Kann ein Blatt winken? Ein Haselstrauch sprechen? Ein Stein singen? Wenn man einen fünf Wochen alten Welpen beobachtet, dann scheint es beinahe so.
Man kann nicht nicht kommunizieren!
Paul Watzlawick
Schließ deine Augen und stell dir einen Garten vor. Brombeerbüsche, zwischen denen Wildrosen wachsen, einen Apfelbaum, der mit seinem Laub den steinigen Weg darunter bedeckt, Verblühtes und Verwildertes in den aufgelassenen Beeten. Kannst du die feuchte Erde riechen? Die bunten Blätter im Wind tanzen sehen? Fühlst du den Regen auf deiner Haut? Es wird dir nicht schwer fallen, das Bild noch weiter auszuschmücken und dir den Garten in Gedanken ganz zu eigen zu machen – nicht nur, weil du schon Unzählige gesehen hast, sondern auch, weil du beinahe jedes Ding beim Namen kennst – begriffen hast – und weißt, wie es sich verhält. Ein Blatt hängt am Baum, ein Stein liegt am Boden – und selbst wenn du all deine Vorstellungskraft bemühst, wird dir weder das eine, noch das andere jemals zuwinken oder mit dir sprechen wollen. Für einen Welpen sieht das ganz anders aus.
Der Neugier und Unbefangenheit, mit der ein Welpe in den ersten Wochen seines Lebens seine Umwelt entdeckt, möchte man gerne zugestehen, dass er alles als belebt, als ihm zugewandt begreift. Der Wind heult, das Gras flüstert, die Steine singen nur für ihn – und wenn die regenschweren Stauden sich über seinem Kopf nach unten biegen, dann tun sie das nur, um ihn dort draußen zu begrüßen. Noch macht das Fremde dem Welpen keine Angst. Noch sind die Eindrücke, die ihn von allen Seiten bestürmen, nur überwältigend und schön. Um zu begreifen, dass das nicht bloß Behauptung ist, braucht es nicht viel. Es genügt, einen Welpen dabei zu beobachten, wie er mit einem sattgrünen Haselstrauch spricht – und schließlich freudig der stummen Einladung folgt, sich eines der Blätter von den Ästen zu klauben.
Die kurzen Spaziergänge, die ich beginnend mit der fünften Lebenswoche mit jedem Welpen alleine unternehme, verfolgen aber nicht nur den Zweck, ihn mit den Geräuschen und Gerüchen unserer Alltagswelt vertraut zu machen und ihn geduldig an Gegenstände heranzuführen, die ihm im späteren Leben womöglich Angst einflößen könnten, sie zielen außerdem darauf ab, mir selbst ein besseres Bild von seinen Stärken und Schwächen zu machen. Wie aufmerksam ist sein Blick? Folgt er mir, wenn ich vorauslaufe, oder lenken ihn die vielfältigen neuen Eindrücken noch zu leicht ab? Bemerkt er meine Abwesenheit und beginnt selbständig zu suchen, oder verweilt er hilflos an Ort und Stelle, um lauthals nach mir zu rufen? Wie geht er mit Herausforderungen um? Gelingt es ihm, sich einem Hindernis umsichtig zu nähern – einen Weg zu finden, ohne dass Hilfestellung notwendig ist?
Während mich die beiden erstgeborenen Welpen, kaum dass ich sie abgesetzt habe, auf Schritt und Tritt verfolgen, und sich auch der nächstjüngere Rüde bald schon durch mein Rufen zum Nachlaufen anhalten lässt, fällt mir bei den drei übrigen Welpen beim ersten Spaziergang deutlich die noch fehlende Fokussierung auf: der Reiz des Unbekannten ist so groß, dass mein Rufen ungehört verhallt – die Stimmen der Dinge rufen lautlos noch lauter. Beim letzten Welpen bleibe ich deshalb versteckt hinter dem Haselstrauch hocken und warte ab, bis er sich an dem bunten Laub unter dem Apfelbaum satt gerochen hat. Dann hebt auch er endlich den Kopf, blickt sich suchend nach allen Seiten um, und läuft schließlich mit schnellen Schritten auf mich zu. »So habe ich mir das vorgestellt«, sage ich zufrieden und drücke den lustig züngelnden Welpen glücklich an mein Gesicht, »erst der Garten und dann die ganze Welt«.
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