Was man als Hundemensch erlebt: eine kurze Begegnung beim Tierarzt, ein kranker Welpe aus dem Kofferraum – und ein kontrolliertes System, das noch immer unkontrollierbar ist.
Das Wartezimmer eines Tierarztes ist zweifelsohne ein Ort, an dem man schnell mit anderen Hundebesitzern ins Gespräch kommt. Man unterhält sich über die Gründe des Tierarztbesuchs, erfährt darüber hinaus vielleicht noch ein wenig mehr über die Vorgeschichte – über Erkrankungen, Verletzungen und Unverträglichkeiten –, und kommt früher oder später beim Alltäglichen an. Es wird also viel geredet – viel mehr, als wenn man ohne Hund im Wartezimmer seines Hausarztes sitzt und sich krampfhaft bemüht, den Blick bloß auf das aufgeschlagene Heft aus dem Lesezirkel zu richten, nie den Blick des Sitznachbarn zu kreuzen –, es wird viel geredet und noch mehr mitgefühlt.
Mir ist es nicht anders gegangen, als ich vor einigen Wochen mit Heidi im Wartezimmer einer lokalen Tierklinik saß, um vor dem geplanten Deckakt einen letzten Progesterontest vornehmen zu lassen. Obwohl der Termin für die frühen Abendstunden vereinbart worden war, saßen neben uns noch sieben weitere vierbeinige Patienten im Wartebereich – fünf Hunde und zwei Katzen, letztere in Transportboxen untergebracht –, die dazugehörigen Menschen zumeist paarweise und genauso ungeduldig wie ich. Mir schräg gegenüber hatte ein junges Paar mit einem Labrador Welpen Platz genommen, der neun, vielleicht zehn Wochen alt sein mochte, und in seinem viel zu weiten, blass blauen Geschirr ganz verloren wirkte.
Tatsächlich war »Bilbo«, wie mein Nachfragen wenig später zu Tage förderte, gerade erst acht Wochen alt geworden, lebte aber schon seit gut zehn Tagen bei seinen neuen Besitzern. Die junge Frau erzählte, dass sie über eine Anzeige im Internet auf den Rüden aufmerksam geworden sei – sie habe den Verkäufer angeschrieben, wenig später eine Adresse erhalten, und sich aufgrund des günstigen Preises noch am gleichen Tag entschieden, den Welpen zu kaufen. Dass der Verkäufer angeboten hatte, ihr den Welpen entgegenzubringen und die Übergabe auf einem Autobahnrastplatz unweit von Aschaffenburg stattfinden zu lassen – mit der Begründung, er habe geschäftlich ohnehin in der Gegend zu tun –, hatte sie dankend angenommen und genauso wenig in Frage gestellt, wie den Umstand, dass sie statt eines gültigen Heimtierausweises bloß ein gefaltetes Zertifikat erhielt, das von einer bulgarische Behörde ausgestellt worden sei. »Wegen reinrassig«, hatte der Verkäufer gesagt, den vereinbarten Betrag in Empfang genommen und ihr noch viel Glück gewünscht. »Glück«, sagte die junge Frau, habe schlussendlich aber wohl nur der Verkäufer gehabt, denn nachdem sich zu den Durchfällen, unter denen der Welpe schon seit seiner Ankunft gelitten hatte, auch noch Fieber und Erbrechen gesellten, sei sie doch stutzig geworden.
Bis dahin war ich ihrem Bericht ruhig gefolgt, nun konnte aber auch ich mir das Kopfschütteln nicht mehr verkneifen. Als Hundebesitzer hätte ich gerne nachgefragt, ob ihr nicht bewusst gewesen sei, dass ein so junger Welpe noch zwingend zur Mutter gehörte – als Züchter stellten sich mir noch ganz andere Fragen. Nach dem Herkunftsland des Welpen. Den Menschen, die ihn von dort unerlaubt nach Deutschland verbracht hatten. Und dem System – den Gesetzen, Regularien und Kontrollen –, das ursprünglich beschlossen worden war, um dem illegalen Handel mit Billigwelpen aus Osteuropa einen Riegel vorzuschieben, das aber auch Jahre nach seiner Durchsetzung noch immer nicht funktionierte.
2014 trat die erste Stufe einer umfangreichen Novelle des Tierschutzgesetzes in Kraft, die den grenzüberschreitenden Handel mit Hundewelpen durch neue und strengere Vorschriften eindämmen sollte. Diese erste Stufe beinhaltete neben einer allgemeinen Erlaubnis- und Kennzeichnungspflicht auch die Vorgabe einer gültigen Tollwutimpfung, die beim Welpen frühestens mit der 12. Lebenswoche vorgenommen werden kann und nicht vor der 15. Lebenswoche nachweisbar ist. Was angedacht war, um es den illegalen Hundetransporten aus Polen, Tschechien, Rumänien oder Bulgarien schwer zu machen, betrifft seitdem aber wohl vielmehr die ordentlichen Züchter. Während der illegale Handel nämlich immer neue Schlupflöcher sucht und findet, bleibt dem Vereinszüchter kaum eine andere Wahl, als einen Welpen, der für das Ausland bestimmt ist, fast acht Wochen länger in seiner Obhut zu behalten. Das bedeutet nicht nur zusätzliche Zeit und zusätzliche Kosten, die für die Aufzucht eingeplant und aufgebracht werden müssen, sondern überträgt dem Züchter auch die Verantwortung für die vollständige Prägung und Sozialisierung des Welpen. Der Züchter muss sich also entscheiden, ob das für ihn machbar ist – oder Anfragen aus dem Ausland grundsätzlich ablehnen.
Was aus »Bilbo« geworden ist? Ich kann es nicht sagen. Als ich mit Heidi aus dem Behandlungsraum in den Wartebereich zurückkehrte, waren der junge Labrador Welpe und seine Besitzer verschwunden. Ob dem kranken Welpen geholfen werden konnte, kann ich also genauso wenig beantworten, wie die Frage, ob die Klinik den Vorschriften entsprechend gehandelt und den Amtsveterinär verständigt hat, um den Welpen in Quarantäne zu nehmen. Ich weiß aber mit Sicherheit, dass »Bilbo« kein Einzelfall ist – und das jeder »Bilbo«, der für wenig Geld aus dem Kofferraum heraus gekauft wird, den Weg für viele weitere bereitet.
»Glück«, sagte die junge Frau. Das hat jeder Welpe verdient.
© Johannes Willwacher