Der Herbst ist da: über Licht und Schatten – und den Einfluss, den die Corona-Krise auf die Hundezucht nimmt.
Die Blätter werden fallen und die Winde sich heben – und der Himmel wird ein winterliches Weiß annehmen. Die Menschen werden sich verängstigt in den Häusern verstecken – alleine und dicht gedrängt –, und mit jedem Tag werden sie einsamer und wütender werden. So wie der Herbstwind, der das Laub durch verwaiste Straßen trägt.
Dieser Herbst ist anders – und das nicht allein, weil er nasser und dunkler ist. Er ist anders, weil das Jahr anders war. Weil das Jahr jedem die Ablenkung genommen, jeden auf sich selbst zurückgeworfen hat. Weil keiner verschont geblieben ist. Von der Frage: was wird? Also klingelt das Telefon, zum dritten Mal an diesem Vormittag, also kündigt ein blechernes Klingeln erneut drei ungelesene Nachrichten an, die im Posteingang liegen. Dieses Jahr ist anders, weil sich jeder auf der Suche befindet. Weil jeder Antworten, Auswege, Ablenkung braucht. Jeder Hundezüchter hat das in diesem Jahr zu spüren bekommen – bei jedem haben die erste und die zweite Welle unzählige Welpenanfragen mit sich gebracht.
Die Abgabewelle von Haustieren, die zu Beginn der Pandemie von Tierschützern aufgrund wirtschaftlicher Nöte und irrationaler Ängste befürchtet worden ist, ist nicht eingetreten. Die Krise hat stattdessen zu langen Wartelisten bei den Züchtern geführt und die Nachfrage allein zwischen März und April um mehr als 120 Prozent ansteigen lassen. Bis auf das dreifache soll sie zwischenzeitlich angestiegen sein. Was für mich als Hundebesitzer nachvollziehbar scheint – ein Hund ist in schweren Zeiten nicht nur ein verlässlicher Freund, sondern vertreibt auch zuverlässig jedwede Langeweile –, ist für mich als Züchter ein Grund, aufzumerken: sind nach den unüberlegten Hamsterkäufen des Frühjahrs – nach Nudeln, Mehl und Toilettenpapier – nun die Welpen dran?
Jeden Morgen wird eine andere Zeitung, eine andere Zeitschrift, eine andere Chronik von Dingen, die in diesem Jahr passiert sind, auf dem Küchentisch liegen – und jeder wird eingehüllt sein in das Gefühl von Staunen und Verwirrung, Verzweiflung und Erschöpfung, das aus den Schlagzeilen drängt.
Ein Klick auf die einschlägigen Verkaufsportale genügt, um die Befürchtung zu bestätigen: die gesteigerte Nachfrage hat längst zu einer wahren Preisexplosion geführt. Dass die Herkunft der Welpen oftmals fragwürdig ist und sich der Wahrheitsgehalt der von den Anbietern getroffenen Aussagen kaum nachvollziehen lässt, ist dabei nur eine Seite des Problems. Die andere Seite sind die Welpenkäufer selbst: während die Krise ideale Bedingungen geschaffen hat, um dem – mehr oder minder lange gehegten – Wunsch nach vierbeiniger Gesellschaft nachzugeben, wird das Ende der Krise zwangsläufig viele vor die Herausforderung stellen, den »neuen« Hund in ihre »altes« Leben zu integrieren. Und wie viele werden daran scheitern?
»Wir sind eine Familie mit drei Kindern und haben das Gefühl, das unserem Leben noch etwas fehlt«, lese ich, als ich gegen Mittag schließlich die Zeit finde, mich den eingegangenen Mails zu widmen. »Bedingt durch die Pandemie hat sich der Lebensmittelpunkt ins Home-Office verlagert und die Zeit, um einem Hund gerecht werden zu können, ist endlich vorhanden«, schreibt jemand in einer weiteren Mail. »Wir wünschen uns einen Welpen, am besten sofort«, heißt es in beiden.
Die Blätter werden sich rot, orange und gelb färben, und an dem Tag, an dem sie fallen, den Grund in ein pointilistisches Gemälde verwandeln. Einen Tag später schon wird das Leuchten verblasst sein. Wird sich zu braun, zu schwarz ausdürren. Bis zum schwärzesten Tag.
Während ich im Frühjahr oftmals noch Mitleid empfunden habe – versucht habe nachzuempfinden, wie sich ein Familienleben zwischen Homeschooling, Kontaktbeschränkungen und fehlendem Freizeitangebot gestaltet –, ist im Herbst nur noch wenig davon übriggeblieben. »Der Border Collie ist viel mehr als nur ein Hund, er ist eine Lebensaufgabe«, habe ich in den vergangenen Monaten deshalb gerne herausfordernd zurückgeschrieben, »kein Spiel- und Freizeitpartner, um Kinder vorübergehend zufriedenzustellen«. Auf Antworten warte ich bis heute.
Die Corona-Krise verlangt jedem Züchter noch verantwortlichere Entscheidungen ab. Sie verlangt, finanzielle Interessen hintanzustellen, sich nicht der Illusion hinzugeben, dass die gesteigerte Nachfrage alles möglich macht. Sie verlangt, nichts übereilt, nichts leichtfertig, nichts gegen das Wohl der Welpen zu entscheiden. Und vielleicht auch, eher einen Wurf aufzuschieben, als noch einen mehr möglich zu machen, bei dem die Prägung erschwert und Besuch nur unter Auflagen möglich ist. Denn auch wenn die erste Welle von Abgabehunden ausgeblieben ist: die zweite Welle wird kommen, wenn die Infektionszahlen rückläufig sind – wenn die Bedingungen, die durch die Pandemie geschaffen worden sind, wieder dem Alltag weichen müssen.
Der Herbst ist da, die Blätter fallen. Und das Telefon klingelt noch viele Male an diesem Tag.
Zitate frei nach: Jill Lepore: An October Surprise in New England,
in: The New Yorker, October 6, 2020
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