Zehn Einblicke in unser Leben – und zehnmal die Frage nach Authentizität. Aber was ist das eigentlich? Und welche Rolle spielt sie für die Hundezucht?
Life’s not worth
a damn, until you can say,
I am what I am.
Gloria Gaynor (1984)
Authentizität ist ein Wort, an dem man gerne hängen bleibt – und das nicht nur, weil sich die Zunge an einer der Silben grundsätzlich verstolpern zu müssen meint. Was wir als authentisch wahrnehmen – will heißen: wo wir dem unmittelbaren Schein eine Übereinstimmung mit dem eigentlichen Sein zuschreiben –, ist zum größten Teil durch unsere eigenen Vorstellungen geprägt. Wenn sich jemand verhält, wie wir es von ihm erwarten, empfinden wir nicht nur sein Handeln, sondern auch seine Persönlichkeit als besonders echt und wahrhaftig. Selbst wenn dahinter nur ein überzeugendes Rollenspiel steckt.
Die Versuchung, gewissen Rollen und Klischees zu entsprechen oder sich dem anzupassen, was allgemein als gut empfunden wird, ist auch für den Hundezüchter nicht selten groß: ein wenig Opportunismus nimmt man gerne in Kauf, wenn dadurch das Ansehen und die Beliebtheit steigen. Wer sich in den sozialen Netzwerken bewegt, wird diesem einheitlich geschönten Bild auf die eine oder andere Weise immer wieder begegnen – dem beredsamen Expertentum genauso wie der handkolorierten Kitschpostkarte, die nur von Liebe und Leidenschaft spricht. Läuft man da mit oder versucht man, seinen eigenen Weg zu finden?
Der eigene Weg – will heißen: die Ecken und Kanten – stellt interessanterweise aber oftmals einen Nachteil dar. Ganz einfach, weil er mit der gängigen Erwartungshaltung bricht. In der Vergangenheit habe ich damit nicht selten schon selbst Erfahrung gemacht, und unter anderem einsehen müssen, dass man als Züchter – der Erwartungshaltung wegen – besser weiblich ist. »Ein Mann, der Welpen aufzieht … na, das kann ja nichts sein!«
In den vergangenen Wochen habe ich versucht, unsere Lebensumstände mit kleinen Beiträgen auf Instagram in Wort und Bild einzufangen. Ich bin mit der Kamera nicht nur durch jeden Raum in unserem Haus gewandert, sondern habe – im wahrsten Sinne des Wortes – auch die Hosen ganz runter gelassen. Das Ergebnis ist nicht perfekt – am ehesten wohl, weil wir selbst es nicht sind –, aber es könnte der Wahrheit kaum mehr entsprechen. Und wer weiß, vielleicht findet sich darin auch der eine oder andere wieder? Sie sind herzlich willkommen – unser Zuhause, das kenne sie jetzt ja schon.
No. 1 – Mittwoch, 22. Juli
Kennen sie das auch? Die Regeln, die man drinnen langwierig etabliert hat – und die von den Hunden mal mehr und mal weniger fügsam eingehalten werden –, scheinen ihre Gültigkeit zu verlieren, sobald die erste Bratwurst den Weg auf das Grillrost findet und sich der Essplatz von drinnen nach draußen verlagert. Mit am Tisch sitzen? Quengeln? Betteln? Was drinnen funktioniert, tut es draußen noch lange nicht. Mich erinnert das immer ein klein wenig an das allseits bekannte »Hundeplatz-Phänomen«. Das sagt ihnen nichts? Dann gehört ihr Hund entweder nicht zu der Spezies, für die es einen deutlichen Unterschied macht, wo sie gerade bewegt und trainiert wird – oder sie haben gar keinen: auf dem Hundeplatz klappt alles, abseits davon eher wenig. Mit etwas mehr erzieherischer Konsequenz sähe das vermutlich anders aus – aber wer hat die schon immer parat, wenn es draußen gerade so gemütlich ist?
No. 2 – Dienstag, 21. Juli
Gestern waren wieder einmal unsere syrischen Nachbarn in unserem Garten zu Gast. Seit einigen Jahren schon schaut die kleine Familie in den Sommermonaten regelmäßig bei uns vorbei, um die Blätter vom wilden Wein zu pflücken, der auf zwei Seiten unser Haus umrankt. Die Gespräche, die sich dabei ergeben, sind zumeist einfach – wohl, weil mein Arabisch kaum besser, als deren Deutsch ist –, das stört aber nicht weiter. Dass man sich dem anderen zur Not auch mit Händen und Füßen mitteilen und den kulturellen Horizont auch ohne Worte erweitern kann, durfte ich unlängst auch beim gemeinsamen Kochen erfahren, zu dem die Vier auf meine Einladung hin mit Tüten voll Reis und Lammfleisch vor unserer Türe standen: wenn dein Gegenüber hartnäckig den Kopf schüttelt, während du ihm stolz deine ersten selbst gerollten, gefüllten Weinblätter präsentierst, hast du zweifelsohne etwas Entscheidendes falsch gemacht.
Weil in unserem Garten aber nicht bloß Wein, sondern auch weit mehr Kirschen, Pflaumen und Beeren wachsen, als sich über den Sommer hinweg zu Marmelade und Kompott einkochen lässt, sind die flinken Hände auch bei den süßen Früchten herzlich willkommen. Dass der Vater der Familie, der in Syrien als Bäcker gearbeitet, in Deutschland aber aus Altersgründen noch immer keine neue Anstellung gefunden hat, sich immer wieder mit selbstgebackenen Köstlichkeiten erkenntlich zeigt, ist eine schöne – wenn auch äußerst kalorienreiche – Nebenfolge.
Das Nachsehen haben bei den kulturübergreifenden Besuchen allein die Hunde – und das nicht nur, weil sich die drei Border Collies an unseren Beerensträuchern für gewöhnlich gerne selbst gütlich tun: wie die meisten Muslime haben auch die vier syrischen Flüchtlinge große Angst vor Hunden – ein Phänomen, das fest in der Glaubenslehre des Islam verankert ist, und das den Hund als unreines Tier auf eine Stufe mit dem Schwein stellt –, die Hunde dürfen also nur vom Küchenfenster aus zusehen, wie die schwarzen, roten und grünen Früchte in den mitgebrachten Tüten verschwinden. Zum Glück ist am Ende des Tages aber noch immer genug für alle da.
No. 3 – Montag, 20. Juli
Wenn man einen Hundemenschen nach seiner Weltanschauung befragt, wird dieser die Welt unmittelbar wohl nicht in Gut und Böse, sondern vielmehr nach Menschen einteilen, die Hunde mögen – und allen anderen. Zu den anderen gehören im Wesentlichen solche, die dem Hund immer eine Katze vorziehen würden, oder – wie es dem guten Ton in unserem Hundehaushalt entspricht – die Spezies, deren Name nicht genannt werden darf. Eine Katze nur zu erwähnen führt bei unseren drei Border Collies nämlich fast zwangsläufig zu steil aufgestellten Nackenhaaren und einer sich kräuselnden Lefze – zum Sprung auf die Fensterbank fehlt dann oft nur noch wenig. Gerade unsere Nell kommuniziert recht deutlich, was sie von Stubentigern hält – und macht dabei auch keinen Unterschied, ob ihr eine Katze leibhaftig gegenübersteht, oder diese nur als fliehender Schemen in einem Zeichentrickfilm zu sehen ist. »Susi und Strolch«, die »Aristocats« oder den »König der Löwen« haben wir deshalb vorsorglich auf die schwarze Liste gesetzt, und haben im Zweifelsfall auch immer einen Finger auf der Fernbedienung, damit der entspannte Fernsehabend nicht mit einem fliegenden Fernseher endet.
PS: Die Gewohnheit, mir alles frisch Geschriebene noch einmal selbst laut vorzulesen, muss ich dringend überdenken. Sie sollten mal sehen, was hier gerade los ist.
No. 4 – Sonntag, 19. Juli
Wenn ich zurückdenke, habe ich den Samstagnachmittag immer gehasst. Der Samstagnachmittag war in meiner Jugend immer mit Gartenarbeit verbunden – Rasen mähen, Unkraut aus den Fugen kratzen, dieses oder jenes schleifen und neu streichen –, nichts also, dass man im Alter von zwölf oder sechzehn Jahren wirklich gerne tut. Die damals allseits beliebte Ausrede, noch dringend Schularbeiten erledigen zu müssen, zieht heute allerdings nicht mehr – warum, können sie sich wahrscheinlich selbst zusammenreimen. Der Samstagnachmittag gehört also voll und ganz der Gartenarbeit – und bei knapp zweitausend Quadratmetern, auf denen es wuchert und grünt, bleibt auch immer noch genug für den kommenden Samstag übrig. Oder den danach.
Dass die Hunde jeden Handgriff, den man im Garten tut, mit allergrößter Neugier verfolgen, könnte man wohl grundsätzlich wohlwollend zur Kenntnis nehmen und sagen: »Selbst beim Unkrautjäten weichen sie mir nicht von der Seite – die Liebe eines Hundes ist ehrlich, tief und schön!« Ich habe aber einen ganz anderen Verdacht. Sie schauen nur deshalb so genau hin, damit sie schon am nächsten Tag selbst gärtnerisch tätig werden, den neu angepflanzten Setzling mit spitzen Zähnen ziehen, das fein geharkte Beet beim Nachlaufen umgraben oder gleich als Erster in den frisch gesäten Rasen hinein beißen können.
Hunde wären eigentlich auch eine prima Ausrede, um den Samstagnachmittag mit anderen Dingen zu verbringen
No. 5 – Mittwoch, 8. Juli
Wer auch immer auf die Idee gekommen ist, den morgendlichen Gang ins Bad als »kleine Auszeit vom Alltag« zu beschreiben, hat dabei ganz offensichtlich nicht an Hundebesitzer wie mich gedacht. Meine Hunde finden den Gedanken, dass ich Zeit ohne sie verbringen könnte, nämlich ziemlich daneben – und sind deshalb zwangsläufig auch beim Duschen, Rasieren oder Zähneputzen dabei. Die Badezimmertür zu schließen provoziert im Allgemeinen nur ein ziemlich aufgebrachtes Geheul davor – tiefe Kratzer im Türblatt mit inbegriffen –, dieselbe muss für die Vierbeiner also unter allen Umständen offenstehen. Immer.
Die unfreiwillige Gesellschaft im Bad bringt allerdings auch einen ganz entscheidenden Vorteil: man kann getrost darauf verzichten, nach dem Duschen die Beine abzufrottieren. Das erledigen die Hunde nämlich ganz von allein. Weil sie sich so freuen, dass man die böse Dusche wieder einmal überlebt hat.
No. 6 – Montag, 6. Juli
Und? Was haben Sie gestern Schönes gemacht? Ich glaube ja, dass sich die Vorstellungen von einem perfekten Sonntagnachmittag ziemlich gleichen, und dass es nicht wenige gibt, die es gerne mögen, mit einem Buch auf dem Balkon oder im Garten zu sitzen und die Zeit ganz einfach an sich vorbei fliegen zu lassen. Auch ich habe das gestern wieder einmal versucht, bin aber – der Hunde wegen – schon nach drei Seiten gescheitert.
Wobei das eigentlich nicht stimmt und das Scheitern schon viel früher begonnen hat: kaum nämlich, dass ich es mir auf der Sonnenliege gemütlich gemacht und das fragliche Buch aufgeschlagen hatte, lag schon ein quietschbuntes Frisbee zwischen den Seiten und standen zwei schwanzwedelnde Hunde erwartungsvoll um mich herum. »Lesen ist was für Loser«, schienen deren Blicke zu sagen – und noch so manches anderes, das ich hier nicht wiedergeben möchte –, und vielleicht, weil sich die dünnen Sabberfäden am Rand des Spielzeugs bereits in das Papier zu fressen begannen, warf ich dasselbe mit Schwung in die Tiefen des Gartens. Einmal. Nein, zugegeben, öfter. Also gut, quasi nach jedem Absatz. Aber fragen Sie mich jetzt bitte nicht, was ich gelesen habe. Ich kann mich wirklich nicht erinnern …
No. 7 – Donnerstag, 2. Juli
Schockierend: es soll doch tatsächlich Hunde geben, denen nichts schmeckt, und die beim Kochen nicht neugierig die Nasen recken, um eine Ahnung davon zu erhaschen, was da gerade gehackt, geschnippelt oder angebraten wird. Bei unseren Dreien ist nämlich viel eher das Gegenteil der Fall, und muss alles, was Mann zubereitet, unbedingt auch von den Hunden probiert werden. Zucchini, Radieschen oder Grüner Spargel – bei Letzterem erinnert mich der beglückte Gesichtsausdruck unserer Nell immer ein wenig an die Restaurant-Szene in »Harry und Sally« – schmecken den drei Border Collies mindestens genauso gut wie uns.
Während sich die beiden Hündinnen bei der Zubereitung kaum eine Zutat entgehen lassen – und sich regelmäßig aufmerksamkeitsheischend mit Kunststückchen überbieten –, zeigt der vierbeinige Herr im Haus aber bisweilen doch sehr deutlich, was er von unseren Essgewohnheiten hält. Ein Beispiel? Gestern Abend gab’s Zoodles in Kokos mit Curry-Garnelen – und sein angewiderter Blick hat Bände gesprochen: »Was aussieht und riecht wie ein Welpenpimmel, das kannste gerne für dich behalten!«
No. 8 – Montag, 15. Juni
»Such dir einen Workout-Buddy«, haben sie gesagt, »damit wird das Training viel effektiver«. Meiner läuft mir während den Squats nicht nur zwischen den Beinen herum, sondern purzelt sich bei den Crunches auch jedes Mal quer über mich drüber, weil er findet, dass ich so »irre gut nach Schweiß rieche«. Effektiv ist das nicht. Aber lustig.
No. 9 – Sonntag, 14. Juni
Ausschlafen? Gemütlich im Bett frühstücken? Die Sonntagszeitung in Ruhe durchblättern? Oder auch nur eine Tasse Kaffee trinken, ohne das sich eine Hundeschnauze fordernd unter den Ellbogen schiebt? An manchen Tagen beneide ich Menschen, die keinen Hund haben, schon ein bisschen. An den meisten anderen sind die Vierbeiner aber vor allen Dingen eines: der allerbeste Grund, um morgens überhaupt aufzustehen!
No. 10 – Donnerstag, 11. Juni
Als Hundemensch lebt man nicht bloß mit Hunden. Man lebt auch mit ihren Ticks und Eigenheiten – weiß, wo ein Reiz selbst der besten Erziehung trotzt –, und lässt sich von den Vierbeinern auch im Haushalt ein klein wenig einschränken. Die Butterdose nicht offen auf der Anrichte stehen zu lassen gehört wohl genauso dazu, wie die Spülmaschine nach dem Beladen schnellstmöglich wieder zu schließen – außer, man stört sich nicht daran, die Zahnabdrücke des Hundes mit schöner Regelmäßigkeit in der Butter zu finden oder den Hund selbst inmitten von benutzten Tellern, Gläsern und Besteck.
Weil aber jeder Hund ein wenig anders ist und jeder seine eigenen Vorlieben mit sich bringt, ziehen auch mit jedem Hund neue »Ah’s!« und »Oh’s!« in die eigenen vier Wände ein. Mit Hund No. 4 ist bei uns die Erkenntnis eingezogen, dass auch manchen Hunden der Kaffee am Morgen schmeckt: wer eine halbvolle Tasse Milchkaffee stehen lässt – neben dem Bett, am Treppenabsatz, auf dem Küchentisch –, der kann sich sicher sein, dass Heidi früher oder später ihre Schnauze hinein stecken und den Rest genüsslich ausschlürfen wird.
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