­be­son­de­re die vier Hün­din­nen in den ver­gan­ge­nen sechs Wochen beäugt habe. Die Lie­be auf den ers­ten Blick, die nicht weni­ge mei­nen Berich­ten ent­nom­men haben, woll­te mir allei­ne zur Ent­schei­dung aber nicht genü­gen: wo über eine zukünf­ti­ge Zucht­hün­din ent­schie­den wird, ist das Herz sel­ten ein ver­läss­li­cher Kom­pass, und müs­sen gewich­ti­ge­re Merk­ma­le mit in die Waag­scha­le gewor­fen wer­den. Bei allen Vie­ren habe ich mir also Noti­zen zur indi­vi­du­el­len Ent­wick­lung gemacht, habe den Kopf und Hals, die Win­kel und die obe­re Linie bewer­tet, und bei allen auch ver­merkt, was mir zur Wesens­ent­wick­lung auf­ge­fal­len ist. Die Ent­schei­dung, die sechs Wochen lang gereift ist, wird schluss­end­lich aber den­noch kaum jeman­den über­ra­schen. Weil sich das Herz und der Kopf tat­säch­lich ein­mal einig sind.

Die Fuß­stap­fen, in die »Halo« tre­ten wird – jene, die Ida in unse­rem Leben hin­ter­las­sen hat – sind groß. Viel­leicht aber nicht zu groß für sie. So vie­le Ähn­lich­kei­ten zu mei­ner ver­stor­be­nen Her­zens­hün­din habe ich in den ver­gan­ge­nen Wochen bei ihr bemerkt – so viel Anmut und Sanft­heit, aber auch so viel Neu­gier und Spiel­freu­de. Des­halb kann ich guten Gewis­sens sagen: Ja, du bist es. Oder bes­ser noch: Du warst es schon immer.

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