Drei Momentaufnahmen der Welpenaufzucht: was wir in der ersten Lebenswoche unserer Border Collie Welpen erleben – und was uns bewegt hat.
Der erste Tag
Am Tag nach der Geburt sitze ich am Abend in der Wurfkiste. Die Welpen sind gerade gewogen worden und die Seiten der sechs Wiegeprotokolle, die ich auf der Fensterbank abgelegt habe, kitzeln mich am Hinterkopf. Heidi hat sich auf der anderen Seite der Wurfkiste ausgestreckt, ihr Kopf ruht auf dem knapp 20 Zentimeter hohen Brett, das den Eingang verschließt, und während sich die Welpen nach dem Wiegen suchend durch das Fell an ihrem Bauch wühlen, schließt sie die Augen und schläft schließlich ein. Wäre da nicht der angestrengte Atem, der bei jeder Hündin die ersten Tage nach der Geburt begleitet, könnte man den Anblick beinahe friedlich nennen.
Nach und nach lassen die Welpen satt und zufrieden von den Zitzen der Hündin ab. Obschon alle gleich nach der Geburt gut und ausreichend getrunken haben, sind es bloß zwei, bei denen ich eine Gewichtszunahme notieren durfte. Dass die Übrigen ein wenig Gewicht verloren haben, ist aber kein Grund zur Besorgnis: nicht nur das erste vollständige Entleeren von Darm und Blase kann nach der Geburt zu einem Gewichtsverlust führen, auch die Umstellung auf eine selbständige Ernährungsweise hat oft zur Folge, dass die Welpen in den ersten zwei Tagen an Gewicht verlieren.
Während die Welpen also beginnen, sich mit kreiselnden Bewegungen von der Hündin zu entfernen, nutze ich die Gelegenheit, um den einen oder anderen hoch zu nehmen und mit dem Geruch meiner Hand vertraut zu machen. Der erst Welpe gähnt und schmatzt, ist gleich darauf eingeschlafen, und auch der zweite scheint nichts dagegen zu haben, in der Hand gehalten zu werden. Ganz im Gegenteil: als ich ihn kurz darauf zwischen den Vorderläufen der Hündin absetze und mich mit der frei gewordenen Hand in einer Ecke der Wurfkiste abstütze, protestiert er lautstark und kriecht kaum einen Moment später wieder auf meine Hand zu. Als er sie erreicht, verstummt er schließlich, schiebt sich mit Kopf und Bauch darüber, und schläft zufrieden ein. »Vertrauen ist der Anfang von allem«, denke ich. Selbst in einer Welt, die bloß aus Gerüchen, dem Empfinden von Kälte und Wärme, und einem Kitzeln unter den Pfoten besteht.
Champion
»Es stinkt«, sagt Dirk und rümpft die Nase. Weil Heidi gerade nicht anwesend ist – schon nach zwei Tagen lässt sich der saure Geruch, der ihrem Atem durch das ständige Belecken der Welpen anhaftet, kaum noch leugnen –, und sich auch die beiden anderen Hunde im oberen Stockwerk befinden, schlussfolgere ich, dass er wohl mich damit meinen muss. Vorsichtig hebe ich also einen Arm, um unauffällig an dem grauen Sweatshirt zu riechen, das ich schon seit fünf Tagen trage. Und tatsächlich: ich stinke. Ist mir vorher gar nicht aufgefallen – genauso wenig wie die Blutflecken, die sich irgendwann unter der Geburt in den grauen Stoff gefressen haben müssen. »Die Hitze«, sage ich entschuldigend, und meine das auf 25 Grad aufgeheizte Welpenzimmer, »die Hitze und der Stress«. Dass die Stunden bis zur Geburt des ersten Welpen für mich am belastendsten sind – dass ich zwanghaft ein Schreckensszenario nach dem anderen gedanklich durchspielen muss –, ist Dirk nur zu gut bekannt. Deshalb nickt er auch bloß und sagt: »Die Dusche ist oben!«
Das besagte Sweatshirt liegt auf dem Wäschekorb, als ich mit einem umgebundenen Handtuch aus dem Bad heraustrete. Dort liegt es auch noch, als ich mir die Jogginghose übergestreift und einen Blick in das angrenzende Welpenzimmer geworfen habe. Weil der Wäschekorb ohnehin voll ist – täglich wollen zwei bis drei Laken, mit denen die Wurfkiste ausgelegt ist, ausgekocht und getrocknet werden –, entscheide ich, dass der schwitzige Sweater auch noch einen zweiten Zweck erfüllen kann. In der Wurfkiste, nämlich: was könnte als vertrauensbildende Maßnahme besser geeignet sein, als ein allgegenwärtiger menschlicher Geruch, der sich zu dem warmen Geschmack von Milch gesellt?
Es dauert nicht lange, bis einer der Welpen – der zuletzt geborene Rüde – beim Herumkriechen auf den fremden Gegenstand stößt. Ich beobachte, wie seine Nase aufgeregt zu zucken beginnt, wie er die winzige Schnauze immer wieder suchend in den weichen Stoff tauchen lässt. Dann schiebt er sich schließlich mit den Hinterläufen empor und bleibt auf dem grauen Stoffberg liegen. »Champion« steht in großen Buchstaben darauf. Wenn das kein Zeichen ist.
Der Mützenmann
Es ist kurz nach neun an diesem Mittwoch, als ich nach der Morgenrunde in unsere Straße einbiege. Schon von weitem kann ich das fremde Fahrzeug sehen, das auf dem Gehweg vor unserem Haus parkt. Den Fahrer sehe ich erst, als ich unseren Wagen dahinter abstelle.
Mit verschränkten Armen steht er vor dem Eingang. Ein Mann in einem graublauen Parka – Mitte fünfzig, vielleicht – der eine schwarze Wollmütze trägt. Als ich den Fensterheber betätige und ihn anspreche, zuckt er zusammen. »Kann ich ihnen helfen?« Er lässt die Arme sinken und macht zwei Schritte auf mich zu. Auch die Hunde im Kofferraum haben ihn nun bemerkt. »Ich dachte schon, es wäre niemand da«, sagt er und bleibt hinter dem Gartenzaun stehen. »Bis vor zwei Minuten stimmte das auch«, erwidere ich und ziehe den Zündschlüssel ab, »sie haben hier aber jetzt nicht so lange gewartet, um mit uns über Gott zu sprechen?«
Der Mann schüttelt den Kopf. »Ich wollt’ mir nur mal ihre Welpen anschauen, wenn sie kurz Zeit haben«, gibt er sich räuspernd zurück, »im Internet hab’ ich gesehen, dass sie Border Collies züchten und bin hier grad’ eh … «. Weiter kommt er nicht. »Ihnen ist aber schon klar, dass wir ein privater Haushalt und keine Zoohandlung sind?«, falle ich ihm ins Wort. Seine Lippen werden schmal. Er scheint nachzudenken, antwortet aber nicht.
»Ungeachtet der Tatsache, dass wir in den ersten drei Lebenswochen der Welpen grundsätzlich keinen Besuch empfangen, möchte ich sie darauf hinweisen, dass jeder Besuch mit uns abgesprochen werden muss«, nehme ich ihm die Antwort ab, während ich die Tür des Wagens öffne und mich zwischen demselben und dem Gartenzaun postiere, »woher soll ich denn wissen, ob der Fremde, der da vor der Tür steht, nicht bloß die Räumlichkeiten inspizieren will, um bei nächster Gelegenheit einzubrechen?« Er stottert irgendwas, das sich wie »Arschloch« anhört, und schiebt sich an mir vorbei. Kurz darauf ist er verschwunden.
Mich aber lässt der Mützenmann den ganzen Vormittag nicht los. Als ich Stunden später in der Wurfkiste sitze, halte ich deshalb statt der Welpen auch immer wieder das Smartphone in der Hand. »Siri, such’ nach Überwachungskameras!« Sicher ist sicher.
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