Eis, Schnee und Border Collies: fünf Geschichten aus unserem Hundealltag. Und was es mit der wilden, ungezähmten Musik des Winters auf sich hat.

»Ein Hund wird dir nie­mals erklä­ren kön­nen, wie viel ihm ein Geruch allein über die Welt erzählt – indem du ihn beob­ach­test, kannst du aber immer­hin erken­nen, wie wenig über die Welt du selbst eigent­lich weißt.« In dem Bücher­re­gal, das sich an der rück­wär­ti­gen Wand mei­nes Arbeits­zim­mers befin­det, ste­hen genau drei Gedicht­bän­de. Einer ist vor mehr als zwan­zig Jah­ren ein Geschenk eines Deutsch­leh­rers gewe­sen – ein dün­ner Band mit aus­ge­wähl­ten Gedich­ten von Paul Celan und einer unle­ser­li­chen Wid­mung –, zwei habe ich in den Jah­ren dar­auf selbst gekauft: Walt Whit­mans »Gras­hal­me« und die »Dog Songs« von Mary Oli­ver, aus denen das Zitat zu Anfang stammt. Im deutsch­spra­chi­gen Raum ist die 2019 ver­stor­be­ne Dich­te­rin zwar noch immer nahe­zu unbe­kannt – mei­nes Wis­sens nach ist kei­nes ihrer zahl­rei­chen Wer­ke bis­lang in deut­scher Über­set­zung erschie­nen –, die all­täg­li­chen Beob­ach­tun­gen, die sie in dem hübsch illus­trier­ten Band zusam­men­fasst, ver­die­nen aber zwei­fels­oh­ne ein grö­ße­res Publi­kum. Nicht nur, aber gera­de doch unter Hun­de­men­schen. War­um? Weil man jedes der Gedich­te, jeden Essay auch als Auf­for­de­rung ver­ste­hen kann, genau­er hin­zu­se­hen. In einem der beglei­ten­den Essays beschreibt sie ein­drück­lich, wie einer ihrer Hun­de sei­ne Nase im fla­chen Huf­ab­druck eines Hir­sches ver­senkt. Wie er die Augen schließt und dem Geruch lauscht, als wäre er Musik. Wil­de, unge­zähm­te Musik, von der wir rein gar nichts wissen.

Wie oft habe ich die Hun­de in den ver­gan­ge­nen Wochen beob­ach­tet, und genau dar­an gedacht? »But ah! the fal­ling-back, fading dream whe­re he was almost the­re again, in the pure, rocky wea­ther-ruled begin­ning. Whe­re he was almost wild again, and knew not­hing else but that life, no other possibility.«

Border Collie Hündin unter Decke mit schottischem Tartan-Muster
28|01|2021 – Mie­ses Wet­ter, mie­se Laune

29. Januar 2021

»Müs­sen«, meint Hei­di, und bleibt wie ange­wur­zelt unter dem schüt­zen­den Vor­dach ste­hen, »müs­sen muss ich jetzt nicht mehr«. Auch Nell, die es vor­ge­zo­gen hat, die Wasch­kü­che erst gar nicht zu ver­las­sen, wen­det den Kopf ab, als ich sie dazu über­re­den möch­te, wenigs­tens einen Fuß vor die Tür und in den Gar­ten zu set­zen. Seit ges­tern mor­gen reg­net es. Stark. So stark, dass selbst die manns­ho­hen Schnee­ber­ge, die sich in den letz­ten Wochen vor dem Haus auf­ge­türmt haben, bis auf die Hälf­te zusam­men­ge­schmol­zen sind. Wäh­rend sich die bei­den Hün­din­nen den ers­ten mor­gend­li­chen Gang also ver­knei­fen, tappt Zion allei­ne durch den Gar­ten – und ich über­le­ge, war­um für Men­schen und Hun­de nicht das Glei­che gilt.

Auf­grund der weib­li­chen Ana­to­mie, so heißt es, müs­sen Frau­en viel öfter das stil­le Ört­chen auf­su­chen, und kön­nen Män­ner den Druck viel län­ger ein­hal­ten (was mich zu der Über­le­gung bringt, dass der Mann, mit dem ich zusam­men­le­be – »Du musst doch nicht allen Erns­tes schon wie­der?« –, irgend­wie doch eine Frau sein muss). Der vier­bei­ni­ge Gegen­be­weis aber tip­pelt gera­de in unse­rem Gar­ten her­um – wenn Zion muss, dann muss er –, die bei­den Hün­din­nen schaf­fen es ohne Wei­te­res, über Stun­den ein­zu­hal­ten. »Wie der Herr, so’s G’scherr«, den­ke ich.

Border Collie spiegelt sich im Wasser
04|02|2021 – Der dop­pel­te Zion

5. Februar 2021

Manch­mal fra­ge ich mich, was wohl unbe­tei­lig­te Spa­zier­gän­ger den­ken, wenn sie mich beim Foto­gra­fie­ren beob­ach­ten. Um einen Hund mög­lichst vor­teil­haft in Sze­ne zu set­zen, muss man mei­ner Mei­nung nach näm­lich immer auch einen mög­lichst boden­na­hen Stand­punkt wäh­len – und des­halb lie­ge ich bei Spa­zier­gän­gen regel­mä­ßig irgend­wo im Dreck her­um. Die Schnee­schmel­ze, die bei uns in der ver­gan­ge­nen Woche ein­ge­setzt und statt dem kal­ten Weiß klei­ne und gro­ße Seen auf den Wie­sen zurück­ge­las­sen hat, bringt aller­dings auch mich an mei­ne Gren­zen: sich auf den Boden zu wer­fen ist das eine, sich klatsch­nass wie­der auf­zu­rap­peln aber eine völ­lig ande­re Geschich­te. Gera­de, wenn’s mal wie­der län­ger dau­ert, und der Hund, der eigent­lich in gera­der Linie durch eine Schmelz­was­ser­pfüt­ze ren­nen soll, acht­und­drei­ßig Mal den Weg außen her­um wählt.

Was emp­fiehlt sich da? Foto­gra­fen-Yoga! Weni­ger wegen dem Mind­set (wobei eine posi­ti­ve Grund­ein­stel­lung auch dem Hun­de­fo­to­gra­fen viel bes­ser zu Gesicht steht, als bei jeder Gele­gen­heit auf den Hund zu schimp­fen), son­dern mehr wegen der Beweg­lich­keit. Ich habe näm­lich her­aus­ge­fun­den, dass die wat­tier­te Jacke ein sehr viel län­ge­res Aus­har­ren erlaubt, als die Jeans – und man mit einer gut aus­ge­führ­ten Schul­ter­brü­cke selbst auf feuch­ten Wie­sen her­vor­ra­gen­de Fotos machen kann. Also vor­aus­ge­setzt, der dum­me Hund schafft’s beim drei­und­fünf­zigs­ten Ver­such end­lich mal, den rich­ti­gen Weg ein­zu­schla­gen. »Wir gehen, ich bin nass!«

Border Collie Hündin im Frost nach dem Eisregen im Februar 2021
09|02|2021 – Frost und Mor­gen­son­ne: Nell

9. Februar 2021

Die Schnee­schicht über dem Eis ist kaum mehr, als einen Zen­ti­me­ter dick. Jeder Schritt wird von einem Klir­ren beglei­tet, das klingt, als ob Glas zer­bricht – und wäh­rend wir uns im Gän­se­marsch einen Weg über das baum­lo­se Feld bah­nen, geht wohl eine gan­ze Men­ge Glas zu Bruch, so laut ist es. Fast fin­ger­dick ist jeder Gras­halm mit einer Eis­schicht über­zo­gen. Selt­sa­me, wind­schie­fe Gebil­de recken sich fun­kelnd zum blau­en Him­mel empor. Immer wie­der machen die Hun­de vor einem halt und sen­ken die Nasen – wo einer ste­hen bleibt, ste­hen bald auch alle ande­ren –, und erst dann, wenn auch der Letz­te davon über­zeugt ist, kein spin­nen­bei­ni­ges Mons­ter gefun­den zu haben, geht es wei­ter. Lang­sam, die Kapu­ze tief ins Gesicht gezo­gen, die steif­ge­fro­re­nen Lei­nen in der behand­schuh­ten Hand. Bei -12 Grad geht nichts schnell. Aber es geht.

Border Collie Hündin, Portrait
10|02|2021 – Eis­hei­li­ge: Heidi

10. Februar 2021

Es ist Mitt­woch – das heißt, dass auch Dirk früh auf den Bei­nen ist. An allen ande­ren Tagen der Woche kann ich mich dar­auf ver­las­sen, die ers­ten Stun­den des Tages ganz für mich zu haben, und bis er auf­ge­stan­den ist, schon die Zei­tung gele­sen und zwei Tas­sen Kaf­fee getrun­ken zu haben. Mitt­wochs aber ist »Team« – und die Ruhe schon gegen sie­ben Uhr vor­bei. Das nicht etwa, weil er am Mor­gen son­der­lich red­se­lig wäre – ganz im Gegen­teil –, nein. Viel­mehr, weil zeit­gleich auch die bei­den Hun­de auf­ste­hen, die mit ihm das Schlaf­zim­mer tei­len. Seit Idas Tod im ver­gan­ge­nen Jahr tei­le ich mir das Bett mit Hei­di allein, Zion und Nell schla­fen im Stock­werk dar­über. Gegen sie­ben Uhr kom­men die Drei also gemein­sam die Trep­pen her­un­ter­ge­pol­tert – Dirk holt sich eine Tas­se Kaf­fee, die bei­den Hun­de ein ers­tes Küss­chen ab. Weil das Mor­gen­ri­tu­al es so will, dass auf das Küss­chen ein ers­ter Gang in den Gar­ten folgt – und es Herr von und zu »Sprich-mich-vor-dem-ers­ten-Kaf­fee-nicht-an« vor­ge­zo­gen hat, sich mit eben die­sem wie­der ins Bett zu ver­zie­hen –, bleibt mir nichts ande­res übrig, als die­sen Gang zu über­neh­men. Bei -14 Grad, die das Ther­mo­me­ter am Aus­gang der Wasch­kü­che aktu­ell zeigt, macht es natür­lich unge­heu­ren Spaß, im Pyja­ma in der offe­nen Türe zu ste­hen. Wäh­rend die Hun­de mich näm­lich so gut kon­di­tio­niert haben, dass auf den früh­mor­gend­li­chen Aus­tausch von Lie­bes­be­kun­dun­gen ein erlö­sen­des »Aaah!« fol­gen muss, hat der umge­kehr­te Ver­such, die Hun­de mit Kek­sen von einem sehr kur­zen ers­ten Gang zu über­zeu­gen, nur bedingt funk­tio­niert: auch an die­sem Mor­gen ste­he ich eine Vier­tel­stun­de in der Tür und frie­re mir den Sie-wis­sen-schon ab. Kek­se wol­len die Hun­de natür­lich trotz­dem. Und ja … die Drei haben mich ganz her­vor­ra­gend konditioniert …

Border Collie Hündin, Schattenriss, im Sonnenuntergang
13|02|2021 – Abend­stim­mung: Heidi

15. Februar 2021

»Am Ende des Tages zählt nicht, wer einen Wel­pen bezah­len kann, son­dern viel­mehr, wer zu ihm passt – ihm das best­mög­li­che Zuhau­se bie­tet«, den­ke ich und klap­pe das Mac­book zu. Es ist halb sechs am Mor­gen und der Raum mit einem Mal dun­kel. Am ande­ren Ende des Sofas hat sich Hei­di auf der Decke zusam­men­ge­rollt und atmet gleich­mä­ßig in die Kis­sen hin­ein. Ger­ne wür­de ich die kal­ten Füße unter die Decke schie­ben. Aber so sehr ich mich auch bemü­he, es will mir doch nicht gelin­gen – die Hün­din bewegt sich nicht. Also klap­pe ich das Mac­book wie­der auf, las­se den Cur­sor eine Wei­le unent­schlos­sen über dem Schreib­tisch krei­sen, um mich schluss­end­lich doch noch ein­mal dem zuletzt gefass­ten Gedan­ken zu wid­men – dem, was man aktu­ell für einen Wel­pen bezahlt.

Dass die Pan­de­mie die Nach­fra­ge nach Wel­pen – egal wel­cher Ras­se – gestei­gert hat, dürf­te den Wenigs­ten ent­gan­gen sein. Als Ras­se­hun­de­züch­ter habe ich die­sen Wan­del schon im ver­gan­ge­nen Früh­jahr bemerkt, und bis zum heu­ti­gen Tag weit über drei­hun­dert Anfra­gen ent­ge­gen­ge­nom­men. Auf­fäl­lig dar­an ist nicht bloß die Zahl, die das Nor­ma­le um das bei­na­he Fünf­fa­che über­steigt – in den Jah­ren davor kamen bei uns auf einen Wurf etwa sech­zig Bewer­ber –, son­dern auch die Bereit­schaft, weit mehr für einen Wel­pen zu bezah­len, um einen Platz auf der War­te­lis­te garan­tiert zu bekom­men. »Wir zah­len ihnen auch ger­ne das Dop­pel­te«, hieß es in den ver­gan­ge­nen Mona­ten des­halb immer wie­der. Um die­se Bereit­schaft zu erklä­ren, genügt ein Blick in die ein­schlä­gi­gen Ver­kaufspor­ta­le: die schnell und bil­lig pro­du­zier­ten Wel­pen, die dort schon immer ange­bo­ten wor­den sind, kos­ten längst mehr, als jeder Ras­se­hund aus ein­ge­tra­ge­ner Zucht. »Das hat mit Ange­bot und Nach­fra­ge zu tun«, könn­te man nun sagen. Damit läge man nicht falsch, wür­de aber doch dem Irr­tum auf­sit­zen, dass ein Züch­ter tat­säch­lich nach betriebs­wirt­schaft­li­chen Gesichts­punk­ten agiert. Ein guter Züch­ter – hal­ten wir das fest – tut das nicht.

Mein erklär­tes Ziel ist schon immer gewe­sen, mög­lichst kos­ten­de­ckend zu arbei­ten. Das heißt, dass sich der Kauf­preis eines Wel­pen an den Kos­ten ori­en­tiert, die durch die Bele­gung der Hün­din und wäh­rend der Auf­zucht ent­ste­hen. Bei grö­ße­ren Wür­fen bleibt auch schon mal etwas hän­gen, wäh­rend ich das Defi­zit bei klei­ne­ren Wür­fen aus eige­ner Tasche aus­glei­chen muss. Das mache ich gern und ohne mich dar­über zu beschwe­ren. Weil ich das lie­be, was ich tue – weil ich mit Leib und See­le Züch­ter bin –, und nicht, weil sich damit gera­de gut Geld ver­die­nen lässt.

»Am Ende des Tages ist der Kauf­preis kein Qua­li­täts­sie­gel«, den­ke ich und schaue mir die schla­fen­de Hün­din an, »am Ende des Tages muss es der Züch­ter selbst sein, der für Qua­li­tät steht, und sei­ne eige­nen Bedürf­nis­se hin­ter die der Wel­pen stellt«. Auch wenn das manch­mal heißt, mit kal­ten Füßen im Dun­keln zu sitzen.

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