»Es ist doch nur ein Hund«, sagen die, die nichts verstehen. Über Trauer und Verlust – und den Platz zwischen den Schneeglöckchen.
I’ve been living to see you,
dying to see you, but it shouldn’t be like this.
This was unexpected, what do I do now?
Oh, could we start again, please?
aus: Jesus Christ Superstar (1971)
Ich habe gedacht, dass es leichter werden wird, und gehofft, dass am Ende doch die Ratgeber Recht behalten, die behaupten, dass jeder Kummer bloß eine Jahreszeit braucht, um erträglich zu werden. Ich habe geglaubt, dass der Winter schwierig werden wird, und darauf gewartet, dass sich mit dem ersten Schnee, den ersten Schneeflocken auch die Trauer wieder an meine Tage krallt. Ich weiß jetzt, dass das alles nichts war, verglichen mit den ersten Schneeglöckchen im Garten, mit der Erinnerung an das letzte Foto von dir, mit der Gewissheit, dass die Zeit unbarmherzig voranschreitet und schon ein ganzes Jahr seit deinem Tod vergangen ist. Dort, wo die Erde aufbricht – wo sich neues Leben einen Weg ans Licht sucht –, brechen für mich alte Wunden auf. Ein ganzes Jahr ohne dich.
Meinst du nicht, dass ein Jahr genügt?
Ich würde gerne sagen, dass es mir gelungen ist, nicht mehr jeden Tag an dich zu denken. Dass ich nicht mehr jeden Tag von dir erzählen, nicht mehr überlegen muss, was du nun getan hättest. Dass mir dein Fehlen nicht mehr auffällt. Dass ich abschließen konnte, mit allem was war. Die Wahrheit ist, dass ich bis heute nicht einmal das Sweatshirt waschen konnte, das ich getragen habe, als ich dich zum letzten Mal im Arm hielt. Die Wahrheit ist, dass ich heute morgen an deinem Grab gestanden habe – dort, wo unter dem Zwetschgenbaum jetzt die Schneeglöckchen blühen –, und bloß denken konnte: »Meinst du nicht, dass es Zeit ist? Meinst du nicht, dass ein Jahr genügt?«.
Wie viel hat sich im vergangenen Jahr verändert? Wie sehr habe ich mich verändert, seitdem du eingeschlafen bist? Jeder Ratgeber sagt, dass Abschiednehmen zum Leben gehört, und dass man aus der schmerzhaften Erfahrung des Abschieds immer auch lernen kann, das Vorhandene mehr wertzuschätzen. Vielleicht ist das der Schluss, den ich aus deinem Tod gezogen habe: weniger zu wollen – aber das Wenige zu feiern. Jeden Tag mit den Hunden. Jede herzliche Geste. Jeden Freund, der sich als echter Freund erweist. Und alles andere – alle anderen – einfach gehen zu lassen.
Heute früh hat eine Wühlmaus zwischen den Schneeglöckchen gesessen. Sie hat sich langsam aufgerichtet, als sie mich näherkommen sah. Ein ganzes Jahr.
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