Ellie wäre nicht Ellie, wenn bei ihr irgendetwas normal verlaufen würde – über eine Border Collie Hündin mit Hang zum Drama und die letzten Stunden vor der Geburt. Vielleicht.
Was tut man, wenn sich nichts tut? Wie lange gibt man der Hündin Zeit? Sitzt man es aus und beschränkt sich darauf, das zu kontrollieren, was kontrolliert werden muss? Die Temperatur, der Ausfluss, die Vitalzeichen, der Allgemeinzustand? Oder verfällt man in Panik, weil sich auch am 67. Tag der Trächtigkeit nichts – nein, besser –, viel zu wenig tut? Weil sich die Hoffnung, es möge sich doch nun endlich etwas tun, ein ums andere Mal zerschlägt – und man mit jeder Stunde, die verstreicht, mit mehr Komplikationen, mehr Gefahren für das ungeborene Leben, für die Hündin selbst rechnen muss?
Auch heute morgen hat sich wenig getan – mit 37,4 Grad ist der Wert zwar um sieben Uhr auf einen vorläufigen Tiefststand gesunken, aussagekräftig ist das aber noch nicht: geringfügige Temperaturschwankungen kommen vor, müssen kein Anzeichen für eine bevorstehende Geburt sein. Ich versuche meinen Frust herunterzuschlucken, packe das Thermometer achselzuckend weg und rühre stattdessen Quark, Ei, Ziegenmilch und Trockenfutter zu einem dickflüssigen Brei zusammen, den Ellie zwar sehr langsam, aber doch mit großem Appetit verschlingt. Rein äußerlich scheint es, als würde es nicht mehr lange dauern, als würde sich der Körper der Hündin schon bereit machen für die Geburt: der Bauch ist deutlich abgesackt, die Flanken eingefallen – und weil das hohe Gewicht der sich verlagernden Frucht das stützende Gewebe nach unten zieht, sind auch die Hüfthöcker sichtbar geworden. Aber von der Unruhe und Rastlosigkeit, die ich von meinen anderen Hündinnen kenne – dem angestrengten Hecheln, dem aufgeregten Scharren in der Wurfkiste – allem, was eigentlich selbstverständlich für die letzten Tage vor der Geburt ist, warte ich bei ihr bislang vergeblich. Was tut man, wenn sich nichts tut? Man wartet. Und hofft, dass sich zwei oder drei Stunden später vielleicht mehr getan hat.
Am Nachmittag bestätigt es sich endlich: die Temperatur ist gesunken – 36,8 Grad. Ob sie noch weiter absinkt? Oder dürfen wir nun tatsächlich damit beginnen, die Stunden zu zählen? Ellie selbst scheint auch verstanden zu haben, dass sich mit ihr etwas tut, denn sie verlässt die obere Etage kaum noch, verkriecht sich immer öfter hinter dem Bett oder dem Sofa, und sitzt ansonsten leise hechelnd und mit abwesendem Blick im Gang. Die Nacht wird wohl lang werden – denn selbst wenn die Welpen sich noch bis morgen Abend Zeit lassen sollten, werden wir kaum ein Auge zukriegen.
Am Abend bleibt schliesslich auch der Napf zum ersten Mal unangerührt stehen – ein wenig Quark mag sie noch fressen, mehr nicht. Die Temperatur ist seit dem Nachmittag noch weiter gesunken – 36,6 Grad misst das Thermometer, der Tiefpunkt scheint noch nicht erreicht – und während die Welpen in ihrem Bauch die letzten Runden drehen, macht sich auch bei Ellie die Unruhe bemerkbar: ziellos wandert sie im Garten von einer Ecke zur anderen, verschwindet hier unter Sträuchern, dort im Efeu, und gräbt sich – ganz wie ihre Mutter – gleich mehrere Wurfhöhlen. Ob die so viel gemütlicher sind, als die gut gepolsterte Wurfkiste? Wir werden unser Bestes tun, um die werdende Mutter vom Gegenteil zu überzeugen!
Es folgt eine – den Umständen entsprechende – ruhige Nacht. Am Abend hat Ellie beschlossen, dass sich Zions Box am ehesten als Nachtlager eignet und sich darin breit gemacht. Selbst der ungläubige, hilfesuchende Blick des Rüden, der von der trächtigen Hündin zu seinem Menschen und wieder zurück wandert, vermag nichts daran zu ändern: Ellie bleibt, wo sie ist – da hilft auch kein Flehen und Betteln – und Zion hat das Nachsehen. In der Nacht hört man es aus der Box zwar immer wieder hecheln und poltern, wird das hellblaue Hundekissen mal nach links und mal nach rechts gezerrt – mehr passiert aber nicht. Beim ersten Wurf ihrer Mutter hat sich die Öffnungsphase vor der Geburt fast über zwei Tage hingezogen – ich hatte längst damit gerechnet, dass Ellie es ähnlich spannend macht.
In der Dämmerung drehen wir am frühen Donnerstagmorgen eine Runde im Garten – und auch jetzt habe ich wieder allergrößte Mühe, Ellie davon abzuhalten, sich unter den grünen Büschen ein eigenes Wurflager zu bauen. Das Frühstück – bloß Quark, Ziegenmilch und eine halbe Ampulle Calcium Frubiase – wird ganz verschmäht, löst bei der Hündin bloß ein angewidertes Kräuseln der Nase aus. Die Temperatur ist über Nacht leicht angestiegen, um halb sieben messen wir 36,8 Grad. Eine Wehentätigkeit ist noch nicht zu beobachten – der Temperatur und ihrem Verhalten nach zu urteilen, lässt sich Ellie damit aber auch noch ein wenig Zeit. Es wird sicher Nachmittag werden, bevor sich bei der Hündin Neues tut.
Als ich gegen zehn Uhr mit den übrigen Hunden von der Morgenrunde zurückkomme, habe ich kurz die Hoffnung, dass sich – so wie bei Nells letztem Wurf – das Warten erübrigt hat und Dirk und Ellie bereits den ersten Welpen zur Welt gebracht haben: auch beim nunmehr sechsten Wurf bleibt für mich das Warten bis zum Einsetzen der Presswehen am schlimmsten, klingt die Anspannung wohl erst dann ab, wenn der erste Welpe geboren worden ist. Aber: nein, nichts dergleichen. Dafür eine Hündin, die alle drei Minuten ihr Lager wechselt – von der Wurfkiste ins Körbchen, vom Welpenzimmer ins Schlafzimmer, aus der Box hinter das Sofa, und wieder von vorn. Die Unruhe der trächtigen Hündin überträgt sich auch auf die anderen Hunde – die vielleicht sogar besser wissen, was auf sie zukommt, als Ellie selbst – und so verwundert es mich nicht, dass Ida hinter dem im Türrahmen befestigten Babygitter immer wieder neugierig ihren Hals reckt, um einen Blick in die Wurfkiste zu werfen. »Ich weiß, was da rein kommt!«, sagt sie mit einem Schwanzwedeln. »Das weiß ich selbst«, denke ich, »sag mir doch lieber, wann!«
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