Unterwegs mit den Welpen: von Wurzeln zu Trieben – und vom entzauberten Zauberwald hin zu nachhaltigen Entscheidungen.
Nature always wears the colors of the spirit.
Nature, Ralph Waldo Emerson (1836)
»Die forstwirtschaftlichen Folgen von drei Dürresommern ließen sich so vielleicht dokumentieren«, seufze ich missmutig und stoße einen trockenen Rindenschnitz mit der Schuhspitze an, »um die Welpen in Szene zu setzen taugt aber auch dieses Waldstück nicht mehr«. Links und rechts des Weges lagern die blanken Stämme in meterhohen Stapeln, daneben ist der moosige Waldboden mit losen Ästen und Rindenfetzen übersät. Von dem Nadelwald, den ich als Alternative zu dem ins Auge gefasst hatte, den wir mit unseren Welpen in den vergangenen Jahren immer gerne für einen ersten Ausflug aufgesucht hatten, sind bloß zwei kahle Fichten geblieben. Rundherum haben die Kettensägen bloß Leere hinterlassen. »So wie überall«, denke ich.
»Der Westerwald stirbt«, titelten selbst die überregionalen Medien im vergangenen Herbst, um das Schreckensbild zu beschreiben, das sich zwischen Lahn, Sieg und Rhein fast flächendeckend ausgedehnt hatte: auf die anhaltende Trockenheit war der Borkenkäfer gefolgt, nahezu 90% der Fichtenbestände waren so vernichtet worden. Der unumgängliche Holzeinschlag veränderte aber nicht nur die Landschaft, auch unseren Alltag schränkte er zusehends ein. Wo sich statt der sprichwörtlichen Waldeinsamkeit nur noch schwere Holzvollernter fanden – wo hinter jedem fremdländischen Lastkraftwagen noch ein weiterer für den Abtransport stand –, musste der gemeine Spaziergänger draußen bleiben. Weitreichende Wegsperrungen hatten uns deshalb über den Winter begleitet – und mit gespanntem Flatterband auch aus dem bewussten Wäldchen auf halbem Weg ins Tal ausgesperrt. »Vielleicht haben wir ja Glück, und da unten steht noch was«, dachte ich mir also in der vergangenen Woche – und beschloss, dem endlich nachzugehen.
Nachdem die Welpen versorgt waren, machte ich mich am frühen Donnerstagmorgen mit den drei erwachsenen Hunden auf den Weg. Der abgelegene Wanderparkplatz war nach zwanzigminütiger Fahrt erreicht. Bis zu der sonnenbeschienenen Lichtung, die sich ein gutes Stück bergan, oberhalb des schmalen Bachlaufs befand, stand uns von dort aus noch eine ebenso lange Wanderung bevor. War ich auf den ersten Metern noch zuversichtlich, den Wald dort oben genauso vorzufinden, wie ich ihn in Erinnerung hatte, folgte wenig später die Ernüchterung. Als wir den dunklen Pfad hinter uns ließen, der sich in immer neuen Wegkehren durch das Unterholz wand, tauchte im gleißenden Sonnenlicht schließlich die Anhöhe auf, die ich zum Ziel unserer Wanderung bestimmt hatte. »Kein Baum, nichts«, stellte ich enttäuscht fest, »ausgelöscht«.
Vor Jahren las ich in einem Essay, der zu den ersten Veröffentlichungen des US-amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson (1803–1882) zählte, eine Bemerkung, die sich mir tief eingeprägt hat. »Die Natur trägt immer die Farben des Geistes«, lautet diese in der deutschen Übersetzung. Wie krank dieser – augenscheinlich menschliche – Geist sein muss, offenbaren aber nicht nur die zahllosen toten Wälder. Parallelen lassen sich durchaus auch zur Hundezucht ziehen. Denn genauso wie das Waldsterben eine offensichtliche Folge von Fehlentscheidungen ist, die im Sinne einer profitorientierten Fortwirtschaft den schnellwachsenden Monokulturen den Vorzug gegeben haben, kann auch ein Züchter nur scheitern, wenn er die falschen Entscheidungen trifft. Gutes kann nur dem gelingen, der sich der Nachhaltigkeit verpflichtet – der eher den Weg der Langsamkeit, als den des schnellen Geldes geht, und sich die Zeit nimmt, seine Sprösslinge wachsen zu sehen.
»Als Züchter habe ich entschieden, welcher Samen auf welchen Boden fällt«, denke ich am Samstagmorgen, als wir mit den Welpen zwischen den wenigen, von der Abholzung noch verschont gebliebenen Fichten stehen, die sich ein kurzes Wegstück unterhalb des Wanderparkplatzes gefunden haben, »ich habe die Sprösslinge vor Wind und Wetter geschützt, ihre Wurzeln mit Liebe, Mut und Ideen gedüngt, um sie stark und widerstandsfähig zu machen«. Dass sie beides längst sind, offenbart sich auch an diesem Morgen, denn es kostet uns einige Mühe, die Neugier der sechs Welpen im Zaum zu halten. »Die anstehende, sechste Woche wird zeigen, wer eure Neugier weiter füttern darf«, setze ich den zuvor gefassten Gedanken fort, »wer eure Wurzeln versteht und eure Triebe nicht verkümmern lässt«.
© Johannes Willwacher