Die zweite Lebenswoche unserer Border Collie Welpen: von guten Gewichten, früher neurologischer Stimulation und einer Zuchthündin, die auch mal Hund sein darf.
Mein Name ist Grün
»Guten Tag, mein Name ist Grün, und ich habe gerade mein Gewicht verdoppelt«, lasse ich mit verstellter Stimme den Welpen sagen, der am Montagabend vor mir auf der Waage sitzt. Das farbige Bändchen, auf das sich sein Name bezieht, trägt der Welpe zwar längst nicht mehr – wie auch schon bei unseren vorangegangen Würfen haben wir nach der Geburt nur wenige Tage gebraucht, um uns die individuellen Merkmale einprägen und auf die Kennzeichnung verzichten zu können –, an seinem Gewicht ändert das aber wenig. Mehr als 800 Gramm bringt der Rüdenwelpe am Abend des achten Tages auf die Waage. Dass er nicht der einzige ist, der sein Geburtsgewicht bereits vor dem planmäßigen zehnten Lebenstag verdoppelt haben wird, bemerke ich in der Folge: auch die anderen Welpen glänzen mit ähnlich hohen Gewichten.
Etwa zehn Prozent des am Vortag ermittelten Gewichts sollen es sein, die ein Welpe in den ersten zehn Tagen beim allabendlichen Wiegen mehr auf die Waage bringt. Damit das gelingt, müssen aber nicht nur die Welpen ordentlich trinken, auch die Hündin muss gut versorgt sein, um den erhöhten Energiebedarf zu decken und die Milchproduktion nicht stocken zu lassen. Neben der Entwicklung der Welpengewichte sollte der Züchter deshalb auch immer ein Auge auf die Konstitution der Hündin haben: mit jedem geborenen Welpen wird der Erhaltungsbedarf um grob ein Viertel erhöht – bei sechs Welpen benötigt die säugende Hündin zu Anfang also etwa das 2,5-fache der normalen Futtermenge.
»Die beiden Rüden liegen mit ihren Gewichten dicht beisammen«, sage ich zu Dirk, als wir kurz darauf beim Abendessen sitzen, »auch die Hündinnen nehmen sich nicht viel, allein Fräulein Gelb ist ein wenig abgeschlagen«. Die kleine Hündin mit der gleichmäßigen, runden Blesse hatte schon bei der Geburt das niedrigste Gewicht aufgewiesen – und es im Gegensatz zu ihren Geschwistern in der vergangenen Woche oftmals vorgezogen, die eine oder andere Mahlzeit zu verschlafen. »Ich würde es auch vorziehen zu schlafen, wenn ich ständig so viel essen müsste«, sage ich und schiebe den halbvollen Teller von mir weg. Ein Zehntel meines Körpergewichts. Das wären mehr als sieben Kilo Nudeln. Jeden Tag.
Super Dog
Was haben ein Wattestäbchen, ein Fön und ein Kühlkissen gemeinsam? Nicht viel – so auf den ersten Blick. Wenn sie aber nebeneinander vor der Wurfkiste liegen, offenbart sich schon die erste Gemeinsamkeit: alle drei gehören da nicht hin.
Und genau darum geht es mir an diesem Morgen: unsere sechs Welpen mit Reizen zu konfrontieren, denen sie in diesem frühen Lebensstadium normalerweise nicht ausgesetzt sind – dem schnellen Wechsel von Wärme und Kälte, einem gezielten Kitzeln unter den Pfoten, dem Erleben von Stress und der darauffolgenden Reaktion. Ziel dieser Übungen ist es, das neurologische Wachstum der Welpen sanft zu stimulieren, und ihnen so einen Vorteil zu verschaffen, der ihre weitere Entwicklung prägen wird: nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zeichnen sich Hunde, denen eine frühe neurologische Stimulation zu Teil geworden ist, nämlich nicht nur durch eine bessere Herzleistung und größere Krankheitsresistenz aus, sie zeigen sich auch im Alltag weit weniger anfällig für Stress, besitzen bessere soziale Fähigkeiten und eine höhere Frustrationstoleranz. Ich befürchte, das waren jetzt fast schon zu viele Fachbegriffe. Sie kommen doch noch mit, oder?
Für den ersten Teil der sehr kurzen Übungen – keinem Reiz sollten die Welpen länger als drei bis fünf Sekunden ausgesetzt sein – genügen mir aber meine beiden Hände. In der Hand gehalten zu werden kennen unsere Welpen. Allein schon vom täglichen Wiegen. Die Übungen selbst gehen aber noch einen Schritt weiter: indem der Welpe nicht bloß in der flachen Hand gehalten wird, sondern man ihn langsam von der aufrechten Kopfhaltung in die Rückenlage überführt, um ihn schließlich mit dem Kopf nach unten zu halten, werden seine Neuronen so richtig befeuert. Es knallt also in der Wurfkiste. Tatsächlich aber nur sehr leise.
Nach nicht einmal fünf Minuten packe ich die Utensilien wieder ein – und bin mehr als zufrieden mit den sechs sehr gelassenen Border Collie Welpen. Kein Schreien, kein Strampeln. Keine übermäßige Reaktion. »Das solltet ihr euch beibehalten«, sage ich grinsend zu den Sechsen. Die aber bekommen nichts mit. Und schmatzen schon wieder.
Die Zuchthündin
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich längst an meinem Schreibtisch sitzen sollte. Dass ich mich zumindest in dessen Nähe aufhalten müsste, um im Zweifelsfall anwesend zu sein. Stattdessen aber sitze ich seit über einer Stunde in der Wurfkiste und muss – wohl oder übel – auch noch länger dort sitzen bleiben. Warum? Weil Heidi über dem Säugen eingeschlafen ist – und ihr Kopf in meinem Schoß liegt. Aufstehen kann ich also nicht. Und arbeiten? Nein, genauso wenig! Im Hinterkopf habe ich mir deshalb schon Ausreden zurechtgelegt, die sich den Kolleginnen in der Agentur bei Bedarf präsentieren lässt. »Die Welpen haben geschrien!« Klingt plausibel, oder? Die beste – und ehrlichste – bleibt am Ende aber wohl, dass die Hündin es zu sehr genossen hat, einmal nur ausruhen und Hund sein zu dürfen.
»Das ist nun der zweite Wurf, den Heidi aufzieht«, denke ich und streichle der Hündin den Kopf. Während ich mir sicher bin, dass es noch einen Dritten geben wird, steht hinter dem Vierten aber schon ein großes Fragezeichen. »Nehme ich ihr damit nicht jedes Mal die Zeit, um einfach nur Hund zu sein?« Die Welpen haben längst von den Zitzen der Hündin abgelassen und sich um meine nackten Füße verteilt. »Eine Hündin, die fünf Würfe aufzieht, hat zuletzt fast zwei Jahre ihres Lebens mit der Welpenaufzucht verbracht. Ist das nicht zu viel?«
Der Club für britische Hütehunde beantwortet die Frage zur Häufigkeit der Zuchtverwendung mit dem schwammigen Hinweis auf die Kondition der Hündin – gefolgt von dem Zusatz, dass innerhalb von 24 Monaten nicht mehr als zwei Würfe fallen sollen. Ob ein Züchter die Obergrenze bei einer Gesamtzahl von drei oder fünf Würfen zieht – mehr sind bis zum Erreichen des zulässigen Höchstalters, bedingt durch den Zyklus der Hündin, kaum möglich –, überlässt man also der Interpretation. Und die Züchterethik? Scheint bisweilen geduldig zu sein.
»Für dich, weniger Zeit in der Wurfkiste, und für mich, weniger Zeit am Schreibtisch«, sage ich zu der Hündin, als sie schließlich erwacht, »genau das wünsche ich mir«. Dann klingelt das Telefon und von zwei Wünschen bleibt nur einer übrig. Ich muss. Sie nicht!
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