Der Hunger treibt’s rein: über sechs Welpen und ihre erste Mahlzeit – und das einzige Gericht auf der Tageskarte.
Das Wachstuch war blau und mit Weinranken bedruckt, zwischen denen sich das Abbild reifer Früchte mit Brandlöchern abwechselte, die den Blick auf die Tischplatte darunter freigaben. Aus der engen Küche, die an den Gastraum angrenzte, in dem neben uns bloß noch ein weiteres Paar an einem der zehn karg eingedeckten Tische saß, war durch das Klappern von Töpfen und Pfannen immer wieder ein Stimmengewirr zu hören, dem alsbald ein lauter, griechischer Ausruf und schließlich noch lauteres Gelächter folgte. Eine der Stimmen gehörte der Hausherrin, die das bescheidene Hotel seit dem Tod ihres Mannes alleine mit den beiden Söhnen führte, und die wir bereits bei unserer Ankunft am Morgen kennengelernt hatten. Beide – das Hotel und die Hausherrin – hatten zweifelsohne schon bessere Zeiten gesehen, folgten aber unbeirrt ihrer Bestimmung. Sie lächelte also freundlich, als sie bald darauf die Küchentür mit dem Ellbogen aufschob und zwei dampfende Teller zu unserem Tisch trug. »Kalí órexi!«, sagte sie, nachdem sie die beiden Teller vor uns abgestellt und in gebrochenem Deutsch erklärt hatte, was sich da unter Kartoffeln und Bratensoße auf den Tellern befand. »Lammfleisch«, wiederholte ich stumm, während sich mein Magen bereits vor Hunger zusammenzog, »das kann, nein, das will ich nicht essen!«
Um den Sinn dieser kleinen Geschichte verständlicher zu gestalten, hätte ich vorausschicken sollen, dass ich zum gegebenen Zeitpunkt seit mehr als fünfzehn Jahren kein Fleisch gegessen und bis zu jenem heißen Abend im August auch keinen einzigen Gedanken daran verschwendet hatte, mit der Gewohnheit – nein, besser – mit der Überzeugung zu brechen. Mein Magen hielt von Gewohnheiten und Überzeugungen aber offenkundig wenig: während ich hilflos versuchte, das krümelig gebratene Hackfleisch mit der Gabel von den Kartoffeln zu kratzen, knurrte er ganz einfach immer lauter. So laut, dass ich schließlich beschloss, den Ekel herunterzuschlucken, und ihm eine ganze Gabel Lammfleisch folgen zu lassen. »Das ist aber … gar nicht mal so schlecht!«
Derweil mir – wollte ich nicht hungrig zu Bett gehen oder die Hausherrin verärgern – kaum eine andere Wahl blieb, als das servierte Gericht zu essen, stand unseren sechs Welpen in der vergangenen Woche die Entscheidung frei, sich an die unbekannte erste Malzeit heranzuwagen. Der Ausdruck, der bei den Sechsen dem ersten Bissen folgte, ähnelte aber fraglos meinem eigenen: auf Widerwille und Ekel folgte Verwunderung, auf Kauen und Schlucken schließlich Genuss. Was schlussendlich wohl beweist, dass man Überzeugungen nur allzu gerne verkauft, wenn man dafür etwas Gutes zu essen bekommt.
© Johannes Willwacher