Von Hölzchen auf Stöckchen, vom Wald zu den Welpen – und vom Hund über den Menschen zum genetisch fixierten Urvertrauen: ein Herbstspaziergang.
Hunde werden nicht mit einer Freundlichkeit
gegenüber Menschen geboren. Sie werden geboren mit
der Fähigkeit freundlich zu Menschen zu werden.
John Bradshaw, In Defence of Dogs (2012)
Als wir die letzten Häuser hinter uns gelassen haben, sind es nur noch zwei Pilzsucher, die uns an diesem Morgen begegnen. Danach beschränkt sich die Gesellschaft für mich und die Hunde auf Wind und Regen, die mal gemeinsam, mal alleine auftreten. Die breite, von Birken bestandene Allee wechselt schon bald auf einen grünen Wiesenpfad, der sich vorbei an alten Huteeichen immer weiter talabwärts windet. Ein verlassener Fischteich zu unserer Linken, junge Rinder auf einer Weide zu unserer Rechten, dann ist der Waldrand erreicht. Wo vor nicht einmal zwei Wochen noch grünes Laub an den Ästen hing, hat die Natur nun auch zum Pinsel gegriffen und mit leuchtenden Farben den Herbst in die Kronen gemalt. Es riecht nach totem Holz, feuchter Erde und Pilzen. Unter unseren Schritten raschelt das Laub. »Wer keinen Hund hat, der hat kaum einen Grund, an einem nebligen Morgen spazieren zu gehen«, denke ich, als wir den schmalen Pfad schließlich unweit der nächsten Siedlung verlassen und auf den Waldweg einschwenken, der in einer langgezogenen Kehre zurück auf die Höhen führt, »ohne einen Hund bleibt von all den Farben und Gerüchen nur der Eindruck zurück, das irgendetwas fehlt«. Dann kreuzt ein Eichhörnchen unseren Weg, und der Gedanke, dass sich die Gesellschaft der Hunde nicht nur gut und richtig, sondern auch vorbestimmt anfühlt, ist ganz plötzlich wie weggeblasen.
Stunden später, als ich mit überkreuzten Beinen bei den Welpen sitze und mich die Sechs mit allergrößter Neugier bestürmen, ist er aber wieder da. »Wenn Stockenten in Minuten lernen, wie ihre Mutter aussieht, und sich Lachse unauslöschlich einprägen können, wo ihre Laichgewässer sind«, denke ich, und halte einen der sechs Welpen am ausgestreckten Arm vor mich hin, »entscheiden dann auch Hundewelpen schon in ihren ersten Lebenswochen, dass der Mensch ein Wesen ist, in dessen Gesellschaft es sich gut leben lässt – oder wurzelt dieses Vertrauen noch viel tiefer, ist es genetisch programmiert?«
Neuere Studien sprechen von einer genetischen Schablone, die beim Hund bei der Wahl des bevorzugten Bindungspartners angewandt wird. Während handaufgezogene Wölfe im Alter von acht Wochen immer die Gesellschaft der eigenen Spezies der des Menschen vorziehen, hat eine eben jener Studien ergeben, dass die Wahl von gleichaltrigen Haushundewelpen viel eher auf den Menschen fällt, und sie wahrscheinlich bereits genetisch auf den Phänotyp Mensch festgelegt sind. Hunde werden also vermutlich schon mit der Vorstellung geboren, wie ihr geeigneter Sozialpartner aussehen wird, und schenken uns ihr Vertrauen nicht blind, sondern weil sie gar nicht anders können. Wie weit das Vertrauen des Hundes in den Menschen reicht, zeigt sich aber nicht nur bei den Welpen, die – kaum dass sie laufen können – auf den Menschen zu gewackelt kommen, sondern auch bei der Hündin, die in den ersten Lebenswochen ihrer Welpen zwar jeden anderen Hund vom Wurflager fernzuhalten sucht, dem Menschen aber jederzeit Zutritt gewährt. Einen schöneren Beweis für die tiefe Bindung zwischen Mensch und Hund kann es wohl nicht geben.
Vielleicht ist für uns Menschen in diesen vererbten Vorstellungen auch der Umstand begründet, dass sich ein Spaziergang im Regen mit einem Hund so viel besser, so viel sinnhafter anfühlt. Weil Mensch und Hund eben schon seit zehntausenden Jahren gemeinsam wandern, jagen und Spuren lesen, und sich der eine ohne den anderen im Wald ziemlich verloren fühlt. Vielleicht zeigen sie aber auch, wie groß die Verantwortung ist, die der Hundezüchter in den ersten Lebenswochen seiner Welpen trägt. Weil es sich mit dem Vertrauen nämlich im schlechtesten Fall nicht anders, als mit dem leuchtenden Herbstlaub verhält: was eben noch bunt in den Bäumen hängt, hat – ehe man sich versieht – schon der Wind fortgetragen.
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