Wer eiert denn da herum? Über ungeschriebene Gesetze und unheimliche Besuche. Und unsere Welpen in der dritten Lebenswoche.
Und zum schönen Osterfest,
legt er sie ins Nest.
Kinderlied
Es ist gerade neun durch, als wir am Abend des Gründonnerstags endlich die Tagespflicht erfüllt und zwischen den Hunden einen Platz auf dem Sofa gefunden haben. Zion hat sich um Dirks Beine gewunden, während Heidi sich am äußersten Rand der Recamiere zusammengerollt hat. Nell sitzt aufrecht dazwischen, den Blick fest auf eine angebrochene Schachtel Shortbread geheftet, die auf der breiten Lehne des Ledersofas liegt, und hechelt voller Gier. »Ihr Atem riecht anders als sonst«, drängt sich mir ein Gedanke auf, »nicht nur anders, sondern auffallend schlecht«. Auffallend ist daran aber tatsächlich die Ähnlichkeit, die zwischen diesem und dem sauren Geruch besteht, den eigentlich nur der Atem der jungen Mutterhündin verströmt. »Aha«, entfährt es mir also. Und alle anderen schauen mich fragend an.
Eines der ungeschriebenen Gesetze der frühen Welpenzeit besagt, dass die Mutterhündin bestimmt, wer sich der Wurfkiste wann und auf welche Distanz nähern darf. Während wir Zweibeiner davon zwangsläufig ausgenommen sind, haben sich alle übrigen zum Haushalt gehörenden Hunde daran zu halten: indem jeder in Grund und Boden gestarrt wird, der sich unerlaubt durch das weiße Türgitter schiebt, sorgt die Mutterhündin dafür in der Regel schon selbst. Ungeachtet dessen hat es in der Vergangenheit aber immer schon Ausnahmen gegeben – oder hat es sich eine der Hündinnen ganz einfach herausgenommen, nicht als Hund, sondern vielmehr als Mensch angesehen zu werden, der am Rande der Wurfkiste geduldet werden muss. Die Sonderrechte, die Ida mit allergrößtem Selbstverständnis für sich beansprucht hat, hätte Nell aber keinem Wurf der übrigen Hündinnen eingefordert. Nell hatte dazu schon immer andere Wege. Sehr heimliche, wie es auch diesmal scheint.
Als ich tags darauf um die Mittagszeit mit Heidi in der Wurfkiste sitze, sehe ich aus dem Augenwinkel wie das weiße Türgitter langsam aufgeschoben wird. Mit leisen Schritten und einem angedeuteten Grinsen auf den Lefzen trabt Nell herein. Beinahe meine ich das eigentlich tonlose »Ich geh’ jetzt Welpen putzen!« als fröhlichen Singsang vernehmen zu können. Weder meine, noch die Anwesenheit von Heidi scheint sie bis hierhin bemerkt zu haben. Vorsichtig setzt sie schließlich die erste Pfote über den kaum zwanzig Zentimeter hohen Einlass des Welpenauslaufs. Sie will schon die zweite Pfote nachziehen, als sie die beiden Anwesenden endlich entdeckt und ertappt zusammenzuckt. Genauso still und heimlich, wie sie sich hereingeschlichen hat, schleicht sie daraufhin wieder hinaus.
Am Abend schon hat sie die Heimlichkeit aber durch ein neues Selbstverständnis ersetzt und beugt sich ganz unbekümmert zu den Welpen hinunter, die nach dem Trinken mit verschmierten Schnauzen hinter dem Gitter auf und ab laufen. Um nicht zu riskieren, dass einer der Welpen sich in die Höhe stemmen und nach ihren Zitzen suchen könnte, hat sie bloß die Vorderläufe im Auslauf platziert. Zufrieden schleckt sie also hier eines der Milchmäuler ab und lässt da die Nase prüfend zum Hinterteil eines Welpen wandern. »Alles sauber geputzt?«, frage ich und kraule Heidi am Kopf, die sich trotz der Anwesenheit der Althündin schnell wieder entspannt hat. Nell derweil ist viel zu beschäftigt, um auf meine Frage einzugehen. »Zum Ende der dritten Lebenswoche setzt man sich gerne ins gemachte Nest«, sage ich. Und damit ist gedanklich schon alles aufgeschrieben.
© Johannes Willwacher