Unsere Nell feiert ihren elften Geburtstag: über die Jahre und die Zeit – und den Welpen, der sich trotz der grauen Haare noch in jedem alten Hund versteckt.
Nicht ich werde älter,
sondern mein Kameramann.
Doris Day
Für dich wird alles wie immer sein, wenn du heute morgen die Augen aufschlägst. Du wirst zusammengerollt am Fußende liegen, mit schläfrigem Blick zur Sonne blinzeln, die sich gerade in den goldenen Kronen der Kirschbäume verfängt, und dich dann langsam mir entgegen strecken – zuerst eine Pfote, dann die andere. Mit Nachdruck wirst du deine Schnauze unter eine meiner Hände schieben, dich immer wieder schnaufend drehen, bis die Hand die richtige Stelle gefunden hat, und schließlich den Kopf auf meine Brust legen – so dass wir ein Auge und ein Atem sind.
Für dich wird alles wie immer sein. Aber ich werde vielleicht das einzelne graue Haar entdecken, das in dem gefleckten Kranz um deine Augen wächst, werde erst eines und dann andere zählen – zu viele und dafür viel zu wenig Zeit. Weil du gleich darauf aufspringen und den Tag beginnen wirst. Weil du vor allen anderen den Spuren folgen musst, die unter Akelei und Vergissmeinnicht in den Beeten locken, weil es nur dir gebührt, die Tauben zu verbellen, die früh morgens laut gurrend auf dem Dachfirst hocken, und weil du weißt, dass in meiner Hosentasche ein Hundekeks steckt – einer, der an jedem Morgen auf der Gartenbank auf dich wartet und der dir an jeden Morgen ganz ausgezeichnet schmeckt.
Für dich wird alles wie immer sein, weil du die Jahre nicht in Frage stellst. Nur ich werde denken, dass du schon wieder ein Jahr älter geworden bist. Werde die Veränderungen bemerken, die sich längst nicht mehr leugnen lassen, und darüber vielleicht ins Grübeln geraten, wie viel Zeit uns noch bleibt. Bis du den Gedanken schließlich mit einer Spielaufforderung wegwischen, laut bellen und durch den Garten rennen wirst. Beinahe so, als gelte es zu beweisen, dass auch in einem elfjährigen Hund noch immer ein Welpe steckt.
Für dich wird alles wie immer sein. Haben wir dich eigentlich gestern nicht erst nach Hause geholt?
© Johannes Willwacher