Ein Nachmittag mit den Hunden am See – und ein Spaziergang zwischen Zen, Physik und kindlichem Glauben: was ist, wenn nichts mehr ist.
Ich fürchte den Tod nicht. Ich war Milliarden und Abermilliarden Jahre tot, bevor ich geboren wurde, und es hat mir nicht die geringsten Unannehmlichkeiten bereitet.
Mark Twain (1835–1910)
»Schon an dem Tag, an dem ein Welpe einzieht«, denke ich und schaue den Hunden zu, die am flachen Ufer des Sees ausgelassen durch das Wasser jagen, »schon an dem Tag, an dem man ihn zum ersten Mal in den Armen hält, nimmt man unausweichlich den Tag vorweg, an dem man ihn zum letzten Mal halten wird, und den Abschied bereitwillig in Kauf«. Der Widerspruch, den ein Hundeleben darstellt – diese unkümmerte Lebendigkeit, die sich an eine viel zu kurze Lebensspanne knüpft – scheint sich an diesem Nachmittag auf dem Wasser zu spiegeln. Denn während die drei Hunde sich hemmungslos vergnügen, fällt mir vor allem das Fehlen des Vierten auf.
Wenn ein geliebtes Tier stirbt, bemühen Hundemenschen gerne das Bild einer Regenbogenbrücke, die Himmel und Erde verbindet, und über die sich die Seele des Tieres ihren Weg in eine immergrüne Ewigkeit sucht – eine, in der sie springen und spielen darf, bis auch für ihren Menschen das Ende aller Tage gekommen ist. Dem gegenüber steht die Annahme, dass Gehirn, Seele und Bewusstsein deckungsgleich sind, und sich gleichwohl zu zersetzen beginnen, wenn der sterbende Körper seinen letzten Atemzug tut. Wo will man sich selbst nun einordnen? Braucht man den kindlichen Glauben an ein gegenständliches Jenseits, um Trost zu finden? Oder steckt auch in der kognitiven Finsternis ein wenig Trost? Während den Tod selbst nämlich weder das eine, noch das andere aus der Welt schaffen kann, rückt das eigentlich ungreifbare Jenseits viel näher an das Diesseits heran, wenn man zulässt, dass mit dem Tod ganz einfach das Licht ausgeht. Denn das Jenseits – das Kontinuum, aus dem alles Lebendige kommt und in das es schlussendlich auch wieder verschwindet – ist längst schon da. Und wir mittendrin.
Energetisch sind wir unsterblich. Das mag erst einmal esoterisch klingen, bezieht sich aber vielmehr auf ein naturwissenschaftliches Prinzip. Der 1847 durch den deutschen Physiker Hermann von Helmholtz formulierte Energieerhaltungssatz besagt, dass Energie weder erzeugt, noch vernichtet werden kann – sie kann bloß von einer Form in eine andere umgewandelt werden. Daraus folgt, dass die Summe aller Energien in einem abgeschlossenen System stets konstant bleibt. Möchte man dazu ein Bild bemühen, könnte man an einen Dynamo denken, der Bewegungsenergie in Wärme und Licht übersetzt. Wohin geht diese Energie nun also nach dem Tod? In die Luft, in die Erde, in den umgebenden Raum, könnte eine Antwort sein. In ein unvergängliches Alles, eine andere. Und genau dort knüpfe ich selbst am Seeufer an.
»Du bist in jedem Vogel, jedem Regentropfen, jedem Sonnenstrahl«, denke ich und blinzle über den grellen Spiegel der tief stehenden Sonne auf dem Wasser hinweg, »du bist in jedem Windhauch, jedem jungen Grün, jeder Knospe, die zur Blüte wird. Du bist in jedem der anderen drei«. Über das Gefühl des Verlusts – den Schmerz, nie wieder mit den Fingern nach dieser Stelle zwischen den Ohren suchen, nie wieder mit diesem vertrauten Körper im Arm einschlafen zu können – mag zwar auch das nicht hinwegtäuschen. Die Abwesenheit des anderen wird aber erträglicher, wenn man seiner Gegenwart nachspürt – in allem was war, was ist, was jemals sein wird.
Dann stehe ich schließlich auf von dem Stein, auf dem ich am Ufer gesessen habe. Gehe einen Schritt und noch einen zweiten. Fühle das kalte Wasser, das meine Füße umspült, und die Sonne in meinem Nacken. Fische die Frisbee mit der flachen Hand aus dem Wasser. Und sehe sie fliegen.
Die Zeit, in der sich unsere Existenzen überschneiden, ist kurz. Viel zu kurz, um nichts Schönes daraus zu machen.
© Johannes Willwacher