Zeig’ mir dein Haus und ich sag’ dir, wer du bist: über weiße Wände und Hirschgeweihe – und warum hundefreundliches Braun keine Lösung ist.
Der Saal, der sich an das fast dreihundert Jahre alte Forsthaus anschließt, ist kalt und ungeheizt, aus den bestuhlten Räumen daneben klingt lauter Gesang durch die verglasten Türen – Love Hurts von Nazareth – immer und immer wieder. Ich stehe mit verschränkten Armen an der breiten Fensterfront, versuche mir zähneklappernd die Wartezeit zu vertreiben, indem ich die Trophäen und Hirschgeweihe an den Wänden zähle, gebe beim Kronleuchter aber schließlich auf und folge den weiten Schritten, mit denen meine bessere Hälfte den Raum durchmisst. »130 Quadratmeter«, schlußfolgert er und stemmt sich die Hände in die Hüften, während der Gitarrist im Nebenzimmer mit der nächsten Runde von Love Hurts beginnt. Ich nicke zustimmend und versuche mir den menschenleeren Raum gefüllt vorzustellen – mit Tischen und Stühlen und einer Torte dazwischen –, bleibe aber schlussendlich wieder bei dem geraden Zehnender hängen, der von der blass gelb gestrichenen Wand herunter schaut. »Wenn diese Wände sprechen könnten«, denke ich im Gehen, und bin damit gedanklich beinahe schon wieder zuhause.
Wenn diese Wände sprechen könnten: wer mit einem Hund zusammenlebt, der braucht eigentlich keinen Irrealis, um seine vier Wände zum Sprechen zu bringen. Zumindest nicht die Wände, die einmal weiß gestrichen worden sind. Von den weißen Wänden lassen sich im Laufe der Zeit nämlich nicht nur die Mahlzeiten und Liegeplätze der Vierbeiner, sondern auch die Läufigkeiten der Hündinnen ganz genau ablesen – und mit etwas Glück auch manches Mißgeschick, an dem eine halbvolle Tasse Milchkaffee und ein im Weg liegender Hund beteiligt gewesen ist. Eine weiße Wand ist nach wenigen Wochen in Laufhöhe grau und erzählt jedem – ob man will oder nicht – ihre eigene Geschichte: »Hier wohnt ein Hund«.
Als wir uns am Wochenende darauf anschicken, die Fußleisten in den Wohnräumen abzunehmen und die Türzargen abzukleben, um die – nach fast zehn Jahren – längst überfällige Renovierung voranzutreiben, mache ich mir deshalb auch keine großen Hoffnungen, dass das frische Weiß lange weiß bleiben wird. Überall bloß hundefreundliches Braun zu verstreichen oder die Wände auf halber Höhe mit abwaschbaren Paneelen zu verkleiden, wäre schließlich auch keine zufriedenstellende Lösung. Vielleicht gehört der dezente Grauschleier genauso zu einem Hundehaushalt, wie die Geweihe zum Forsthaus gehören. Love hurts, love scars, love wounds and marks …
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