Drei Wochen alter Border Collie Welpe im Herbstlaub
22|10|2019 – Drei Wochen alt: Broad­me­a­dows Grace Kelly

Von Hölzchen auf Stöckchen, vom Wald zu den Welpen – und vom Hund über den Menschen zum genetisch fixierten Urvertrauen: ein Herbstspaziergang.

Hun­de wer­den nicht mit einer Freundlichkeit
gegen­über Men­schen gebo­ren. Sie wer­den gebo­ren mit
der Fähig­keit freund­lich zu Men­schen zu werden.
John Brad­shaw, In Defence of Dogs (2012)

Als wir die letz­ten Häu­ser hin­ter uns gelas­sen haben, sind es nur noch zwei Pilz­su­cher, die uns an die­sem Mor­gen begeg­nen. Danach beschränkt sich die Gesell­schaft für mich und die Hun­de auf Wind und Regen, die mal gemein­sam, mal allei­ne auf­tre­ten. Die brei­te, von Bir­ken bestan­de­ne Allee wech­selt schon bald auf einen grü­nen Wie­sen­pfad, der sich vor­bei an alten Hute­ei­chen immer wei­ter tal­ab­wärts win­det. Ein ver­las­se­ner Fisch­teich zu unse­rer Lin­ken, jun­ge Rin­der auf einer Wei­de zu unse­rer Rech­ten, dann ist der Wald­rand erreicht. Wo vor nicht ein­mal zwei Wochen noch grü­nes Laub an den Ästen hing, hat die Natur nun auch zum Pin­sel gegrif­fen und mit leuch­ten­den Far­ben den Herbst in die Kro­nen gemalt. Es riecht nach totem Holz, feuch­ter Erde und Pil­zen. Unter unse­ren Schrit­ten raschelt das Laub. »Wer kei­nen Hund hat, der hat kaum einen Grund, an einem neb­li­gen Mor­gen spa­zie­ren zu gehen«, den­ke ich, als wir den schma­len Pfad schließ­lich unweit der nächs­ten Sied­lung ver­las­sen und auf den Wald­weg ein­schwen­ken, der in einer lang­ge­zo­ge­nen Keh­re zurück auf die Höhen führt, »ohne einen Hund bleibt von all den Far­ben und Gerü­chen nur der Ein­druck zurück, das irgend­et­was fehlt«. Dann kreuzt ein Eich­hörn­chen unse­ren Weg, und der Gedan­ke, dass sich die Gesell­schaft der Hun­de nicht nur gut und rich­tig, son­dern auch vor­be­stimmt anfühlt, ist ganz plötz­lich wie weggeblasen.

Stun­den spä­ter, als ich mit über­kreuz­ten Bei­nen bei den Wel­pen sit­ze und mich die Sechs mit aller­größ­ter Neu­gier bestür­men, ist er aber wie­der da. »Wenn Stock­enten in Minu­ten ler­nen, wie ihre Mut­ter aus­sieht, und sich Lach­se unaus­lösch­lich ein­prä­gen kön­nen, wo ihre Laich­ge­wäs­ser sind«, den­ke ich, und hal­te einen der sechs Wel­pen am aus­ge­streck­ten Arm vor mich hin, »ent­schei­den dann auch Hun­de­wel­pen schon in ihren ers­ten Lebens­wo­chen, dass der Mensch ein Wesen ist, in des­sen Gesell­schaft es sich gut leben lässt – oder wur­zelt die­ses Ver­trau­en noch viel tie­fer, ist es gene­tisch programmiert?«

Drei Wochen alter Border Collie Welpe im Herbstlaub
22|10|2019 – Drei Wochen alt: Broad­me­a­dows Gethsemane

Neue­re Stu­di­en spre­chen von einer gene­ti­schen Scha­blo­ne, die beim Hund bei der Wahl des bevor­zug­ten Bin­dungs­part­ners ange­wandt wird. Wäh­rend hand­auf­ge­zo­ge­ne Wöl­fe im Alter von acht Wochen immer die Gesell­schaft der eige­nen Spe­zi­es der des Men­schen vor­zie­hen, hat eine eben jener Stu­di­en erge­ben, dass die Wahl von gleich­alt­ri­gen Haus­hun­de­wel­pen viel eher auf den Men­schen fällt, und sie wahr­schein­lich bereits gene­tisch auf den Phä­no­typ Mensch fest­ge­legt sind. Hun­de wer­den also ver­mut­lich schon mit der Vor­stel­lung gebo­ren, wie ihr geeig­ne­ter Sozi­al­part­ner aus­se­hen wird, und schen­ken uns ihr Ver­trau­en nicht blind, son­dern weil sie gar nicht anders kön­nen. Wie weit das Ver­trau­en des Hun­des in den Men­schen reicht, zeigt sich aber nicht nur bei den Wel­pen, die – kaum dass sie lau­fen kön­nen – auf den Men­schen zu gewa­ckelt kom­men, son­dern auch bei der Hün­din, die in den ers­ten Lebens­wo­chen ihrer Wel­pen zwar jeden ande­ren Hund vom Wurf­la­ger fern­zu­hal­ten sucht, dem Men­schen aber jeder­zeit Zutritt gewährt. Einen schö­ne­ren Beweis für die tie­fe Bin­dung zwi­schen Mensch und Hund kann es wohl nicht geben.

Viel­leicht ist für uns Men­schen in die­sen ver­erb­ten Vor­stel­lun­gen auch der Umstand begrün­det, dass sich ein Spa­zier­gang im Regen mit einem Hund so viel bes­ser, so viel sinn­haf­ter anfühlt. Weil Mensch und Hund eben schon seit zehn­tau­sen­den Jah­ren gemein­sam wan­dern, jagen und Spu­ren lesen, und sich der eine ohne den ande­ren im Wald ziem­lich ver­lo­ren fühlt. Viel­leicht zei­gen sie aber auch, wie groß die Ver­ant­wor­tung ist, die der Hun­de­züch­ter in den ers­ten Lebens­wo­chen sei­ner Wel­pen trägt. Weil es sich mit dem Ver­trau­en näm­lich im schlech­tes­ten Fall nicht anders, als mit dem leuch­ten­den Herbst­laub ver­hält: was eben noch bunt in den Bäu­men hängt, hat – ehe man sich ver­sieht – schon der Wind fortgetragen.

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