04|06|2019 – Unsere Nell feiert ihren 10. Geburtstag
04|06|2019 – Unse­re Nell fei­ert ihren 10. Geburtstag

Unsere Nell feiert ihren zehnten Geburtstag: über Großmütter mit zwei und vier Beinen – und was beiden den Unterschieden zum Trotz gemeinsam haben.

Schon seit Jah­ren hege ich den Ver­dacht, dass in Nell die See­le mei­ner Oma steckt. Sechs Jah­re bevor Nell gebo­ren wur­de, ist die besag­te See­le frei gewor­den, hat sich – so stel­le ich mir das vor – im Jen­seits kurz davon über­zeugt, dass alles beim Rech­ten ist, dann aber ent­schie­den, dass ihrer Anwe­sen­heit auf Erden die grö­ße­re Dring­lich­keit zukommt, als der ewi­gen Glück­se­lig­keit, und sich einen neu­en Kör­per gesucht. Einen, der es ihr erlaubt, ab und an einen Blick in die Küche ihrer zweit­äl­tes­ten Toch­ter zu wer­fen, sich davon zu über­zeu­gen, dass der Kar­tof­fel­sa­lat – »Ojo­jo, nä!« – ohne ihr Zutun noch immer nicht gelingt, mit der Lieb­lings­enke­lin zu schmu­sen, kurz: die Luft zu atmen, die ihr fast acht­zig Jah­re lang ver­traut gewe­sen ist. Einen Kör­per, also. Eben jenen unse­rer Nell. Was man liebt, das lässt man nicht aus den Augen – selbst wenn man dazu im Kör­per eines Hun­des leben muss. Das hät­te mei­ne Oma genau so gesagt haben kön­nen. Im Dia­lekt, ver­steht sich.

Als Nell noch jung war, ist jener Umstand wenig auf­ge­fal­len. Mit den Jah­ren haben sich aber die Hin­wei­se gemehrt, und spä­tes­tens als die Hün­din mit sie­ben oder acht Jah­ren begann, bei Spa­zier­gän­gen den bekann­ten, groß­müt­ter­li­chen Wat­schel­gang zu zei­gen – sich fort­wäh­rend dar­über zu beschwe­ren, dass die­ser oder jener Weg zu lang, zu steil oder zu weit von Zuhau­se ent­fernt sei –, hat­te sich der blin­de See­len-Pas­sa­gier doch ver­ra­ten. »Esch wull nohe­em«, sag­ten das alte und das neue Ich von da an im Chor.

Bei­de fei­ern heu­te ihren zehn­ten Geburts­tag – ihren zehn­ten Geburts­tag als Hund. Und weil man immer ein biss­chen von Omas Witz, Omas Weis­heit und Omas Lie­be in sei­nem Leben gebrau­chen kann, hof­fe ich instän­dig, dass mir bei­de noch lan­ge erhal­ten blei­ben – dass ich noch vie­le Jah­re Zeit habe, Ähn­lich­kei­ten zu ent­de­cken und dar­über zu schrei­ben. Über die Gewit­ter­angst etwa, die bei­de tei­len, und bei der ich bei Nell nur dar­auf war­te, dass sie zit­ternd einen Rosen­kranz aus ihrer schwarz-wei­ßen Kit­tel­schür­ze zieht, um mit beben­der Stim­me ein »Gegrü­ßet seist du Maria« zu beten. »Ojo­jo, Jung«, wür­de mei­ne Oma mir dar­auf ent­geg­nen – die Bei­ne im Ses­sel über­ein­an­der­ge­schla­gen, eine Tafel Scho­ko­la­de unter dem Pols­ter ver­steckt. Und viel­leicht möch­te Nell auch bloß auf Letz­te­res hin­wei­sen, wenn sie sich mit run­dem Bauch auf dem Sofa streckt: dass eine heim­lich zuge­steck­te und ganz allei­ne ver­putz­te Lecke­rei immer noch am bes­ten schmeckt. Die gibt es heu­te natür­lich. Zum zehn­ten, nein, viel­leicht bes­ser: zum vier­und­neun­zigs­ten Geburtstag.

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