Border Collie Welpen in der vierten Lebenswoche
24|10|2019 – Geschwis­ter essen

Der Hunger treibt’s rein: über sechs Welpen und ihre erste Mahlzeit – und das einzige Gericht auf der Tageskarte.

Das Wachs­tuch war blau und mit Wein­ran­ken bedruckt, zwi­schen denen sich das Abbild rei­fer Früch­te mit Brand­lö­chern abwech­sel­te, die den Blick auf die Tisch­plat­te dar­un­ter frei­ga­ben. Aus der engen Küche, die an den Gast­raum angrenz­te, in dem neben uns bloß noch ein wei­te­res Paar an einem der zehn karg ein­ge­deck­ten Tische saß, war durch das Klap­pern von Töp­fen und Pfan­nen immer wie­der ein Stim­men­ge­wirr zu hören, dem als­bald ein lau­ter, grie­chi­scher Aus­ruf und schließ­lich noch lau­te­res Geläch­ter folg­te. Eine der Stim­men gehör­te der Haus­her­rin, die das beschei­de­ne Hotel seit dem Tod ihres Man­nes allei­ne mit den bei­den Söh­nen führ­te, und die wir bereits bei unse­rer Ankunft am Mor­gen ken­nen­ge­lernt hat­ten. Bei­de – das Hotel und die Haus­her­rin – hat­ten zwei­fels­oh­ne schon bes­se­re Zei­ten gese­hen, folg­ten aber unbe­irrt ihrer Bestim­mung. Sie lächel­te also freund­lich, als sie bald dar­auf die Küchen­tür mit dem Ell­bo­gen auf­schob und zwei damp­fen­de Tel­ler zu unse­rem Tisch trug. »Kalí órexi!«, sag­te sie, nach­dem sie die bei­den Tel­ler vor uns abge­stellt und in gebro­che­nem Deutsch erklärt hat­te, was sich da unter Kar­tof­feln und Bra­ten­so­ße auf den Tel­lern befand. »Lamm­fleisch«, wie­der­hol­te ich stumm, wäh­rend sich mein Magen bereits vor Hun­ger zusam­men­zog, »das kann, nein, das will ich nicht essen!«

Border Collie Welpen in der vierten Lebenswoche
24|10|2019 – Lecker essen

Um den Sinn die­ser klei­nen Geschich­te ver­ständ­li­cher zu gestal­ten, hät­te ich vor­aus­schi­cken sol­len, dass ich zum gege­be­nen Zeit­punkt seit mehr als fünf­zehn Jah­ren kein Fleisch geges­sen und bis zu jenem hei­ßen Abend im August auch kei­nen ein­zi­gen Gedan­ken dar­an ver­schwen­det hat­te, mit der Gewohn­heit – nein, bes­ser – mit der Über­zeu­gung zu bre­chen. Mein Magen hielt von Gewohn­hei­ten und Über­zeu­gun­gen aber offen­kun­dig wenig: wäh­rend ich hilf­los ver­such­te, das krü­me­lig gebra­te­ne Hack­fleisch mit der Gabel von den Kar­tof­feln zu krat­zen, knurr­te er ganz ein­fach immer lau­ter. So laut, dass ich schließ­lich beschloss, den Ekel her­un­ter­zu­schlu­cken, und ihm eine gan­ze Gabel Lamm­fleisch fol­gen zu las­sen. »Das ist aber … gar nicht mal so schlecht!«

Der­weil mir – woll­te ich nicht hung­rig zu Bett gehen oder die Haus­her­rin ver­är­gern – kaum eine ande­re Wahl blieb, als das ser­vier­te Gericht zu essen, stand unse­ren sechs Wel­pen in der ver­gan­ge­nen Woche die Ent­schei­dung frei, sich an die unbe­kann­te ers­te Mal­zeit her­an­zu­wa­gen. Der Aus­druck, der bei den Sech­sen dem ers­ten Bis­sen folg­te, ähnel­te aber frag­los mei­nem eige­nen: auf Wider­wil­le und Ekel folg­te Ver­wun­de­rung, auf Kau­en und Schlu­cken schließ­lich Genuss. Was schluss­end­lich wohl beweist, dass man Über­zeu­gun­gen nur all­zu ger­ne ver­kauft, wenn man dafür etwas Gutes zu essen bekommt.

© Johannes Willwacher