Wer sich in Hundeforen im Internet bewegt weiß, dass sie meistens nur für eines gut sind: um sich mal wieder gepflegt aufzuregen. Ein Selbstversuch.
Und sollte ich vergessen haben, jemanden zu beschimpfen, dann bitte ich um Verzeihung!
Johannes Brahms (1833–1897)
Das kennt wahrscheinlich jeder: aus Unachtsamkeit hat man sich das Schienbein gestoßen und dabei eine schmerzhafte Platzwunde zugezogen, die nur langsam verheilt. So weit, so egal. Denn das, was wahrscheinlich jeder kennt, soll in diesem Fall nicht das schorfige Schienbein, sondern vielmehr das merkwürdige Bedürfnis sein, an der Wunde herum zu kratzen – immer wieder die Hand nach der schmerzenden Stelle auszustrecken, obwohl die Reaktion (»Scheißnocheins, tut das weh!«) längst bekannt ist. Mit Hundeforen im Internet sieht das ganz ähnlich aus.
Als Hundebesitzer hat man neben dem Hund und der dazugehörigen Grundausstattung – Halsband, Leine, Futternapf – fast zwangsläufig immer auch eines: eine ziemlich ausgeprägte eigene Meinung. Wie man einen Hund am sinnvollsten beschäftigt, kann dabei genauso dazu gehören, wie die Frage nach der gesunden Ernährung oder jene nach dem Sinn und Zweck von Papieren. Themen, die mit einer besonderen Überzeugung besetzt sind, und auf die man mehr oder weniger sensibel reagiert. Ahnen Sie schon, was das mit der Wunde am Schienbein zu tun hat? Nein? Dann lassen Sie mich einmal ein Beispiel anführen.
Ein Dienstagnachmittag, kurz vor Feierabend. Weil ich gerade nichts besseres zu tun habe, lasse ich mich dazu hinreißen, einen kurzen Blick in eines der unzähligen Hundeforen zu werfen, die ich abonniert habe. Welches, tut nichts zur Sache, denn schlussendlich haben alle eines gemein: neben netten Bildern und Belanglosigkeiten, die schnell überflogen sind, gibt es in jedem dieser Foren fast täglich Beiträge, bei denen sich die eigene Überzeugung herausgefordert fühlt (»Scheißnocheins, tut das weh!«). Während es mir meistens gelingt, mich bei Fragen der sinnvollen Beschäftigung oder gesunden Ernährung zurückzuhalten, sind es gerade die zuchtrelevanten Themen, die für mich der bewussten Platzwunde nahekommen: obwohl ich sehr genau weiß, dass ich mich nur aufregen kann (»Lass das, das tut nur weh!«), gelingt es mir nicht, einen solchen Beitrag einfach auszublenden. So auch dieses mal.
»Unsere Welpen sind da«, lese ich unter einem unscharfen Foto, das »zwei Rüden und sechs Hündinnen« zeigt, die gerade zehn Tage alt sein mögen. Bei dem Vater der Welpen, der auf einem der folgenden Fotos zu sehen ist, handelt es sich um einen zu groß geratenen Collie Mischling, bei der Mutter um eine Border Collie Hündin, die – den Fotos nach zu urteilen, die im privaten Profil des Anbieters sichtbar sind – vor gut einem Jahr selbst noch ein Welpe gewesen ist. Der Rüde, lese ich weiter, hat schon mehrfach gedeckt, »seine Welpen sind alle im sozialen Bereich tätig«, und deshalb werden auch diese »gut als Anfängerhunde« geeignet sein. Bei der Abgabe sind die Welpen »auf Wunsch geimpft«, eine Anzahlung schon vorher fällig – und weil ich mich bis hierhin scheinbar noch nicht ausreichend aufgeregt habe, soll sich der volle Kaufpreis auf zwölfhundert Euro belaufen. Gedanklich habe ich mir zu diesem Zeitpunkt auch noch das zweite Schienbein mit Wucht angestoßen und den Schorf an beiden aufgekratzt. Klingt eklig? Nun, genauso fühle ich mich in diesem Moment auch.
Aber warum eigentlich? Würde sich irgendetwas ändern – für die Welpen, den Anbieter, für mich –, wenn ich mich nun kritisch zu Wort melden und jedweden strittigen Punkt anprangern würde? Nein, ganz sicher nicht. Würde ich auf das Angebot eingehen – ihm meine Aufmerksamkeit schenken –, wäre ihm fraglos nur noch mehr Aufmerksamkeit garantiert. Und Aufmerksamkeit ist so ziemlich das Letzte, das ich so jemandem wünsche. Das schorfige Schienbein lässt man schließlich auch besser in Ruhe. Weil’s sonst nur noch schlimmer wird.
© Johannes Willwacher